KÖLN: CARMEN (Wiederaufnahme am 23.05.2015 in der Oper am Dom, besuchte Aufführung 25.05.2015)
Die Wiederaufnahme der CARMEN in der Oper am Dom versprach mehr, als sie hielt. Die schon fünfzehn Jahre alte mißglückte Inszenierung von Christof Loy braucht nicht erneut referiert zu werden. Dennoch fällt auch jetzt noch auf, dass es dem Regisseur gelungen ist, das typische Flair dieses Werkes nahezu zu zerstören. Viel zu viele Personen bewegen sich auf einer viel zu kleinen Spielfläche. Spanische Assoziationen gibt es ebensowenig wie typische Zigeunerattribute. Stattdessen tragen die Zigarettenarbeiterinnen Cocktail-Kleider und die Schmuggler eine Mischung aus Frack und Smoking, also einen für diese Personenkreise völlig unüblichen feinen Zwirn. Das ist schon eine eigenartige „Arbeitskleidung“….
In musikalischer Hinsicht begann die Aufführung mit einem Mißklang. Der erste Blecheinsatz nach dem Vorspiel ging völlig daneben. Dafür konnte natürlich der am Pult stehende Claude Schnitzler nichts. Er tat im Übrigen sein Bestes, um die Vorstellung zusammenzuhalten und fand im Gürzenich-Orchester einen soliden Klangapparat. Hervorzuheben ist, daß der Kinderchor in dieser Aufführung ausnahmsweise nicht distonierte. Wo erlebt man das sonst schon einmal? Damen- und Herrenchor, einstudiert von Marco Medved, sang und spielte engagiert mit, obwohl ihm ständige Rennerei und überzogener Aktionismus verordnet worden waren.
Vom Sängerensemble ist man an der Kölner Oper in letzter Zeit fast nur Gutes gewöhnt. Diesem Anspruch wurde der besprochene Abend nur bedingt gerecht. Mit der Österreicherin Katrin Wundsam stand eine Sängerin auf der Bühne, die Carmen spielte, aber zu keiner Zeit Carmen war. Beispielhaft sei die kleine Szene des zweiten Aktes erwähnt, bevor José zum Appell gerufen wird. Wenn Carmen ihm entgegenhält, „…pourquoi es-tu jaloux?…Eh bien, si tu le veux j´ai danserai pour toi seul“ kommt das nicht herüber, als ob eine Frau zur Verführung ihres Favoriten ansetzt, sondern wirkt eher wie eine Pflichtübung. Fraglos kann Wundsam die Carmen singen. Allerdings stößt sie wohl doch an Grenzen, denn zumindest im Finale II kam es zu einigen Schärfen. José war Lance Ryan, ein veritabler Wagner-Tenor, dem es von seinem vokalen Potential her keine Mühe macht, sowohl Carmen als auch notfalls das ganze Ensemble „zuzudecken“. Er bezahlt das allerdings mit einer gewissen Vibrato-Armut, sodaß manche Phrasen recht steif klingen. Zudem flüchtete er sich mehrfach in die Kopfstimme. Ob ihm das beim hohen B der Blumenarie in Wien oder München verziehen worden wäre, darf man bezweifeln.
Den Escamillio hatte sich die Kölner Oper in Gestalt von Dmitry Lavrov von der benachbarten Rheinoper „ausgeliehen“. Er ist der Tessitura mit ihren extremen Höhen und Tiefen gewachsen, blieb allerdings als Figur blaß. Den meisten Glanz verlieh dem Abend die Micaela der Claudia Rohrbach. Mit blonder Hochsteckfrisur, weißer Designer-Bluse und mädchenhaft himmelblauem Rock wurde sie der Rolle schon äußerlich gerecht. Sie verstand es aber auch, die allzuoft nur als naive Landpomeranze dargestellte Micaela mit einer gehörigen Portion weiblichen Charmes auszustatten. Zudem phrasierte sie elegant und wußte, ihren gut sitzenden Sopran sowohl in den Ensembles als auch in ihren beiden Arien wirkungsvoll einzusetzen. Rollendeckend sangen die Opernstudio-Mitglieder Luke Stoker und Wolfgang Stefan Schwaiger den Zuniga und den Moralès. Die polnische Mezzosopranistin Marta Wryk setzte als Mercédès deutlich bemerkenswertere Akzente als ihre irische Kollegin Aoife Miskelly (Frasquita). Sie scheint im Gegensatz zur Protagonistin das „Carmen-Gen“ in sich zu tragen, sodaß man gespannt sein darf, ob sie sich früher oder später in der Titelpartie bewähren wird. Martin Koch (Le Dancaire), Alexander Fedin (Le Remendado) und Boris Djuric (Andrès) komplettierten das Ensemble.
Klaus Ulrich Groth