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KÖLN/ Philharmonie: FANTASIO – „pazifistische Oper“ von Jaques Offenbach

»La guerre est une illusion!»

22.06.2019 | Oper

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Jacques Offenbach: Fantasio, Kölner Philharmonie, Vorstellung: 21.06.2019

 

Halbszenisches Gastspiel der Opera Zuid

»La guerre est une illusion!»

Das Offenbach-Jahr bringt neben der gehäuften Aufführung seiner bekannten Werke auch die Entdeckung unbekannter Juwelen aus seinem Oeuvre. Möglich macht dies neben dem Mut der Veranstalter vor allem der französische Musikwissenschaftler Jean-Christophe Keck und seine Offenbach-Edition Keck im Verlag Boosey & Hawkes. Betrachtet man die gehobenen Schätze genauer, fällt auf, dass Offenbach eine Ader für abstruse bis in Sachen Erfolg aussichtslosen Libretti hatte. In der Abteilung «abstrus» finden sich die Karotte (Le roi Carotte; ab 23.11.2019 an der Volksoper Wien) oder der Hund (Barkouf; ab 12.10.2019 an der Oper Köln) als Hauptfigur. Unter «fragwürdiger Erfolg» finden sich die «Les fées du Rhin» («die Rheinnixen») oder «Fantasio». In beiden Werken bezieht Offenbach politisch Stellung zu seiner Zeit und gibt sich als glühender Pazifist zu erkennen: Mit den Rheinnixen möchte der naturalisierte Deutsche jüdischen Glaubens Deutschland eine pazifistische Nationaloper schreiben und in «Fantasio» schlägt er den Monarchen vor sich doch selbst zu duellieren statt die Völker in den Krieg zu schicken. Wer sonst noch käme auf die Idee, am Vorabend des deutsch-französischen Kriegs, in einem von Nationalismus porentief durchdrungenen Jahrzehnt, in einer vaterländischen Oper das patriotische Lied als Liebeslied mit Harfenbegleitung zu komponieren?

Die Aktualität als Charateristikum des Offenbachschen Schaffens zeigt sich im Falle von «Fantasio» in der Verbindung mit dem Deutsch-Französischen Krieg. Nachdem sich Offenbach in Bad Ems von Gichtanfällen erholt hatte, liefen in Paris die Proben für die Uraufführung. Mitte Juli 1870 mussten sie wegen dem Krieg unterbrochen werden und konnten erst im November 1871 fortgeführt werden. Dieser Unterbruch stürzte Offenbach in die schwerste Schaffenskrise seiner Vita und zwang in zu einer Überarbeitung, denn der als Fantasio vorgesehene Tenor war vor dem Krieg nach London geflohen und dachte nicht daran zurückzukehren. Für die Erstaufführung der deutschen Fassung war nochmals eine Umarbeitung nötig: Fantasio war nun Sopran. Nach Paris (10 Aufführungen) und Wien (27 Aufführungen) wurde «Fantasio» noch in Prag und Berlin gespielt und geriet dann rasch in Vergessenheit. Mit dem Brand der Opéra Comique 1887 dürfte das Orchestermaterial zerstört worden sein. Nach dem Tod von Offenbachs Tochter Jacqueline wurde der Autograph, den sie erhalten hatte, über den Autographenmarkt seitenweise verkauft. Jean-Christoph Keck hatte es in grosser Recherche-Arbeit geschafft, Fantasio in seinen drei Fassungen (Tenor, Mezzosopran, Sopran) zu rekonstruieren und so erklang die kritische Edition 2013 zum ersten Mal und wurde für das Label Opera Rara aufgezeichnet. 2014 fand am Staatstheater Karlsruhe die szenische Uraufführung der kritischen Edition statt.

Vorlage für das Libretto zu Offenbachs «Fantasio» (Paul de Musset, Charles Nuitter und evt. Charles Dumas d.J.) war das Lesedrama gleichen Titels von Alfred de Musset aus dem Jahre 1834, das seinerseits auf eine Geschichte aus den «Lebensansichten des Katers Murr» von E.T.A. Hoffmann zurückgeht. Allen Texten gemeinsam ist die Geschichte des Studenten, der die Zwangsheirat der Prinzessin verhindert. De Mussets Fantasio war eines der Lieblingsstücke der Jugend-Generation der Restauration und so ziehen, weil es etwas selbstverständliches war, die Studenten am Ende begeistert in den Krieg.

Anders bei Offenbach, und das macht seine Oper so faszinierend: Für Offenbach, den Deutschen Juden, der seit 1833 in Frankreich heimisch geworden ist und die Auseinandersetzungen und Kriege im Europa jener Zeit miterlebt hat, ist Krieg keine Option mehr, und entsprechend lässt er Fantasio eine pazifistische Ansprache halten, in der er den Monarchen nahe legt, sich doch selbst zu duellieren statt ihre Völker in den Krieg zu schicken.

Der Klavierauszug aus dem Hause Choudens bezeichnet «Fantasio» als «Opéra comique en 3 Actes». Formal ist sie das, aber die grosse Zeit der Opéra comique war vorbei und Offenbachs Stil geht hier, gerade auch was die Seelenkonflikte der Protagonisten angeht, schon deutlich in Richtung Drame lyrique.

«Fantasio» hat musikalisch wenig mit den Opéras bouffe zu tun und ist im Zusammenhang mit Offenbachs Opernversuchen, «Les Fées du Rhin» von 1864, dem «Roi Carotte» von 1872 und «Les Contes d’Hoffmann» von 1881 zu sehen. Unter anderem den Studentenchor aus «Fantasio» hat Offenbach für seinen Hoffmann übernommen.

Für «Fantasio» verwendet Offenbach eine grosse romantische Orchesterbesetzung mit vier Hörnern, doppelter Holzbläserbesetzung und drei Posaunen. Die Musik des besticht durch ihre Leichtigkeit, ihren weitgehend warmen, lyrischen Grundton und die zahlreichen Instrumental-Soli. Offenbach zeigt sich hier auch als grandioser Instrumentator.

Die philharmonie zuidnederland unter Leitung von Enrico Delamboye spielt grandios auf und begeistert mit Leidenschaft und Wohlklang. Es bleiben, wie beim Chor der Opera Zuid (vorbereitet von Jori Klomp) keine Wünsche offen.

Die Mezzosopranistin Romie Estèves überzeugte in der Rolle des Fantasio, die Offenbach für Célestine Galli-Marié, drei Jahre später die erste Carmen, komponiert hatte, ohne jeden Abstrich. Sie lässt den Zuhörer glauben, dass Fantasio für ein bisschen Liebe sein Leben gäbe. Anna Emelyanova (Prinzessin Elsbeth) überzeugte mit perfekter Technik und vor allem mit blendender Diktion des Französischen. In Sprechpassagen wechselte sie teilweise ins Russische, ihre Muttersprache. Huub Claasens gab mit sonorem Bass ihren Vater, den König von Bayern, Francis van Broekhuizen ihren Pagen Flemel. Roger Smeets als Prinz von Mantua und Thomas Morris als sein Adjutant überzeugen als Team in allen Disziplinen: Gesang, Deklamation und vor allem Komödiantik. Von Anfang bis Ende begeistert das Quartett der Studenten: Ivan Thirion als Sparck, Jeroen de Vaal als Facio, Rick Zwart als Hartmann und Jacques de Faber als Max. Wann schon sieht man Herren im Frack Purzelbäume machen und Räder schlagen?

Die zurückhaltende Regie von Benjamin Prins wie die Kostüme von Lola Kirchner erlaubten die volle Konzentration auf die Musik.

Ein Juwel, dass man, wenn sich einmal die Gelegenheit bietet, ja nicht verpassen sollte!

Weitere Aufführungen: 25.06.2019, 20.00, Den Bosch, Opera op de Parade; 30.06.2019, 20.00, Soest (NL), Cabrio Openluchttheater (semikonzertant).

22.06.2019, Jan Krobot/Zürich

 

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