KÖLN: DIE EROBERUNG VON MEXIKO von Wolfgang Rihm Premiere am 5.Mai 2016
Wie in dem der Premiere vorausgehenden Einführungsvortrag angemerkt: seit der Hamburger Uraufführung 1992 hat Wolfgang Rihms „Die Eroberung von Mexiko“ etliche Neuproduktionen erfahren, seltener Erfolg für ein so hautnah entstandenes Werk. Sogar die Salzburger Festspielinszenierung vom Vorjahr (Peter Konwitschny) kam beim Publikum an. Nun aber – nach ihrem Transfer in Kölns Staatenhaus – meldet sich auch Widerspruch, in der Premiere sogar vehement. Aus der städtischen Philharmonie wurde vor einiger Zeit medienweit ein Vorgang öffentlich gemacht: ein einsamer Rufer hatte sich lautstark gegen die Widergabe eines Steve-Reich-Stückes in einer Konzertreihe verwahrt, welche üblicherweise Freundliches für Seniorenohren bietet. Das war natürlich kein gutes Benehmen, wie auch jetzt bei der Rihm-Premiere ein Protestler aus den Zuschauerreihen zur Ordnung gerufen wurde. Nach Beendigung einer Aufführung mag man sich ja nach Gusto äußern, bei Bedarf heißblütig (wenn auch – bitte – gesittet). Einer Print-Rezension fehlt naturgemäß die Phonstärke, bereits dies verhindert weitgehend schlechtes Benehmen. Aber es sei gestattet, gegen eine (durchaus beweisbare) Erfolgsstory aufzumucken.
Die Genrebezeichnung bei „Die Eroberung von Mexiko“ lautet „Musiktheater“. Es nimmt also nicht wunder, dass es einen erzählkontinuierlichen Dialog nicht gibt, sondern dass lediglich isolierte Wortpartikel über die Musik verstreut sind. Die hat Rihm als sein eigener Librettist vor allem “La conquète de Mexique“ entliehen, einem Text des von ihm besonders geschätzten Autors Antoine Artaud. Hinzu kommen, bevorzugt an den Enden der vier Teile, Gedichte von Octavio Paz. Für einen Zuschauer ohne penible Vorbereitung ist es nicht leicht, den Sinnzusammenhang dieses Librettos zu verfolgen. Auch die Übertitel erfordern intellektuelles Nachsinnen, was man aber bald aufgibt, um nicht den Anschluss an die Inszenierung zu verlieren.
Klar macht diese sogleich dies: es geht nicht wie 1742 bei Carl Heinrich Grauns „Montezuma“ um die Konfrontation des historischen Mexiko-Kaisers mit dem europäischen Konquistador Cortez (trotz verbliebener Rollennamen), sondern um einen überzeitlich verstandenen Geschlechterkampf. Cortez ist ein Bariton, Montezuma ein Sopran. Die weibliche Partie wird ergänzt bzw. überhöht (je nach Auslegung) durch einen Stratosphären-Sopran und einen Kontraalt, der männliche durch zwei krächzende, hüstelnde Herren, eine Maßnahme, welche – so Konwitschny – die Divergenz beider Geschlechterprinzipien unterstreichen soll. Schon hier maßlos intellektueller Ballast, der aber nur bedingt Wirkung macht. An „Mexiko“ im Werktitel erinnern nur einige optische Details im Bühnenbild Johannes Leiackers, so das in einem klinisch modernen Wohnraum zentral aufgehängte „autobiografische“ Frida-Kahlo-Gemälde „Der verwunderte Hirsch“.
Die Artaud’sche Wortfolge „neutral – weiblich – männlich“ durchzieht das ganze Werk. Bereits das bloße Nebeneinander signalisiert Unversöhnlichkeit. „Die Eroberung von Mexiko“ mündet zwar in einen friedfertigen (?) Zwiegesang a cappella, aber hier kommen die Protagonisten erst als Tote zusammen. Also nicht viel Hoffnung für Akzeptanz im realen Leben.
Für Konwitschnys in toto großartige, auch bei Massenszenen hochvirtuose Arbeit spricht besonders, dass sie die rabenschwarze Perspektive des Sujets nicht in eine bleischwere Inszenierung münden lässt. Es gibt – beginnend mit dem nervös hektischen Kennenlernen – immer wieder Momente von skurrilem Witz, welche den schon mal ermüdeten Zuschauer hochreißen. Dazu gehört nicht zuletzt das vierte Bild, in welchem die digitale Welt unserer Jetztzeit karikiert wird (fettFilm liefert hierzu wirbelnde Projektionen).
Überaus fesselnd sind die Sängerleistungen. Die Litauerin Ausrine Stundyte, welche bis vor sieben Jahren dem Kölner Ensemble im lyrischen Fach angehörte (besonders erinnerlich ihre Cio Cio San) und mittlerweile ins dramatische Fach vorgedrungen ist (Tosca, Fidelio-Leonore, Kundry), gibt Montezuma mit weiterhin leuchtendem Sopran und darstellerisch äußerst gespannt. Diese Partie verkörperte sie 2013 bereits in Madrid, von wo die Oper Köln auch die Bandeinspielungen der Chorpartien übergenommen hat. Um einige Grade wird sie noch überflügelt von Miljenko Turk (Cortez), ebenfalls lange Jahre fest an Köln gebunden, jetzt nur noch Gast. Der ungemein vielseitige Bariton aus Kroatien hat sich immer wieder auch in zeitgenössischen Opern bewährt, so 2014 als Rihms Jakob Lenz. Seine jetzige Leistung ist mit mehr als nur drei Sternen zu dekorieren: ein Singschauspieler auf einsamem Gipfel. Auch Konwitschny reagierte im Zuschauerraum immer wieder mit spontaner Begeisterung.
Die Schwedin Susanna Andersson (Sopran) zwitscherte ihre unglaublichen Töne bereits in Salzburg, Kismara Pessatti orgelt ihre Altpartie erstmals. Fels in der Brandung der Aufführung ist Alejo Pérez, wie sie aus Brasilien stammend. Sein Köln-Debüt gab er mit „Jakob Lenz“. Er hält die Aufführung mit den im Saal verstreuten Gruppen des Gürzenich-Orchesters vital und sicher zusammen. Das dient der Musik Rihms vor allem.
Zu ihr am Schluss der Rezension. Wahrscheinlich werden diese Zeilen dem Werk nicht gerecht. Aber von einigen farbdramaturgischen Momenten (zwei Violinen für schmerzdurchzogene Soli, atmosphärische Trommelwirbel u.a.) abgesehen, wirkt sie für das Empfinden des zeichnenden Kritikers vor allem geräuschhaft, enervierend geräuschhaft sogar, steigert sich immer wieder in Fortissimo-Explosionen hinauf, beruhigt sich nur selten zu emotional wirklich überzeugenden Passagen. Der Rezensent steht vermutlich alleine auf weiter Flur, aber verleugnen möchte er sich nicht.
Christoph Zimmermann