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KÖLN/ Kolumba Kunstmuseum: TAGEBUCH EINES VERSCHOLLENEN (JANACEK) / SAVITRI (HOLST). Premiere

31.05.2015 | Oper

KÖLN: TAGEBUCH EINES VERSCHOLLENEN (JANACEK) / SAVITRI (HOLST)

Premiere am 30. Mai 2015

 Die Kölner Oper ist den Wechsel von Ausweichquartieren gewohnt, dürfte am 7. November ihre gegenwärtige Präsenz in der akustisch nicht immer tauglichen „Oper am Dom“ aber beenden können, so die Sanierung des „alten“ Hauses am Offenbach-Platz wie geplant abgeschlossen ist. Mitunter hatte man aber fremde Spielstätten für bestimmte Stücke auch ausgezielt gesucht: das Oberlandesgericht für „Titus“, die Trinitatiskirche für Brittens „Turn of he Screw“ und Wolfgang Rihms „Jakob Lenz“ und jetzt Kolumba, das Kunstmuseum des Erzbistums Köln. In diesem mehrstöckigen Riesengebäude, wo historische und moderne Architektur miteinander verzahnt sind, wird gerade eine neue Ausstellung „playing by heart“ gezeigt, welche als Gegenbilder des Schmerzes „Freude und Hoffnung“ Raum geben möchte.

 Diese Begriffe sind natürlich extrem weitläufig, man könnte sie auf viele Objekte beziehen. Ob Leos Janáceks „Tagebuch eines Verschollenen“ und Gustav Holsts „Savitri“ zwingend zu ihnen gehören, kann man diskutieren. Immerhin führte  die Wahl dieser beiden Werke zu einem Kontakt  der Oper mit dem Kolumba-Museum, welches seine Räume erklärtermaßen gerne für einen unorthodoxen Musiktheaterabend zur Verfügung stellte. Für Janácek wählte man den Ausgrabungsraum, wo historische Restbauten eine Art von Trümmerlandschaft bilden. Hinzu gefügt sind moderne Stützsäulen in Raumhöhe und eine begehbare Holzbrücke für Besucher. Holst findet in einem oberen Ausstallungsraum statt, in welchem Bernhard Leitners „Installation „Serpentinata“ von 2004/14 zu sehen ist, eine schlangenartig gewundene Schlauchskulptur, aus deren kleinen Lautsprechern es fortwährend tönt und spricht (natürlich nicht während der Aufführung).

 Obwohl beim „Tagebuch eines Verschollenen“ ein Mezzo-Auftritt stattfindet und aus dem Hintergrund verschiedentlich ein Frauentrio ertönt, handelt es sich letztlich um einen solo-tenoralen Liederzyklus. Die ihm zugrunde liegenden, zunächst als anonym geltenden Gedichte erschienen 1916 in einer mährischen Zeitschrift. Sie erzählen von dem „anständigen“ Bauernburschen Janek, der sich von der erotisch faszinierenden Zigeunerin Zefka in die Ferne locken lässt (man assoziiert Bizets “Carmen“). Dass die Story Janácek ansprach, hatte vielleicht auch mit seiner Liebe zu Kamila Stösslova zu tun. Seiner bezwingenden Vertonung hört man die Nähe zu „Jenufa“ an

 Obwohl der Komponist selber an eine Bühnenaufführung dachte, ruft die weitgehend monologische Struktur des Werkes nicht unbedingt danach. Aber es hat verschiedentlich Aufführungen in jüngerer Zeit gegeben, zuletzt in der Werkstatt der Berliner Staatsoper, wo man Janácek mit Francis Poulencs „Voix humaine“ koppelte. Jeweils Reflexionen über eine Liebe, die in Einsamkeit verglüht. In Köln hält man sich an das Motto der Kolumba-Ausstallung, wobei die Begründung allerdings kluger Erläuterungsworte bedarf. Bei „Savitri“ wirkt der Bezug unmittelbarer. Der schönen Protagonistin (in der Mythologie mit göttlichem Hintergrund) gelingt es mit einem intellektuellen Trick, ihren Gatten, den Holzfäller Satyavan, dem  (in der Oper personifizierten) Tod zu entreißen. Dem Paar winkt eine neue glückliche Zukunft. Eine vorjährige Inszenierung in Coburg ergänzte „Savitri“ sinnfällig mit Glucks „Orfeo“

 Ihre  Handlung hat Holst in eine emotional vibrierende, romantisch überhöhende Musik gekleidet, die zu der von Janácek in einem reizvollen Kontrast steht (Uraufführung 1916). Die Leitung beider Werke hat in Köln RAINER MÜHLBACH, vor allem zuständig für das Opernstudio (aus welchem sich ein Teil der Mitwirkenden rekrutiert) und der Kinderoper. Bei Janácek ist er als schon oft bewährter Klavierbegleiter im Einsatz, bei Holst leitet er umsichtig ein Kammerorchester, welches aus Mitgliedern des GÜRZENICH-ORCHESTERs und Studierenden der Musikhochschule besteht.

 Selbst wenn man den großen Nachhall der Räume in Rechnung stellt, welcher die Stimmen wie auf Wolken trägt,  lässt sich über die Sänger des Abends (bis hin zu den Lontano-„Choristen“) verlässlich nur das Allerbeste sagen. JOHN HEUZENROEER hat sich bislang wohl noch nie so expressiv lyrisch ausdrücken können wie jetzt in Janáceks „Tagebuch“. Er meistert seine einigermaßen heikle Partie mühelos bis hin zu extremen Spitzentönen. Bei ADRIANA BASTIDAS GAMBOAs Stimme fasziniert sofort ein erotischer Grundton, welcher auch bei der kurzen Janácek-Partie Wirkung macht (man vergleiche diesen Eindruck mit der Youtube-Aufzeichnung von de Fallas „El amor brujo“ beim Symfonieorkest Vlaandern aus dem Vorjahr). In Holsts „Savitri“ erreicht das Organ der jungen Kolumbianerin fast schon hochdramatische Dimensionen. TAEJUN SUNs lyrischer, gleichwohl prachtvoll ausladender und maskuliner Tenor (Satyavan) begeistert nicht zum ersten Mal; von ihm gibt es gleich mehrere informative Youtube- Beispiele. Dritter im Bunde des „Savitri“-Ensembles ist LUKE STOKER (Tod), dessen kraftvoller Bass nur so durch den Raum flutet. Für alle Sänger hochbrandender Schlussbeifall.

 Für die Regie zeichnet BÉATRICE LACHAUSSÉE verantwortlich, deren „Jakob Lenz“ mit viel Lob und Auszeichnungen bedacht wurde. Dass sie mit den Stücken von Janácek und Holst („Savitri“ inszenierte sie in kleinem Rahmen schon einmal) vertraut ist, wurde unmissverständlich bereits bei einer Pressekonferenz zwei Tage zuvor evident. Ihr szenisches Konzept kommt jedoch über sportive Anweisungen für John Heuzenröder („Tagebuch“) und oratorisches Schreiten bei Holst kaum hinaus. Ausstatterin NELE ELLEGIERS hat den Ausgrabungsraum mit einer Treppe ergänzt, welche zu einem erhöhten Raum führt, hinter dessen Vorhang die Regisseurin Schattenspiele veranstaltet, welche das Auge immerhin zeitweilig beschäftigen. Bei „Savitri“ ist neben „Serpentinata“ natürlich kaum Platz für anderes Dekor; das nüchterne Spielpodest wirkt also angemessen. Dafür sind die exotischen Kostüme nachhaltig prägend. Der Treppenaufstieg von Janacek zu Holst wird übrigens von einem Geiger angeführt, welcher ein Thema aus „Savitri“ intoniert. Dieser Ortswechsel kommt fast einem sakralen Akt gleich.

 Die Publikumsreaktionen bei dieser (in toto wirklich nur gut zu heißenden) Produktion sollte die Kölner Oper auch in den Folgevorstellungen genau bilanzieren. Wie es scheint, beseitigt der ungewöhnliche Spielort nicht wenig das, was gemeinhin als Schwellenangst bezeichnet wird. Die unorthodoxen Räumlichkeiten laden somit auch ein Publikum ein, welches mit Oper sonst vielleicht nicht viel am Hut hart. Auch wenn am Offenbach-Platz demnächst wieder alles im Schuss ist, sollte man (ergänzend zur Kinderoper) alternative Spielorte immer wieder mal anvisieren.

 Christoph Zimmermann

 

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