KÖLN: FALSTAFF
Premiere am 30. Oktober Besuchte Zweitvorstellung am 4.November2016
Es kommt nicht gerade häufig vor, dass ein Regisseur stoffgleiche Opern in kurzem Abstand hintereinander inszeniert; bei Dietrich Hilsdorf ist dies jetzt geschehen. An der Deutschen Oper am Rhein brachte er Nicolais „Lustige Weiber“ heraus (gerade wurde die Übernahme ins Duisburger Haus annonciert), in Köln machte er sich (elf Jahre nach einer Essener Produktion) an Verdis „Falstaff“. Da Spielpläne lange im voraus festgelegt werden, ist dies durchaus tolerabel, mehr jedenfalls als der Zusammenfall von Premierenterminen an nur wenige Kilometer auseinander liegenden Theatern wie jetzt gleich zweimal in Bonn und Köln. Da aktuell der Besuch von „Lucia di Lammermoor“ aus bestimmten Gründen Vorrang hatte, war Gelegenheit gegeben, erste Reaktionen auf den Kölner „Falstaff“ zur Kenntnis zu nehmen. Das sei an dieser Stelle nicht ausgewertet, doch darf in einem bestimmten Punkt später darauf zurückgekommen sein.
Die Unterschiede zwischen den Werken von Nicolai und Verdi sind vielfältiger Art. Um nur das Finale zu nehmen. Bei Nicolai haben die lustigen Weiber das Singen (was intentional der Shakespeare-Komödie „The merry wives of Windsor“ entspricht), bei Verdis Schlussfuge ist der titelgebende Falstaff der Wortführer. Und er äußert sich mitnichten als ein zur Raison gebrachter Depp, nicht kleinmütig oder gar zu Boden gedrückt. Nein, er zieht klug und weise Bilanz, seine Niederlage (wie auch die von anderen) überlegen belächelnd.
Das „Tutto nel mondo è burla“ inszeniert Hilsdorf als große Salonparty, wo sich der sonst eher an den Szenenrand gedrängte Chor in feinem Schwarzen (Kostümbildnerin RENATE SCHMITZER hat wieder einmal groß ausgeholt) über ein üppiges Buffet hermacht. Der Herr Ford hat’s ja. Er ist vielleicht kein Neuheadelter wie Jahre später Faninal im Rosenkavalier“, aber vielleicht doch ein Emporkömmling, welcher nun um Geld und Gattin bangt.
Möchte Falstaff zu dieser Upper Class gehören? Er hat zweifellos bessere Tage gesehen, sein mittlerweile ungepflegter Frack zeigt es. Der umgeschnallte Polsterbauch (aus dem er nach seinem Bad in der Themse das Wasser auswringt – die Souffleuse geht ihm hier zur Hand) gibt leichte Rätsel auf. Man könnte ihn als etwas abwegiges Statussymbol ansehen, mit dem Falstaff versucht, mehr zu scheinen als er ist. Aber das wäre in den Zwanziger Jahren, wo Hilsdorf die Handlung in etwa ansiedelt, eine etwas abstruse Idee. Im übrigen befindet der Regisseur (in einem Vorab-Interview): „Der Typ ist dick und will und muss essen.“ Das gilt doch aber wohl doch nur bei einem echten Bauch. Man kann Hilsdorf hier also nur bedingt folgen; die Erklärungen der gelesenen Premierenkritiken sind übrigens allesamt ziemlich vage.
An dem abgehalfterten Titelhelden, der nur noch in einer herunter gekommenen Wirtschaft (mit einem armen Nuttengirl als personalem Inventar) geduldet wird, muss wohl doch irgendetwas dran sein. LUCIO GALLO (er war 2014 schon Kölns Jago) besitzt das gewisse Etwas eines zwar gealterten, aber noch nicht überalterten Schwerenöters, der mit seinem leicht plumpen Charme noch immer Wirkung macht. Bei Nanettas Arie im letzten Bild, wo Sommernachtstraum-Atmosphäre aufkommt, lässt sich Alice, welche Zuneigung für Falstaff bislang nur spielte, von der narkotischen Situation zu echtem Flirten hinreißen. Dass sich Falstaff und Ford am Ende gewissermaßen verbrüdern, ist freilich ein wenig weit gegangen. Der immer wieder so großartig erlebte Regisseur ist mit seinem Kölner „Falstaff“ sicher nicht zum Optimum seiner Möglichkeiten vorgedrungen, Dennoch bietet er eine ungemein unterhaltsame Inszenierung, die unter Einbeziehung skurriler Nebenfiguren und Nebenaktionen immer wieder feinen oder auch deftigen Humor versprüht.
Besondere ästhetische Reize bietet die Ausstattung DIETER RICHTERs. Ein beweglicher Zwischenvorhang mit aufgedrucktem Renaissance-Gemälde teilt das nach vorne spitz zulaufende Bühnenpodium schwerelos in Wirtshaus und Ford-Salon – ein optisches Zauberspiel. Im Hintergrund eine von Türen unterteilte Wand, wo sogar die Stützsäulen der Hausarchitektur, jetzt mit Kapitellen versehen, optisch sinnprägend wirken.
Dass der vielseitige Lucio Gallo (u.a. Telramund in Bayreuth) ein Falstaff von eigener Typik ist, wurde bereits gesagt. Dem genuinen Komödianten muss diese vielschichtige Partie besonders liegen, und er tut alles, um der Figur bei allem mit ihr getriebenen Spott Nobilität zu bewahren. Dass Gallos Bariton kein effektiv ausladender ist (wie etwa der des unvergessenen Giuseppe Taddei), kommt ihm fast schon zugute. Eine echte Gegenspielerin findet der Sänger in DALIA SCHAECHTER als Mrs. Quickly. Die Künstlerin schauspielert bis in ihre Fingerspitzen hinein und singt dazu mit koketter Süffisanz. Nichts von einer kupplerischen Alten, als welche man die Partie häufiger erlebt hat.
NATALIE KARL gibt eine quirlige, leicht damenhaft „gedämpfte“ Alice, nicht immer ganz schwerelos bei einigen Höhenaufgängen, aber doch locker und charmant. Ihre Karriere begann einst im Kölner Opernstudio (auch die ihres Mannes Matthias Klink) Aus dieser Zeit ist vor allem ihre Nachtigall (Strawinsky) noch in guter Erinnerung. Die junge Georgierin MARIA KUBLASHVILI gehört derzeit zu diesem Nachwuchs-Ensemble. Ihre liebenswert mädchenhafte Nannetta (Premiere: Emily Hindrichs) rechtfertigt, dass man ihr jetzt einen „großen“ Auftritt einräumte. Bei „Sul fil d’un soffio etesio“ schwebt sie wirklich auf Flügeln des Gesanges. ADRIANA BASTIDAS GAMBOA bringt als Meg Page einmal mehr ihren attraktiven Mezzo zur Geltung. Als Figur lässt sie die Inszenierung ein wenig im Hintergrund.
Den Ford umreißt NICHOLAS PALLESEN mit machtvollem Bariton. Zu seinem Deutschland-Debüt gesellt sich das des armenischen Tenors LIPARIT AVETISYAN. Dessen attraktive Stimme ist für den Fenton fast schon etwas zu kraftvoll. Als Lenski, Werther oder José (alles schon gesungen) dürfte er noch rollenstimmiger wirken. Aber der junge Mann ist vokal schmeichelnd, dazu gut aussehend und erfreut mit überreichem maskulinem Charme. Wie im Grunde immer weiß MARTIN KOCH der gerade verkörperten Rolle eine individuelle Bühnenphysiognomie zu geben. Sein tumb verzweifelter Dr. Cajus ist einfach umwerfend. Sprühend vor Spiellaune auch RALF RACHBAUER (Bardolfo) und LUCAS SINGER (Pistola), beide mit starker vokaler Power.
Für die Positionierung des GÜRZENICH-ORCHESTERs im derzeitigen Kölner Provisorium „Staatenhaus“ wird immer wieder nach werkpassenden Lösungen gesucht. Angesichts einer wandlosen Shakespeare-Bühne, von welcher die Akteure und auch der Chor immer wieder mal den Weg ins Auditorium finden, ist es durchaus sinnvoll, die Musiker linksseitig bis nahe zum Publikum zu platzieren und nicht hinter Vorhängen zu „verstecken“ wie etwa bei „Parsifal“. Auf diese Weise erlebt man zudem gewissermaßen eine zweite theatralische Vorstellung. WILL HUMBURG, mittlerweile fest in Darmstadt tätig, ist nun einmal ein aufwühlender und aufgewühlter Dirigent, welcher mit unmissverständlicher Gestik für Präzision sorgt und für dramatische Vesuvausbrüche in der Musik sorgt. Mit Verdi besitzt er in Köln so etwas wie Heimrecht, überzeugte zuletzt aber auch mit Wagners Bühnenweihfestspiel. Bei Mozart wäre vielleicht ein neuer Wirkungstest zu machen. Nicht dass man dessen Musik hauchzart serviert bekommen möchte, aber Filigranes wäre hier stärker vonnöten als bei dem impulsiven Verdi. Beim „Falstaff“ wirkt unter Humburgs Händen Manches leicht „knallig“ (wie jüngst auch bei Jacques Lacombe und seiner Bonner „Lucia“). Besonders die Posaunen lässt der Dirigent regelrecht fetzen. Die Capricen der Holzbläser tönen unter seiner Hand aber auch sehr überzeugend. Ein, zwei Tempostauungen überraschen (und überzeugen dann). Ein vitaler Abend insgesamt, vom Publikum merkbar genossen.
Christoph Zimmermann