David Babayants, Zurab Zurabishvili. Foto: Lukas Beck
Klosterneuburg: „LA FORZA DEL DESTINO“ – 8.7.2021
Heuer endlich war die „forza“ stärker als „il destino“, das die Verdi-Oper im Vorjahr erdulden musste – nämlich die Corona-bedingte Absage. Umso größer der Andrang des Publikums, eines – wie immer an diesem Ort, im wunderbaren Kaiserhof des Stiftes mit seiner guten Akustik und besten Sichtverhältnissen – offensichtlich sehr interessierten und kundigen Publikums! Dessen alljährliche Präsenz ist nicht zuletzt dem tüchtigen Intendanten Michael Garschall zu verdanken, der stets ebenso gute Regisseure wie Dirigenten und Sänger findet, die immer wieder mit Leistungen überraschen, wie man sie sich allabendlich an weit prominenteren Häusern wünschen würde.
Die größte Errungenschaft war diesmal, dass die umstrittene Verdi-Oper, deren Glaubwürdigkeit als geschlossenes Drama sehr leicht an den oft unnötig großen Umbaupausen zwischen den einzelnen konträren Szenen scheitert, diesmal durch die raffinierten Wand- und Treppenverschiebungen im Einklang mit der Musik an Spannung sogar zulegte. Alle Wände, einschließlich Bühnenumrandung, waren mit glitzernden schwarzen Belägen behaftet, sodass stets eine geheimnisvolle Umwelt zugegen war. Die Drehbühne fand ebenso viel Einsatz wie diverse Treppen, über die z.B. die Angehörigen der „chiesa della Madonna degli Angeli“ und später Leonora herabschritten. Die allgegenwärtigen leuchtenden Kreuze an diversen schwarzen Wänden suggerierten nicht nur die sakralen Schauplätze, sondern auch die entsprechenden Emotionen der auftretenden Personen zwischen Hoffnung und Verzweiflung.
Leicht hat Verdi es sich mit diesem Libretto von Francesco M. Piave ja wirklich nicht gemacht. Im 18. Jh. teils in Spanien, teils in Italien spielend, zwischen Franziskaner Mönchen, Maultiertreibern, spanischen und italienischen Soldaten und Volk beider Nationen, Marketenderinnen und Lagerdirnen, einer jungen Zigeunerin, Dienern des Marchese di Calatrava, Kriegsvertriebenen, italienischen Rekruten und armen Weibern und Bettlern – das alles, wie man so schön sagt, auf einen Nenner zu bringen, d.h. ohne Spannungsseinbuße, ist schon eine Leistung. Sie wurde vollbracht!
Inszenierung: Roman Pölsler, Bühne: Hans Kudlich, Kostüme: Andrea Hölzl, Maske: Tina Feßl, Licht: Lukas Siman, dazu die Choreografie von Monica I. Rusu-Radman.
Mit Einsetzen der Ouvertüre wusste man aber auch, dass der Theatermensch Giuseppe Verdi zugegen war. Maestro Christoph Campestrini, obgleich in Linz geboren und weltweit tätig, machte seinem italienischen Familiennamen alle Ehre und dirigierte die Beethoven Philharmonie zugleich so locker wie mit festem Zugriff, dass man bereits erraten konnte, worum es in dieser Oper geht: um die gegensätzlichsten Empfindungen der so gegensätzlichen Charaktere und Personengruppen, vor allem aber um hoch- bis überempfindsame Menschen, deren Emotionen, wie etwa beim baritonalen Bruder der Leonora, aber auch zerstörerisch sein können. Wunderbare Soli, wie das der 1. Violine (Konzertmeister Hartmut Ometsberger) oder der Harfe („Pace, pace, io dio“) konnten im abendlich stillen Burghof besonders genossen werden.
Der Chor, geleitet von Michael Schneider, nennt sich „operklosterneuburg“ und scheint sich aus vornehmlich Einheimischen zusammenzusetzen, die mit sicht- und hörbarer Spielfreude im Einsatz waren. Neben den vokalen Anforderungen warten da ja auch unzählige darstellerische auf jeden einzelnen.
Die vom Komponisten Donna Leonora di Vargas, Don Carlo die Vargas und Don Alvaro betitelten Protagonisten traten auch sicht- und hörbar als Angehörige eines höheren Standes auf. Die gebürtige Russin in der Primadonnenrolle, deren Opernbruder aus Armenien und deren Geliebter aus Georgien harmonierten wunderbar mit den noblen italienischen Vorgaben. Ebenso wie die geistlichen und weltlichen „Typen“ in den übrigen Rollen.
Karina Flores. Foto: Lukas Beck.
Karina Flores brachte die gleich zu Beginn in einem seelischen Konflikt befangene Donna Leonora, ihre spontane Hingabe an Alvaro, die Bereitschaft zur gemeinsamen Flucht und den späteren Selbstrettungsversuch durch Eintritt in ein klösterliches Leben optimal zum Ausdruck. Ihr sicher geführter, in allen Lagen wohlklingender Sopran, der alle Gefühle dieser Frau hörbar macht, vom Liebesgeständnis „Son tua…col core e colla vita“ über das „Pace“-Bedürfnis bis zur „Maledizione!“ war in allen Situationen voll präsent. Zurab Zurabishvili, zuletzt in Klosterneuburg ein fabelhafter Hoffmann und letzten Oktober von mir in einem wunderbaren Solokonzert im Millstätter Dom gehört, dürfte im Corona-Jahr nicht allzu viele Auftrittsmöglichkeiten gehabt haben, denn dass er bei einigen hohen Tönen besonderen Nachdruck üben musste, kann ich, gewohnt an seine Höhenstrahlkraft, nur damit begründen. Aber natürlich war seine Bühnenpräsenz so perfekt wie in allen anderen Rollen (incl. u.a. als Otello): im Liebesduett, im Freundschaftsduett mit Leonoras Bruder, in „Solenne in quest’ora“, im unsinnigen Abwehrkampf gegen dessen ungerechtfertigte Anschuldigungen bis zum finalen „Morta!“ war er ein ergreifender Don Alvaro. Mit prächtigem Bariton und vielschichtiger Charakterisierung des rachebedürftigen Bruders erfreute auch David Babayants. Schon als „Studente“ unter den kriegsbegeisterten Landleuten und angesichts der raffinierten Weissagerin Preziosilla spielt er sich wichtigtuerisch, dabei aber immer schön- und vollstimmig und mit wunderbaren Legato-Phrasen auf, ebenso wie später seinem Rivalen gegenüber, bis ihn dessen Speer tödlich trift.
Margarita Gritskova. Foto: Mark Glassner
Zu einem wahren Star wird die Mezzosopranistin Margarita Gritskova (aus St. Petersburg, aber schon lange in Wien eingemeindet) in der Rolle der Preziosilla – optisch, tänzerisch brillant. Da „rührt sich was“, wenn sie inmitten diverser Chorgruppen bühnenbeherrschend agiert!
Auch alle übrigen Rollen sind gut bis sehr gut besetzt.
Der Senior unter den Solisten, Ks. Walter Fink, darf mit würdigem Auftreten als hier leider kurzlebiger väterlicher Marchese di Calatrava an seine große Bass-Vergangenheit erinnern. Als Padre Guardiano kann Matheus Franca, gebürtiger Brasilianer, sein menschliches Wohlwollen in satte Basstöne kleiden. Der gebürtige Rumäne Marian Pop bezeugt als Fra Melitone mit passendem Bassbariton, dass es in diesen Kreisen nicht immer tierisch ernst zugeht. Bariton Lukas Johan als Alkaide und Chirurg und Anja Mittermüller, geb. in Klosterneuburg, und bereits mehrfach Preisträgerin in Gesangswettbewerben, lässt als Leonoras Fluchthilfe leistende Dienerin Curra mit hellem, leuchtendem Sopran aufhorchen.
Für alle Besucher, denen das auf der Bühne zu hörende schöne Italienisch nicht zu vollem Wortverständnis reicht, läuft an beiden Seiten der Bühne rot leuchtend der deutsche Text mit. Aber das ist gewiss nicht der einzige Grund dafür, dass in dieser Produktion alles verständlich wird, was die Autoren mit „La forza del destino“ uns zeigen und lehren wollten.
Sieglinde Pfabigan
PS: Noch gibt es 7 Aufführungen, möglicherweise mit Restkarten …