KLOSTERNEUBURG / Kaiserhof: NORMA
6. Juli 2024 – Premiere
Margarita Gritskova (Adalgisa), Karina Flores (Norma). Foto: operklosterneuburg/Lukas Beck
Von Manfred A. Schmid
Seit der Uraufführung 1831 an der Mailänder Scala gilt Vincenzo Bellinis Norma als eine der am schwierigsten zu besetzenden wie auch umzusetzenden Opern. So gesehen ist es ein Wunder, dass diese Produktion überhaupt realisiert werden konnte, nachdem der langjährige Intendant Michael Garschall Ende Dezember des vorigen Jahres seinen sofortigen Rücktritt verkündet hatte und die Stadtgemeinde Klosterneuburg quasi über Nacht die Geschäftsführung – in der Person des Kulturbeauftragten Franz Brenner – übernehmen musste. Nicht zuletzt auch dank der Unterstützung durch langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnte die Saison 2024 gerettet werden, wie in den Begrüßungsreden festgestellt wird. Das Ergebnis der Bemühungen ist mehr als zufriedenstellend und verdient jedenfalls, in Anbetracht der widrigen Umstände, hohes Lob.
Die Handlung in der Belcanto-Oper entspinnt sich rund um eine Dreiecksbeziehung in dem von den Römern eroberten Gallien. Norma, eine Druidenpriesterin und Tochter des Oberpriesters Oroveso, die seit Jahren eine geheim gehaltene Beziehung zum römischen Prokonsul Pollione pflegt und mit diesem zwei Kinder hat, erfährt von ihrer Freundin Adelgisa, dass er sie mit ihr betrügt und verlassen will. Norma erwägt furchtbare Rachepläne, ist einmal sogar nahe daran, wie Medea ihrer Kinder zu töten, entschließt sich dann aber dazu, nicht Adelgisa mit Pollione auf dem Scheiterhaufen enden zu lassen, sondern geht selbst mit ihm Hand in Hand in den Tod. Um ihre Kinder, die sie Adelgisa anvertraut, zu retten, und weil sie erkennt, selbst gegen ihren Keuschheitsschwur verstoßen und sich dadurch schuldig gemacht zu haben.
Wie schon im Vorjahr in Verdis Don Carlo, der auch in dieser Saison ab 18. Juli wieder auf dem Programm steht, sorgt Hans Kudlich für ein imposantes, monumentales Bühnenbild mit wuchtigen, sich nach Innen krümmenden Eckpfeilern, die sich verengen und auf das von einem großen goldfarbenen, ovalen Emblem hinweisen: Das Heiligtum der Druiden, aber auch der Gong, an den Norma pocht, wenn sie das Voll zusammenrufen will. Die archaischen, roh behauenen Eckpfeiler, ein paar rote Säulen, die sich leicht abbauen lassen, um die Privatgemächer Normas etwas schlichter zu gestalten, und eine zum Heiligtum führende Treppe, mehr braucht es nicht. Eine helle, weiße Säule mit einem verzierten Kapitel, wie ein Fremdkörper wirkend, weist darauf hin, dass es sich hier um eine römische Provinz handelt.
Regie führt die aus Rumänien stammende Monica I. Rusu-Radman, schon seit 2005 als Choreografin, Abendspielleiterin und Regieassistentin der operklosterneuburg verbunden und im Vorjahr im Don Carlo Co-Regisseurin an der Seite von Günther Groissböck. Eine gute, wenn auch etwas statische Personenführung und klare Abläufe bei den Massenszenen schaffen die nötigen Voraussetzungen für einen recht gelungenen Opernabend ohne gewagte Experimente. Passend dazu auch die bunten, fantasievollen Kostüme von Anna-Sophie Lienbacher. Der eher handlungsarme 1. Akt schleppt sich zwar bis zur Aufdeckung der Dreiecksbeziehung etwas dahin, was sich im 2. Akt nach der Pause deutlich verbessert und zu einer doch noch ziemlich spannungsgeladenen Geschichte wird.
Foto: Mark Glassner/Operklosterneuburg
Die Titelrolle mit ihren seelischen Höhen und Tiefen ist eine der anspruchsvollsten, wenn nicht die anspruchsvollste Rolle im Sopranrepertoire. Gefragt sind eine kraftvolle, flexible Stimme, Vertrautheit mit dem Belcanto-Stil, enorme Bühnenpräsenz, Energie und ausgeprägte schauspielerische Fähigkeiten. Lilli Lehmann, eine der großen Norma-Darstellerinnen, meinte, dass Norma zu singen anstrengender sei als alle drei Brünhilden und „zehnmal anspruchsvoller als die Leonore“ von Beethoven. Die russische Sopranistin Karina Flores wurde 2021 in Klosterneuburg als Leonora in Verdis La forza del destino stürmisch gefeiert und war auch als Elisabeth in Don Carlo erfolgreich. Norma ist freilich ein schwereres Kaliber, aber Flores ist auch hier, was ihren Einsatz betrifft, energetisch aufgeladen. Besonders in den Szenen voll der Eifersucht und Rachegelüste kann sie mit ihrem nuancierten Sopran überzeugen. Die Koloraturen in „Casta Diva“ meistert sie mit Anstand.
Auch Margarita Gritskova ist mit der Open-Air-Bühne im Kaiserhof des Stiftes Klosterneuburg bestens vertrau und war im Vorjahr eine eindrucksvolle Eboli. Diesmal gibt sie eine einfühlsame Adalgisa, die vor allem in den Duetten mit ihrer Freundin und späteren Rivalin, wie etwa in „Mira, o Norma“, ihren Mezzosopran hellhörig und anpassungsfähig einsetzt und mit ihrer ausgewogenen Kombination aus Leidenschaft und technische Brillanz, eine Grundvoraussetzung des Belcanto-Gesangs, begeistern kann. Warum auf allen Plakaten und auf dem Programm aber Gritskova als Adalgisa und nicht Karina Flores in der Titelrolle abgebildet ist, bleibt für immer ein Rätsel.
Arthur Espiritu, als guter Don Carlo in bester Erinnerung, kann als Pollione nicht an diesen Erfolg anschließen. In den tieferen Lagen klingt der Tenor des philippinischen Sängers noch attraktiv, wird aber, wenn es in die Höhe geht, immer dünner und farbloser. Auch darstellerisch kann er nicht so recht punkten. Warum sich ausgerechnet zwei Frauen in ihn verlieben?
Der aus Rumänien stammende Bass Beniamin Pop ist ein stimmlich solider und darstellerisch gestrenger Oberpriester Oroveso. Das eröffnende „Ite sui colle, O Druidi“ trägt er mit„profundo“-artiger Klangfülle vor.
Gabriela Hrzenjak und Ferdinand von Plattenberg erweisen sich gute Besetzungen für die Nebenrollen von Clotilda, Normas Freundin, und Polliones Freund Flavio. Auch szenisch in den Massenaufmärschen der Druiden und Soldaten bewährt sich der von Michael Schneider einstudierte Chor operklosterneuburg.
Die musikalische Leitung liegt in den bewährten Händen von Christoph Campestrini, der mit der Beethoven Philharmonie aus der Partitur Bellinis, der bestimmt kein kreativer Orchestrier war, das Maximum herausholt.
Den grundsolide beginnenden Opernabend, der nach der Pause Fahrt aufnimmt und zu einem spannenden Drama mit einem heroisch-tragischen Ende wird, feiert das Publikum mit zufriedenem Beifall. Die operklosterneuburg ist trotz der zunächst ungünstigen Umstände weiter am Leben. Das ist Anlass zur Freude.