Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

KÖLN/Philharmonie: Nationales Sinfonieorchester der Ukraine, Ltg. Volodymyr Sirenko, Nuron Mukumi, Klavier

03.12.2024 | Konzert/Liederabende

KÖLN/Philharmonie: Nationales Sinfonieorchester der Ukraine, Ltg. Volodymyr Sirenko, Nuron Mukumi, Klavier

pik
Foto: Nicole Pieck und Jana Pelzer

Das Ukrainische Nationalorchester gastierte in der Kölner Philharmonie und antwortete mit seiner Musik als starke humanitäre Botschaft gegen die Realität des Krieges. Unter der Leitung ihres langjährigen Chefdirigenten Volodymyr Sirenko und mit dem Klaviervirtuosen Nuron Mukumi an den Tasten entfalten das Nationale Sinfonieorchester und der Pianist eine beeindruckende Gesamtwirkung. Die Musiker aus Kyjiw leben täglich mit der Realität, dass ihre Heimat, in der ihre Angehörigen leben, bombardiert wird. Mit romantischer Musik in solch schwierigen Zeiten aus großer Lebensangst zu befreien, das schien ein besonders treffendes Anliegen für das Konzert in der Kölner Philharmonie. Und damit erfüllte sich auch die Programmatik der „Kontrapunkt-Konzerte“, in deren Rahmen dieses Gastspiel stattfand. Diese Kölner Konzertreihe wurde ursprünglich ins Leben gerufen, um kulturelle Kontakte zu Osteuropa zu pflegen.

Die Publikumsresonanz an diesem Adventssonntag war erneut überwältigend. Lag es möglicherweise an der Wiederbegegnung mit dem jungen, charismatischen Pianisten Nuron Mukumi, der in Usbekistan geboren wurde, derzeit in Hamburg studiert und im nächsten Jahr sein Konzertexamen abschließt?

Eröffnet wurde das Konzert durch ein Orchesterwerk, das für die reiche künstlerische Gegenwart der Ukraine steht: Viktoria PolevasLangsam“, komponiert in den 1990er Jahren, weist fast collageartige Strukturen auf. Zwischen romantischen, süßlichen und dunklen, geheimnisvollen Klangwelten wird hin und her gewechselt. Diese reichhaltige Darstellung mit beeindruckender Intensität lag insbesondere in den Händen der ukrainischen Streicher, die unter der sensiblen Leitung von Sirenko mit größter Präzision agierten. Besonders das verfeinerte Diminuendo – das allmähliche Zurücknehmen und Verschlanken – verlieh dem Werk eine beinahe greifbare Intensität und brachte in der vollbesetzten Kölner Philharmonie schon gleich zu Beginn eine „sprechende“ Dimension zur Entfaltung.

Robert Schumanns Klavierkonzert a-Moll ist alles andere als ein Virtuosenstück. Gerade das stellt eine besondere Herausforderung für Nuron Mukumi dar. Es geht darum, eine lyrische Leichtigkeit zu schaffen, bei der melodische Linien verwobene Dialoge zwischen Orchester und Klavier entwickeln. Mukumi meisterte diese Aufgabe mit bemerkenswerter Eleganz und Souveränität.

Er ging erneut auf besonders geschmeidige Weise in die Interaktion mit dem Orchester und ließ den von ihm bevorzugten Shigeru-Kawai-Flügel in voller Klangpracht erstrahlen. Dabei zeigte sich seine außergewöhnliche Einfühlsamkeit, während das Orchester als perfekter Partner fungierte. Das Stück war pure deutsche Romantik. Nach dem lyrischen Intermezzo konnte die Musik im Finalsatz einen lebendigen Optimismus versprühen – der VivaceSatz strömte förmlich durch den Raum und vermittelte eine freudvolle Energie, was sich auf Anhiebt aufs Publikum übertrug.

Mukumi hielt im Anschluss eine bewegende Ansprache, in der leidenschaftlich für Humanität appellierte und dabei die unverzichtbare Rolle der Kultur herausstellte. Darin beleuchtete er die schwierige Situation des Orchesters in Kriegszeiten und hob die Rolle der Kultur als Kommunikations- und Verständigungsinstrument hervor. Musiker auf internationalen Bühnen werden demnach gerade jetzt zu Botschaftern der Menschlichkeit agieren. Die ergreifende Ansprache wurde mit langen, stehenden Ovationen belohnt.

Nun stand noch die Zugabe an – und wer im Vorjahr dabei war, wusste, dass Mukumi wohl wieder etwas Außergewöhnliches bieten würde. Der Pianist hat kürzlich eine bemerkenswerte CD-Einspielung mit allen 24 Préludes des britischen Komponisten York Bowen veröffentlicht, die ein reichhaltiges und hochkultiviertes Spektrum von romantischen Einflüssen bis hin zu impressionistischen und jazzigen Elementen aufzeigt. Dass all dies bereits nach wenigen Takten eines Stückes in der Kölner Philharmonie deutlich wurde, lag vor allem an Mukumis phänomenaler Fähigkeit, Klangfarben mit feinsinniger Leichtigkeit zu dosieren.

Antonin Dvořáks Sinfonie Nr. 9 e-moll „Aus der Neuen Welt“ ist ein häufig aufgeführtes Meisterwerk, das es manchmal beinahe überstrapaziert wird. Doch bei besonderen Anlässen entfaltet auch dieses Werk wieder eine unmittelbar spürbare Wirkung – und das lag vor allem an der einfühlsamen Interpretation durch das Nationale Sinfonieorchester der Ukraine. In der Kölner Philharmonie verschaffte sich ein kraftvolles Statement für Weltoffenheit und kulturelle Toleranz Gehör.

ukra1
Foto: Nicole Pieck und Jana Pelzer

Denn genau diese Werte beseelten den böhmischen Komponisten, als er in den USA dieses Werk schrieb. Hier wird hörbar groß gedacht, hier dominiert die Neugier und es schwingt eine tiefe Freude über die vielen gesellschaftlichen Errungenschaften mit, welche die Menschheit bereichern können, was aber zugleich einen stark ausgeprägten musikalischen Patriotismus nicht ausschließt. Sirenko und das Nationale Sinfonieorchester der Ukraine verstanden es hier meisterhaft, Pathos und Bombast so zu zügeln, dass auch die Ambivalenz und Empfindsamkeit der heutigen Zeit in Dvořáks Musik auflebte. Das Publikum spürte all diese feinen musikalischen Momente intuitiv – anders wäre der langanhaltende, ehrliche und tief empfundene Beifall in der Kölner Philharmonie nicht zu erklären gewesen.

Konzertaufführung vom 1. Dezember in der Kölner Philharmonie, Konzertreihe „Kontrapunkt-Konzerte“

Stefan Pieper

 

Diese Seite drucken