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KLOSTERNEUBURG/ Kaiserhof: „Sul vostro capo – ad ora, ad ora, la folgore del ciel piombar potrà!” –  Dernière von Verdis DON CARLO

08.08.2023 | Oper in Österreich

„Sul vostro capo – ad ora, ad ora, la folgore del ciel piombar potrà!” –  Dernière von Verdis Don Carlo an der Oper Klosterneuburg am 06.08.2023

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Matheus Franca (Großinquisitor), Günther Groissböck (Philipp II). Foto: Lukas Beck

 Verdis Don Carlo ist nicht nur eines seiner komplexesten und gelungensten Werke. Es verfügt mit wohl sieben verschiedenen Versionen auch über mannigfaltige Variationen, zu denen diesen Sommer noch eine weitere, nämlich die Klosterneuburger Version, hinzugekommen ist. Nun erfreute sich diese Version so großer Beliebtheit, daß alle 11 Aufführungen ausverkauft waren und bei noch immer stetiger Nachfrage nun eine 12. als Dernière hinzugefügt wurde. Es ist weniger Verdi als vielmehr Friedrich von Schiller anzuhaften, daß das Libretto inhaltlich über zahlreiche historische Fehler verfügt: Philipp II. von Spanien war mitnichten ein Greis, als er 1560 Elisabeth von Valois zur Ehefrau nahm. Obschon es bereits seine dritte Frau war (sie folgte auf Maria von Portugal welche nach zwei Jahren in Folge der Geburt von Don Carlo mit gerade einmal 17 Jahren starb und auf Maria Tudor die nach weniger als 4 Jahren Ehe ebenfalls starb), war er selbst erst 33 Jahre alt und hatte noch 38 Jahre zu leben. Elisabeth hingegen war erst 14 Jahre alt (was im 16. Jahrhundert wiederum kein ungewöhnliches Alter für eine politische Hochzeit war). Don Carlo war nach heutigen Verhältnissen körperlich und geistig zurückgeblieben, auch ist davon auszugehen, daß Elisabeth und Don Carlo mitnichten ein Verhältnis miteinander hatten. Einen Marquis von Posa hat es nie gegeben. Auch die Darstellung der Inquisition und des Autodafés ist historisch falsch: Heute ist davon auszugehen, daß nur etwa 1% aller Verfahren der Inquisition zwischen 1560 und 1700 auf dem Scheiterhaufen endete, dies auch nicht während des Autodafés. Dort wurden lediglich Urteile verlesen und das öffentliche Abschwören oder die Versöhnung mit dem Angeklagten durchgeführt. Dafür gab es tatsächlich eine Prinzessin Eboli, nämlich Ana de Mendoza y de la Cerda die ebenso für ihre Intrigen bekannt und wurde 1579 tatsächlich wegen Verrats verhaftet und zu lebenslangem Hausarrest in ihrem Palast bei Pastrana verurteilt, wo sie dann auch 1592 starb.

Ein wunderbarer Stoff also für eine Oper, schliesslich will die Oper nicht „berichten wie es wirklich gewesen“ ist (Leopold von Ranke), sondern uns in extremer Darstellung von Gefühlen, Gedanken und Taten zeigen „wie man es nicht macht“ (Christian Thielemann). Entsprechende Freiheiten sind also erlaubt, wenn nicht sogar erwünscht. Hinzu kommen an diesem Abend drei weitere Faktoren, die uns neugierig machten: Zunächst der Ort selbst, denn die Kulisse des Kaiserhofes von Stift Klosterneuburg bietet nicht nur eine prächtige imperiale Kulisse. Es war Kaiser Karl VI., der nach dem Verlust der spanischen Erblande das Stiftskloster zu einem “österreichischem Escorial“ ausbauen wollte, der Ort also nach einer Aufführung des Werkes nahezu schreit.

Die zwei weiteren Faktoren, die uns reizten, waren Günther Groissböck – und Günther Groissböck! Die gesanglichen Qualitäten des Basses sind bekannt und jedes Mal ein Genuss, sein Philipp II. wurde unlängst erst an der MET gefeiert. Mehr als das führte Herr Groissböck auch die Regie der Klosterneuburger Inszenierung, was nach dem Tristan Projekt an der Wiener Kammeroper nun seine zweite Regiearbeit darstellt. Und tatsächlich können wir diese Regiearbeit als gelungen bezeichnen: Mit wenigen Effekten, kluger Ausleuchtung und historisierenden Kostümen setzt Groissböck die Akzente auf Schlüsselmomente des Werks und lässt diese umfangreich wirken. So ist das berühmte Duett im ersten Akt (gespielt wird auf Basis der vieraktigen, italienischen Mailänder Version) von erhabener Schlichtheit, findet am Sarg Kaiser Karl V. im Kloster San Jerónimo de Yuste statt und fokussiert auf die beiden Protagonisten, Don Carlo und den Marquis von Posa.

Autodafé-Szene des Dritten Akts wird als gewaltiges Spektakel inszeniert, wir sehen Flammen, einen im Hintergrund über allem thronenden Großinquisitor, dessen eigene Interessen durch die Inszenierung klug unterstrichen werden und natürlich die obligatorischen Scheiterhaufen, die natürlich eine Menge hermachen. Auch sonst gelingt es Herrn Groissböck, die entscheidenden Szenen des Stückes in den Fokus zu rücken und dies mit einer präzise ausgearbeiteten Personenführung zu ergänzen. Sei es der blinde, auf zwei Mönche gestützte Großinquisitor, der fast schon wie ein Dämon wirkt, die Flagge mit dem Löwen von Flandern, die nicht nur bei dem Schwur Carlos‘ und Rodrigos in kleiner Version von beiden in den Händen gehalten wird, sondern in großer Ausführung dazu dient, Rodrigo nach seinem Tod zu bedecken, oder das Schlafzimmer Philipps, welches zum Arbeitszimmer mutiert und so monumental wirkt, daß es die massive Gestalt Groissböcks als verschwindend kleinen, fast hilflos scheinenden König wirken lässt, der von den Mechanismen der Macht getrieben wird und dabei vor seinen eigenen Schwächen, die er während der Selbstgeißelung in den Griff zu bekommen versucht fast kapituliert.

Eindeutig hat sich Herr Groissböck nicht nur mit dem Werk auseinandergesetzt, er hat es durchdrungen und verstanden, worum es geht, was die handelnden Personen an- und umtreibt. So ist seine Darstellung des Philipp dann auch die eines Mannes, in dem verschiedene Seelen wohnen: Der durchaus leidenschaftliche, gefühlvolle Mann, der ganz und gar nicht ohne Selbstzweifel ist und unter der Last der Krone leidet auf der einen Seite: „Del capo mio, che grava la corona, L’angoscia apprendi e il duol! Guarda dentro alla reggia! L’affanno la circonda, sgraziato genitor! Sposo più triste ancor!. Dem gegenüber steht der machtbewusste, kalkulierende Herrscher, der keine Sekunde zögert, um alles zu tun, die Macht der Krone zu erhalten, sogar einen Mord am eigenen Sohn und Thronfolger in Erwägung zieht: „Se il figlio a morte invio, m’assolve la tua mano?“. Wie schon gesagt, es ist immer ein Genuss Herrn Groissbock in Aktion zu erleben und auch dieses Mal hat er mit seinem gewaltigen Bass, klugem Spiel und einer durchdachten Inszenierung einmal mehr bewiesen, daß er der führende Bass seiner Generation und ein kluger, erstklassiger Künstler ist – bravissimo!

Und es gibt einige Stimmen im Ensemble, die durch ebenso hohe Qualität brillieren können:

Arthur Espiritu erschafft einen wirklichen naiven, von seinen Gefühlen getriebenen Don Carlo, dessen Idealismus so groß ist, daß er es sogar verabsäumt das Opfer Rodrigos anzunehmen und ohne Not zugibt, daß er selbst der Verschwörer ist: „Tu più figlio non hai! No i regni miei stan, presso a lui!“. Herr Espiritu kann dabei seinen wunderbar jugendlichen Tenor ganz wunderbar zum Wirken bringen, überzeugt in seinem Agieren und kann die Ideen des Infanten glaubwürdig verkörpern. Man möchte ihm sehr deutlich die Meinung sagen, in seiner naiven Weltanschauung, getrieben von der Profilneurose eines verhätschelten „Nepo-Kids“, sich identifizierend mit einem Flandern, in welchem er nie gewesen ist, nur um die eigene Unzufriedenheit durch den Kampf für die politischen Interessen der habsburgischen Niederlande zu kompensieren. Den eigenen Vater herausfordernd, ihn sogar mit gezogener Waffe bedrohend – genau so soll der Infant sein, ein ambivalenter Anti-held, der gleichzeitig nichts Heldenhaftes tut und eigentlich nur eine traurige Gestalt ist, die allen anderen das Handeln überlasst und im Selbstmitleid versinkt.

Ebenso authentisch ist Matheus França, der einen Großinquisitor auf die Bühne bringt, der nahezu aus der Hölle stammen könnte. Wie schon erwähnt, ist das gezeichnete Bild der spanischen Inquisition in Don Carlo mit Vorsicht zu geniessen. Doch was Groissböcks Inszenierung und Franças Interpretation aus dieser Rolle machen ist wirklich schon beachtlich: Wir sehen nur zwei weisse Augäpfel aus diesem alten, blinden Mann, unheimlich, ja schon bedrohlich, grausam erschreckend starren diese ins Nichts. Nahezu riechen können wir seinen schlechten Odem, die gnadenlose Unbarmherzigkeit seines Denkens erinnert an die Gnadenlosigkeit des Schicksals, ja der Großinquisitor scheint hier die Verkörperung des Bösen selbst zu sein. Und Herrn Franças Bass steht dabei dem von Herrn Groissböck in nichts nach, auch er verfügt über ein gewaltiges Volumen, drückt den unbedingten Machtanspruch des Großinquisitors ebenso unmissverständlich in seiner Stimme aus und ergänzt diesen durch leise und somit umso tiefe dringende Töne im Gespräch mit König Philipp: „Obbliar tu déi quel ch’è passato.“ – „Forse!“. Ein Großinquisitor, vor dem es einem graut, der von oben herab die dinge betrachtet und unerbittlich die Fäden im Hintergrund zieht – eine meisterhafte Interpretation, bravo, bravissimo Matheus França.

Als Königin Elisabeth setzt auch Karina Flores Akzente: Da die Szene im Wald von Fontainebleau in dieser Version nicht gespielt wird, erleben wir eine Elisabeth, die sich der Staatsraison bereits gebeugt hat. Sie erkennt das Unheil, welches Don Carlo durch sein Aufbegehren und das Begehren seiner nunmehrigen Stiefmutter heraufbeschwört, und versucht das Schlimmste zu verhindern. Elisabeth ist also bereits voll und ganz in ihrer neuen Rolle als Königin und Stiefmutter aufgegangen, auch wenn es stellenweise schwer fällt, ihrer in Ansätzen noch vorhandenen Sehnsucht nicht nachzugeben. Dass sie schliesslich Carlo dann noch zur Flucht im Kloster von Yuste verhelfen will, ist also nur folgerichtig. Es ist schade, daß diese Version weniger Möglichkeiten gibt, den Charakter Elisabeths weiter auszuarbeiten. Denn ohne Zweifel zeichnet Frau Flores diesen Charakter sehr detailliert und mitfühlend, was in Kombination mit ihrem warmen und strahlenden Sopran Lust auf mehr macht. Was wir erleben durften, war hingegen ganz ausgezeichnet, brava, Karina Flores.

Was also ein wunderbarer Abend hätte werden können, wurde dann doch durch einige Aspekte verleidet – und das ohne Not. Denn bereits im ersten Akt kam es zu leichten Regentropfen, woraufhin die Aufführung natürlich kurz unterbrochen wurde. Nach zunächst 15 Minuten Wartezeit wurde dann eine 15–20-minütige Pause annonciert, nach welcher man dann entscheiden wolle, ob man den Abend in das Ausweichquartier verlegt. Aus dieser Pause wurde dann doch eine gute halbe Stunde. Das Publikum saß bereits ungeduldig wieder auf den Plätzen, applaudierte sogar teilweise einem Zuschauer, der fälschlicherweise von einigen für den Dirigenten gehalten wurde und nahm zunächst wohlwollend zur Kenntnis, daß man den Abend weiter im Freien verbringen wolle. Und genau das war der kapitale Fehler Herrn Garschalls an diesem Abend. Nicht nur weil es schlichtweg auch mit Mantel und mehreren Lagen zu kalt und zugig war. Für die Kunst zu leiden wäre noch akzeptabel gewesen. Doch der Wind nahm entscheidenden Einfluss auf die ohnehin schwierige Akustik im Klosterhof, was deutlich negativen Einfluss auf die Qualität des Abends hatte. Schon aus rein physikalischen Gründen konnte so kein klangliches Gesamtbild entstehen. Vielmehr erschien Margarita Gritskova dadurch als affektierte, stets unruhig auf der Bühne umherzappelnde Prinzessin Eboli, Thomas Weinhappel fiel vor allen Dingen durch eine überlange Sterbeszene als Marquis de Posa auf – schlichtweg, weil der Wind die von ihnen gesungenen Töne zerpflückte und ein Zuhören unmöglich machte. Das war nicht nur hochgradig ärgerlich und dem Publikum gegenüber fast schon unverschämt, sondern auch den Sängern gegenüber hochgradig unfair. Denn sowohl Frau Gritskova als auch Herr Weinhappel sind durch und durch Könner ihrer Zunft und wurden durch diesen Fehlentscheid sozusagen sabotiert.

 Spätestens als nach dem letzten Akt strömte das gesamte Publikum so rasch als möglich nach Hause. Ohnehin hatten schon etliche Zuschauer im Laufe des Abends den Kaiserhof verlassen. Nicht nur der Kälte wegen, sondern auch, weil Herr Garschall entschieden hatte, nach der Zwangspause im ersten Akt ohne weitere Pause durchspielen zu lassen. De facto war es also ein vieraktiger Don Carlo ohne Pause. Und das ist dann leider doch eine sehr sportliche Herausforderung der, die nachvollziehbarer Weise die meisten nicht gewachsen sind und auch nicht gewachsen sein wollen.  

Also Herr Garschall, BITTE tun sie so etwas im nächsten Jahr weder ihren Zuschauern noch den Künstlern an, da hat niemand etwas von, schon gar keine Freude.

Um so mehr gilt ein großes Lob dem gesamten Ensemble, das wacker und nach bestem Können durchgehalten hat. Besonders erwähnt werden muss dann auch die Beethoven Philharmonie, welche unter der Leitung von Christoph Campestrini tatsächlich gegen den Wind gewann und konstant ein sattes Klangbild mit intensiven Forti, aber auch feinen, funkelnden Pianissimi erschuf – eine sensationelle Leistung bei diesen Rahmenbedingungen. So bleibt der Abend leider unter seinen Möglichkeiten, gewährte aber einen guten Einblick in jenes, was die vorhergehenden Abende in Klosterneuburg wohl geboten hatten, und zu Recht gilt es dann, dem Ensemble und dem Orchester ein großes Lob auszusprechen: Bravi, bravissimi tutti, anche se il fulmine del cielo cade sulle loro teste!

 E.A.L.

 

 

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