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KÖLN: SOLARIS von Detlev Glanert. Premiere

03.11.2014 | Oper
Gibarian (Peter Bermes) und Chor der Oper Köln Foto: Bernd Uhlig

Gibarian (Peter Bermes) und Chor der Oper Köln
Foto: Bernd Uhlig

KÖLN: SOLARIS  (Detlev Glanert) – Premiere: 2.11.2014

 Vor knapp 60 Jahren flog der erste Sputnik ins All, bald darauf folgte der erste Mensch (Juri Gagarin). Damals entstand übrigens auch die erste Weltraum-Oper, Karl-Birger Blomdahls „Aniara“. Im Gagarin-Jahr 1961 erschien noch der Roman „Solaris“ des Polen Stanislaw Lem, ein stark wissenschaftlich verbrämtes Buch, doch gleichzeitig eine spannende Abenteuergeschichte. Sie faszinierte den Komponisten Detlev Glanert so sehr, dass er sie zu einer Oper umformte. Premiere war 2013 in Bregenz, jetzt erfolgte die deutsche Erstaufführung in Köln.

Ort des Geschehens ist eine Raumstation auf Solaris, unter den Planeten eine Ausnahme insofern, als er sich in einer stabilen Laufbahn befindet. Grund hierfür scheint ein ihn fast völlig bedeckender Ozean zu sein. Zu dem bereits vorhandenen Forscher-Team (Snaut, Sartorius, Gibarian) stößt der junge Psychologe Kris Kelvin. Ihm wird bald bewusst, dass die Lebenssituation seiner Kollegen eine fragile, gefährdete ist. Erstes Signal hierfür ist der rätselhafte Selbstmord Gibarians am Tage seiner Ankunft. Die anderen Wissenschaftler wiederum wirken entweder verwirrt (Snaut) oder feindselig (Sartorius). Zudem erfährt Kelvin, dass es geheimnisvolle Wesen gibt, welche der Ozean, das Plasmameer, aus menschlichen Gehirnströmen generiert hat. Ihm selber tritt ein solches in Gestalt seiner früheren Geliebten Harey entgegen, die auf Erden vor langer Zeit Suizid beging. . Auch die Erscheinungen bei den beiden anderen Männern sind nicht zuletzt Verkörperungen zwiespältiger Verhältnisse wie jenes monströse, sexuell akzentuierte Beziehung Snauts zu seiner Mutter. Lem denkt metaphysisch und ist überzeugt, dass „alle Erforschung des Jenseitigen und des Weltraums auf unserem Wunsch beruht, einen Gott oder zumindest einen großen Bruder zu finden, der uns einen Teil unserer Schuld abnimmt. Weil der Mensch einfach nicht erträgt, allein zu sein.“ Science Fiction mit philosophischen Überbau.

Obwohl Reinhard Palm (in diesem Jahr gestorben) bei der Umformung des Romans in ein Opernlibretto alle theoretischen Erörterungen eliminiert hat und sich auf die Grundhandlung konzentriert, ist der Text für den Zuschauer – auch aufgrund nachträglich interpolierter Reflexionen – ohne vorbereitende Lektüre auf Anhieb kaum in all seinen Aspekten zu verarbeiten, den hilfreichen Übertiteln bei der Kölner Aufführung oder auch der exzellenten Diktion von BJARNI THOR KRISTINSSON (Sartorius) zum Trotz.

 Detlev Glanert nähert sich dem exterrestrischen Sujet nicht mit musikalisch-plakativen Gruseleffekten (darin dem Stanley-Kubrick-Film „2001“ ähnlich), sondern behält das traditionelle Musikdrama als Grundform bei, setzt auf die Kontraste von aufgepeitschter Dramatik und lyrischer Ruhe. Er nutzt mitunter die Zwölftönigkeit, ohne sie aber demonstrativ zu präsentieren (darin wiederum Alban Bergs „Wozzeck“ vergleichbar). Sie bleibt letztlich Teil eines „harmonisch“ gearteten Ganzen. Großen Raum nehmen ohnehin die breit angelegten Szenen zwischen Kelvin und Harey ein. Da flutet die Musik oft wie bei Richard Strauss. Diese retrospektive Schreibweise, welche allerdings keine Stilkopie darstellt, wird immer ihre Kritiker finden. Dem Publikum kommt sie jedoch entgegen, zumal Glanert es auch an expressivem Vokalausdruck nicht fehlen lässt.

Die Bregenzer Uraufführung wurde von Markus Stenz geleitet, bis zur letzten Saison GMD des Gürzenich-Orchesters, welches jetzt im Rahmen seiner ständigen Opernverpflichtung für die aktuelle Produktion zur Verfügung steht. Stenz hat sich auch im Konzertsaal stets für Glanert (wie auch seinen Lehrer Hans Werner Henze) eingesetzt und fraglos mitinitiiert, dass sich die Oper Köln die Deutsche Erstaufführung von „Solaris“ sicherte. Sie findet in der „Oper am Dom“ statt, einem ehemaligen Musical-Zelt, welche als Ausweichquarteier dient, bis beim Theaterkomplex am Offenbach-Platz die Generalsanierung abgeschlossen ist.

PATRICK KINMONTH (Regie) und DARKO PETROVIC (Bühne – Kostüme: ANNINA VON PFUEL) verfallen nicht in den Fehler der Bregenzer Szeniker Moshe Leiser/Patrice Caurier, die Inszenierung auf malerisches Science Fiction zu begrenzen. Petrovic hat eine auf Stelzen montierte Spielfläche gebaut, bei welcher man eine aufgebrochene Eierschale oder auch den Teil eines Schiffskörpers assoziieren mag. Bewegte Wände sorgen geschickt für überraschende, geheimnisvolle Auftritte. Dass der den Solaris-Ozean verkörpernde Chor (perfekte Einstudierung wie immer: ANDREW OLLIVANT) entgegen Glanerts Vorschrift real auftritt (dachte man an die griechische Tragödie?), mutet hingegen etwas fragwürdig an. Gänzlich fatal ist die Idee, das Plasmameer durch echtes Wasser zu visualisieren, welches die gesamte Spielfläche bedeckt und durch das sich alle Mitwirkenden mühsam hindurch arbeiten müssen. Beim Premierenapplaus ging sogar das Produktionsteam „baden“. Dirigent LOTHAR ZAGROSEK trug immerhin Stiefel. Prinzipiell aber führt Kinmonth, der vor Ort mit „Butterfly“ ins Regiefach einstieg und danach noch mit Schrekers „Gezeichnete“ beeindruckte, die Darsteller mit gestischer Expressivität und poetischer Ausdruckskraft, was manchmal sogar über die merklichen Längen des 2. Aktes hinweg hilft.

Unter den Sängern ist die junge irische Sopranistin AOIFE MISKELLY hervorzuheben, welche im Opernstudio begann, dann eine schöne Gilda gab und nun zum Ensemble gehört. Ihr Gesang leuchtet die Partie der Harey (welche am Schluss übrigens gewollt der Bombadierung des Planeten durch Sartorius zum Opfer fällt) wundervoll aus. Schlanke Figur, intensives Spiel. NIKOLAY BORCHEVs kraftvoll-kerniger Bariton besitzt genügend lyrische Farben, um Kelvin auch als sensiblen Liebhaber glaubhaft sein zu lassen. Attraktives Äußeres, vehemente Bühnenpräsenz. Gleiches gilt für MARTIN KOCH, welcher den Snaut bereits in Bregenz verkörperte. Seine Stimme geht mittlerweile über seine bisherigen, buffonesk geprägten Charakterpartien hinaus. Auch sein Lehrer Joseph Protschka (im Publikum) verfolgt das mit Interesse. Aus Sartorius macht Bjarni Thor Kristinsson – prägnant, leicht skurril, mit erzenem Bass –  einen Verwandten des Doktors in Bergs „Wozzeck“. Bei den kleineren Partien überzeugen DALIA SCHAECHTER als Snauts Mutter (= Alte Frau), die eine körperphysisch nicht gerade angenehme Szene mit Würde absolviert, und HANNA HERFURTNER (Zwerg). QUILIN ZHANG gibt im Zottelpelz die Baboon, ein Wesen, welches in dem ganzen Geschehen nur schwer zu verorten ist. Als Meister im Bereich zeitgenössischer Musik erweist sich neuerlich Lothar Zagrosek, in Köln kein Unbekannter. Er lenkt das Gürzenich-Orchester mit souveränem Klangsinn.

Christoph Zimmermann 

 

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