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KÖLN/ Oper: WRITTEN ON SKIN – Livestream

Beklemmendes Seelenpanorama

12.12.2020 | Oper international

Written on Skin | Faber Music

Live-Stream der Oper Köln von George Benjamins „Written on Skin“ am 11.12.2020/

Beklemmendes Seelenpanorama

Die Oper „Written on Skin“ des britischen Komponisten George Benjamin geht in wesentlichen Teilen der Handlung auf eine mittelalterliche Sage aus der Provence zurück. George Benjamin hat das Geschehen nun in die moderne Zeit übertragen. Es wird eine brennend heiße Geschichte in einem eiskalten Rahmen erzählt. Der moderne Dramatiker Martin Crimp schildert diese düstere Dreiecksgeschichte aus dem okzitanischen Mittelalter mit tiefer Emotion. Ein mächtiger Großgrundbesitzer (Bassbariton), seine junge Ehefrau (Sopran) und ihr androgyner Liebhaber (Countertenor) bieten hier ein ausserordentlich packendes Seelendrama, das unter die Haut geht. Die Geschichte endet mit der Ermordung des Liebhabers durch den Ehemann. Die Frau isst schließlich das Herz des Geliebten. Die Tragödie schließt mit dem freiwilligen Sturz der Frau in den Tod.

Die subtile Inszenierung von Benjamin Lazar (Bühne und Kostüme: Adeline Caron) konzentriert sich zwischen Sanddünen und kahlen Baumstämmen ganz auf die raffinierten Personenkonstellationen. Dabei treten drei Engel als Repräsentanten der Neuzeit in den Mittelpunkt, die das grausame Geschehen mit kühler Distanz beobachten. So entsteht plötzlich eine packene Welt von außen und innen, wobei die Leuchtspuren im Sand immer wieder wie geheimnisvolle Lichtstrahlen wirken. Unter der glutvollen musikalischen Leitung von Francois-Xavier Roth entfaltet sich der ungeheure Strom dieser subtilen Musik wie von selbst. So kommt es zwischen Pizzicato- und Glissando-Passagen zu wilden Cluster-Ausbrüchen im Orchester, die die Figuren gleichsam charakterisieren. Es ist ein kollektiver Aufschrei zwischen gewaltigen harmonischen Blöcken, die von den ausgezeichneten Gesangssolisten mit Leben gefüllt werden. Robin Adams (Bassbariton) als ausdrucksstarker Protector wird seiner schillernden Rolle genauso gerecht wie Magali Simard-Galdes (Sopran) als seine Frau Agnes, deren stählerne Spitzentöne mit ihrem Partner gleichsam verschmelzen und sich mit großem Klangfarbenreichtum gegenseitig ergänzen.

Der hervorragende Countertenor Cameron Shahbazi singt als „the Boy“ den unglücklichen Liebhaber, der seinen gewaltsamen Tod geradezu herausfordert. Er agiert auch als „Angel I“. In weiteren Rollen überzeugen bei dieser Produktion ferner Judith Thielsen als „Angel 2“ und Marie sowie Dino Lüthy als „Angel 3“ und John. Unter der einfühlsamen Leitung von Francois-Xavier Roth agiert das Gürzenich-Orchester Köln (Viola da Gamba: Margaux Blanchard) höchst konzentriert und sensibel. Zwischen Tritonus-Intervallen oder rhythmischen Exzessen meint man vereinzelte Klänge von Gustav Mahler, Edgar Varese und vor allem Olivier Messiaen zu vernehmen. Doch George Benjamin hat eine ganz eigenständige Klangsprache entwickelt, die diesen Figuren auf den Leib geschrieben ist. Die einzelnen Szenen werden von der Musik ausgesprochen überzeugend charakterisiert. So nimmt man in den Blechbläsern wahr, dass der reiche Protector seine Frau als Besitz ansieht und zu „Reinheit und Gewalt“ neigt. Das Kontrafagott beschreibt außerdem tiefe seelische Emotionen. Als der Protector dem Jungen in den Wald folgt, nimmt er wahr, dass dieser sein Spiegelbild in einem Messer betrachtet. Auch dies kommt in einer aufwühlenden harmonischen Bewegung zum Vorschein. Gleichzeitig ist Agnes eifersüchtig und wirft dem Jungen vor, ihren Mann zu lieben. Sie befürchtet ebenfalls, dass er eine Affäre mit ihrer Schwester Marie hat. Die Musik lässt diese psychologisch höchst komplexen Prozesse auf mehreren klanglichen Ebenen Revue passieren, die Francois-Xavier Roth mit dem Gürzenich-Orchester Köln konsequent auslotet. Reine Intervalle sollen hier laut Aussage des Komponisten „keinerlei Nachahmung mittelalterlicher Musik“ sein. Das Orchester unterstützt die Gesangslinien bei dieser suggestiven Wiedergabe ausdrucksstark. Die „Kunst der Illustration“ wird durch Bassgambe und Glasharmonika verschärft. Klarinetten, Trompeten und Schlagzeug werden durch eine verkleinerte Streichergruppe ergänzt. Die Stimme des Countertenors besitzt etwas Mystisches, Unheimliches, das durch wiederkehrende harmonische Strukturen verstärkt wird. Ganz besonders deutlich wird dies bei der 13. Szene, als die Engel an die Grausamkeit Gottes erinnern. Sie besuchen den Protector und fordern ihn auf, dem Jungen in den Wald zu folgen, um ihn dort zu töten. Zuletzt erscheint der Junge wieder als erster Engel, der auf ein letztes Bild weist. Darin greift der Protector Agnes mit dem Messer an – sie springt aus dem Fenster und stirbt. In der Inszenierung von Benjamin Lazar sieht man das anders: Die junge Frau schreitet auf eine erhobene Sanddüne zu und bleibt auf der Höhe stehen. Was dann geschieht, wird nicht mehr gezeigt. So endet diese interessante Regiearbeit mit einer offenen Frage, die das Publikum für sich beantworten kann. Zuweilen wirkt die Inszenierung sehr plakativ – so wird die Blutorgie drastisch dargestellt. Und doch gelingt eine eindringliche Symbiose von Musik und Szene. So überschneiden sich die thematischen Bezirke und es kommt zu einer facettenreichen Erweiterung rhythmischer Zellen. Schöpferische Unruhe wird mit serieller Technik verbunden. Und das Gürzenich-Orchester wird ebenfalls auf der Bühne platziert und ist Teil der Szene. Das komplexe Werk wurde 2012 beim Festival d’Aix-en-Provence uraufgeführt.  

Alexander Walther     

 

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