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KLOSTÈRNEUBURG / Babenbergerhalle: Premiere LA BOHÈME

10.07.2022 | Oper in Österreich
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Camille Schnoor (Mimì) und Clemense Kerschbaumer (Rodolfo). Alle Fotos: Operklosterneuburg / Roland Ferrigato.

Klosterneuburg / Babenbergerhalle: Premiere von LA BOHÈME in der Halle

9. Juli 2022

Von Manfred A. Schmid

Viele Jahre hindurch hatten Intendant Michael Garschall und sein Team Glück. Die Premieren konnten im Stiftshof vor der barocken Fassade stattfinden. Wetterbedingt musste sie heuer in die akustisch wie auch optisch berüchtigte Babenbergerhalle am Rathausplatz verlegt werden. Das kommt einem Supergau gleich, denn das Ambiente hat den Charme einer Bahnhofshalle im Ostblock, und es fällt schwer, in dieser Lokalität die Eigenart und Wirkung des Bühnenbilds von Hans Kudlich zu würdigen, so dass darauf besser verzichtet wird. Nur so viel: Der Hintergrund eröffnet oft einen Blick auf die Dachlandschaft von Paris, manchmal ist die Rückwand aber so hoch, dass diese Aussicht versperrt ist. Dafür erscheint darüber eine Tänzerin (Liviana Degen, choreographiert von Monica I. Rusu-Radman), die das kommende Unheil, den Tod von Mimì, schon zum Beginn der Oper ankündigt. Ganz penetrant wird dieses wandelnde Menetekel dann ab dem 3. Bild, wenn sich auch der Chor, alle mit Totenköpfen und Gerippen ausstaffiert (Kostüme Karine Van Hercke), dazugesellt sowie ein paar mit Schnabelnasen versehen dunkle Gestalten. Man fühlt sich wie in den Carneval von Venedig versetz. Damit wird die Intimität der von Puccini und seinen Librettisten Giacosa und Illica fein und einfühlsam gestalteten Todesszene, bei der Mimì von Rodolfo, dessen Künstlerkollegen und ihrer Freundin Musetta liebevoll umsorgt wird, zerstört und zu einem öffentlich zelebrierten Spektakel umfunktioniert. Der Todesengel dringt schließlich sogar in das Sterbezimmer, die Mansardenwohnung der Künstler, ein, und zu allem Überfluss taucht dann – wie im Salzburger Jedermann – auch noch der leibhaftige Tod selbst auf und stellt sich hinter dem Bett der dahinscheidenden Midinette in Positur. Dieser unnötige, die kammerspielartige Atmosphäre störende Eingriff ist ein schwerer Fauxpas in der ansonsten durchaus im Rahmen des Üblichen bleibenden Inszenierung von Francoise de Carpentries, die in puncto Personenführung sogar recht gelungen ist. Das bunte Geschehen mit den aus allen Ecken zusammenströmenden Menschenmassen vor dem Café Momus im 2. Bild ist – auch im eingeschränkten Rahmen des Ausweichquartiers – gut umgesetzt.

Auch musikalisch ist diese Neuproduktion der Operklosterneuburg durchwachsen. Um mit dem Erfreulichen zu beginnen: Die französische Sopranistin Camille Schnoor, die statt der vorgesehenen Litauerin Kamile Bonté bei der Premiere zum Einsatz kommt, ist als Mimì eigentlich keine Einspringerin, war schon bei den letzten Proben und der Generalprobe dabei und entpuppt sich – bei ihrem ersten Auftritt in Österreich – als eine wahrhaftige Entdeckung. Gesanglich betörend schön und darstellerisch ungemein berührend gestaltet sie die Rolle der todkranken Midinette, die sich in ihrem Lebenshunger auch anderweitig umsieht, aber in ihren letzten Stunden doch zu ihrem innig Geliebten Rodolfo zurückfindet. Schnoors jugendlich-lyrischer Sopran bezaubert schon in ihrer Vorstellungsarie „Si, Mi chiami Mimì“ mit aufrichtiger Innigkeit und blüht im entsagungsvollen „D’onde lieta uscì“, als sie sich von Rodolfo verabschiedet und ihm ihr rotes Häubchen als Andenken vermacht, voll auf.

Die wichtigen Liebes-Duette mit Rodolfo leiden leider darunter, dass ihr Partner Clemens Kerschbaumer weder ihr noch den Herausforderungen seiner Partie gewachsen ist. Beide singen daher nicht auf Augenhöhe. Das Timbre des österreichischen Tenors ist gewöhnungsbedürftig, viele Phrasierungen klingen verwaschen, es gibt auch Intonationsschwankungen. Für den Rodolfo fehlt diesem Sänger einfach zu viel. Denn seine Stimme ist weder ausgeprägt lyrisch noch jugendlich-heldenhaft, sondern undifferenziert und wenig ansprechend.

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Aleksandra Szmyd (Musetta) und homas Weinhappel (Marcello)

Unter Rodolfos Künstlerkollegen sticht vor allem Thomas Weinhappel als Maler Marcello heraus. Ein ausdrucksstarker, auch darstellerisch überzeugender Kavaliersbariton, der mit seiner Bühnenpräsenz die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dominic Barberi als Colline ist der trockene, wohlüberlegte Philosoph, wie er im Büchel steht. In seiner Arie „Vecchia zimarra“, in der er ankündigt, sienen Mantel versetzen zu lassen, zeigt der tiefe Bass aus England auch Gefühl, bleibt aber ansonsten, wie auch Ales Jenis als Schaunard, eher unauffällig im Hintergrund.

Eindeutig auf der Habenseite zu verbuchen ist der Auftritt von Aleksandra Szmyd als kokette, auch gesanglich verführerische Musetta. Bei ihrem Walzer im 2. Bild wird sie den Erwartungen, die man bei dieser Arie hegt, voll gerecht. Die farbenreiche Koloratursoubrette weiß bei ihren Debüt in Klosterneuburg. wie man das Publikum begeistern kann und zieht alle Register ihrer Kunst.

Die Beethoven Philharmonie unter der Leitung des bewährten Dirigenten Christoph Campestrini, der schon mehrere Klosterneuburger Produktionen musikalisch zum Erfolg geführt hat, erfüllt seine Aufgabe tadellos und spinnt durchaus spannenden Bögen.

Wie es sich bei Premieren in Kosterneuburg gehört, gibt es starken Applaus und sogar Standing Ovations. Die Freude, dass es heuer nach Corona endlich wieder Oper gibt, ist nicht zu überhören.

 

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