Oper KIosterneuburg/Stiftshof: „DON CARLO“ – 18.7. 2024
Günther Groissböck. Foto: operklosterrneuburg
Man sollte es nicht glauben – schöner, gescheiter und eindringlicher ist die grandiose Verdi-Oper in Zeiten wie diesen, wo Regisseure sich allzu häufig selbst inszenieren, um auf sich aufmerksam zu machen, kaum vorstellbar. Schon im Vorjahr war unser Staunen gewaltig und bei der heurigen Wiederaufnahme, alternierend mit der Neuproduktion von „Norma“, sah und hörte man dankbar einmal mehr in das grandiose Schiller’sche Drama in der tief berührenden Vertonung durch den großen Italiener hinein und war gefesselt vom ersten bis zum letzten Ton sowie von allen Szenen mit ihrer vortrefflichen Optik, sowohl was die Bühnengestaltung wie auch die trefflichen Kostüme für alle Mitwirkenden betraf.
An diesem hochsommerlichen Werktag war der nicht nur optisch, sondern auch akustisch den Aufführungen förderliche, wunderschöne Burghof so gut wie ausverkauft. Und von Anfang bis Ende vernahm man keinen störenden Laut aus dem Publikum, das sichtlich von allem gebannt war, was auf dieser breiten, nach hinten sachte ansteigenden Bühne sowie aus dem gut überschaubaren Orchestergraben unter der vortrefflichen Leitung von Christoph Campestrini zu sehen und zu hören war. Die Badener Beethoven Philharmonie und der Chor operklosterneuburg beeindruckten ebenso.
An erster Stelle ist der große Habsburger König Philipp II. zu nennen. Man darf es als geradezu sensationell bezeichnen, dass der gebürtige Niederösterreicher Günther Groissböck mit seinem profunden, noblen Bass nicht nur die Titelrolle singen durfte, sondern ihm auch die Regie anvertraut wurde. Man darf die Inszenierung, die das Regieteam unter „königlicher“ Leitung bewerkstelligte, getrost als königlich bezeichnen. Sei es die Co-Regie/Choreographie von Monica I. Rusu-Radmann, die Bühne von Hans Kudlich, die Kostüme von Andrea Hözl, die Maske von Marlies Tamara oder die Beleuchtung von Lukas Siman – da steckte gewiss eine tiefbefriedigende Zusammenarbeit aller Genannten dahinter. Die letztlich das Publikum, ob bereits werkkundig angereist oder erst an diesem Abend eingeweiht in die musikdramatische Meisterschöpfung, den relativ langen Abend konzentriertest in sich aufnahm.
Zu Zeiten, als die Habsburger eine Weltmacht waren, nichtsdestotrotz aber der Kirche mit dem „blinden“ Großinquisitor an der Spitze hörig zu sein hatten, werden uns in diesem Musikdrama menschliche Schicksale gezeigt, deren jedes einzelne große Fragen aufwirft, wie solche zu vermeiden wären. Die derzeitige Weltpolitik erweist sich als grausam aktuell. Die unendlich berührende Verdi-Musik sollte uns ja eigentlich weiterhelfen….
In den Hauptrollen erleben wir Sänger aus aller Welt, die fast alle an ersten Bühnen tätig sind.
Günther Groissböck ist allein schon figürlich ein Adeliger vom Scheitel bis zu Sohle und jeder Schritt, jeder Blick und jeder Ton zeigt ihn als führende Persönlichkeit, dem die Menschlichkeit aber noch nicht abhanden gekommen ist. Dass er von seiner Frau nicht geliebt wird, weil sie mit seinem Sohn hätte vermählt werden wollen, erweist sich als letztlich nur dank Verdis Musik wirklich begreifbar.
Gegenüber dem Vorjahr hat sich der tenorale Titelheld, Arthur Espiritu, noch um ein Vielfaches eindringlicher in seiner aristokratischen Unglücksrolle und seiner Aufopferungsbereitschaft gezeigt. Kräftiger, strahlender und auch leidvoller übersingt er diesmal das Orchester.
Unter den Damen ist eine besser als die andere: Karina Flores als königliche Elisabetta und Margarita Gritskova als Prinzessin Eboli sind vokal und optisch sowie in der Akzeptanz der ihnen auferlegten Rollen Aristokratinnen.
Als Großinquisitor beeindruckt Matheus França, als Mönch und Karl V. Beniamin Pop, als Tebaldo und Stimme vom Himmel Gabriela Hrženjak, in kleineren Rollen tun es Florian Machold und Ferdinand von Plettenberg….
Habe ich jemanden vergessen? Nein. Ganz im Gegenteil: Der sehr schätzenswerte Daniel Schmutzhard singt an allen Weltbühnen, incl. Wiener Staatsoper und Volksoper. Und er sang jetzt tadellos und intensiv den Marquis Posa. Dass er schon etwas älter aussieht als sein vorjähriger Kollege, ist kein Grund zur Klage. Aber den Idealismus, den Thomas Weinhappel im Vorjahr in dieser baritonalen Traumrolle ausstrahlte und wie er im Sterben über sich selbst hinauswuchs, körperlich und seelisch, vermag wohl zur Zeit kein anderer Sänger zu offerieren. (Zum Nachlesen: Festspielheft 2023, Seite 9-10.) Heuer singt er in Eutin den Kaspar im „Freischütz“. (Dort fahre ich hin.)
Sieglinde Pfabigan