27.9.2024: Stadttheater Klagenfurt – TOSCA
„Spiel, Inszenierung, Erschaffung von Realität für andere“ sei das „eigentliche Thema der Oper“, so postuliert es Immo Karaman, der Regisseur der diesjährigen Eröffnungspremiere in Klagenfurt im Programmheft – einer Oper, in der die Titelfigur bekanntlich selbst eine Operndiva ist, die im realen Leben in die Inszenierung eines bösartigen Sadisten gerät, der es auf sie abgesehen hat, und darin zu Tode kommt – während sie selbst damit beschäftigt ist, die vermeintlich simulierte Erschießung ihres Geliebten für das Exekutionskommando als opernhafte Szene zu arrangieren usw. usw. Womit ein zweifellos interessanter Aspekt des „Repertoirekrachers“ aufgezeigt ist, dem in der analytischen Auseinandersetzung nachzugehen durchaus ergiebig sein kann.
Das Ergebnis des geschilderten Zugangs aber, insofern dieser – und nicht die „vordergründige“ Story (immerhin im Zusammenspiel von Drama und Musik eines der packendsten und vor allem unmittelbar ansprechendsten Werke der Opernbühne) – zum Gegenstand der gegenwärtigen Inszenierung gemacht wird, ist ein Changieren zwischen verschiedensten Ebenen, vor der Kulisse und dahinter, im richtigen Leben, auf der Bühne und in der Theatergarderobe, ein verwirrendes Vexierspiel, das mit seinen Brechungen und Verfremdungen einem ganzheitlichen Eintauchen in das eigentlich hoch emotionale und aus sich heraus spannende Geschehen schlichtweg im Weg steht. Am deutlichsten wird das Nicht-Aufgehen und die (aus dramaturgischer Sicht Selbstwidersprüchlichkeit) des Konzepts im ersten Akt, der anscheinend quasi als Hauptprobe einer Tosca-Aufführung angelegt ist (man erinnert sich an den Komödienknaller „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn, aber da sind wir wohl auf einer anderen Baustelle), die dazu größtenteils hinter den Kulissen bzw. in Toscas Garderobe spielt, wo die Darsteller ein absichtlich linkisches Spiel abliefern müssen, weil ja noch nicht alles klappt … Weh dem, der die digitale Textanzeige im Blick hat, weh dem, der sich fragt, warum Cavaradossi den Angelotti erkennt, während er hinter ihm steht und dieser ihm den Rücken zuwendet; warum beim Te Deum Bühnenarbeiter mit Grablichtern aufmarschieren, um gemeinsam mit Scarpia der Tosca zu huldigen etc. etc.
Cavaradossi (Alexandros Tsilogiannis) und Tosca (Shelley Jackson) träumen im 3. Akt von Flucht und Freiheit © Stadttheater Klagenfurt – Karlheinz Fessl
Im zweiten und dritten Akt ist man mehr auf dem Punkt (natürlich muss mitten im „Vissi d’arte“ ein szenischer Bruch eingebaut werden – wo kämen wir hin, wenn Regisseure darum bemüht wären, Arien so zu arrangieren, dass die Sänger damit eine möglichst große Wirkung erzielen?). Das ist aber auch Rifail Ajdarpasic (Bühne) und Fabian Posca (Kostüme und Choreographie) zu danken, die mit geometrischer Strenge und starker Beschränkung des eingesetzten Farbspektrums Bilder schaffen, die ihre Wirkung nicht verfehlen … freilich je stärker, je mehr man bereit ist, den optischen Eindruck als solchen auf sich wirken zu lassen, ohne allzu konsequent nach konkreten Bezügen zu dem zu fragen, was lt. Programmheft eigentlich „auf dem Spiel“ stünde. Das gilt noch einmal in besonderer Weise für das Finale, welches ganz auf den Gedanken ausgerichtet ist, dass hier in einer Verschränkung von Theater und Realität zwei Inszenierungen mit einander ringen, die „gefakte“ der Tosca und die reale Scarpias, was von der Ästhetik her eindrucksvoll in Szene gesetzt wird.
Die musikalische Ebene des Abends hat es solcherart wieder einmal schwer, das Publikum durch das szenisch dargebotene Dickicht an Gedanken hindurch zu erreichen. Dabei gäbe es einige interessante Begegnungen zu vermelden, wie die mit Alexandros Tsilogiannis, dessen hinreißend timbrierter Cavaradossi mit voller Mittellage und strahlender Höhe überzeugte und der mit etwas mehr Italianitá im Ausdruck und selbstbewussterem Auftreten ein Kandidat für die erste Liga seines Fachs werden könnte. Als psychopatisch monströser Scarpia lebte der gebürtige Russe Ivan Krutikov vom ersten Erscheinen an bis zu seiner Ermordung einen einzigen cholerischen Wutausbruch aus, den er mit seinem wuchtigen Bariton mühelos bewältigte. Die Italo-Amerikanerin Shelley Jackson gab eine attraktive, aufgrund der Regieauffassung psychisch anscheinend ziemlich angeschlagene Tosca, deren kraftvoller Sopran sich in den dramatischen Ausbrüchen und wohler fühlte als in den lyrischen Tändeleien mit ihrem Geliebten.
Der szenischen Anlage des ersten Akts (s.o.) zum Opfer fallen Rupert Grössinger als (gewollt?) wenig glaubwürdiger Angelotti und Maurice Avitabile als Mesner, während David Jagodic (Spoletta), Taras Kuzmych (Sciaronne) und Darius Perczak (Kerkermeister) stimmlich prägnante und darstellerisch einschüchternde Handlanger des Terrorregimes ihres Chefs verkörpern.
Abgesehen von gelegentlichen Pannen in der Koordination von Bühne und Graben sorgte die junge Dirigentin Hannah Eisendle mit dem Kärntner Symphonieorchester und seinen Solisten für ein temperamentvolles Klangerlebnis und insbesondere im Vorspiel zum letzten Akt und während des „E lucevan le stelle“ für wirkliche Gänsehaut-Momente. Aufgrund der stimmlichen Möglichkeiten des Ensembles konnte sie die Dramatik der Partitur recht unmittelbar zum Klingen bringen. In der Kommunikation mit dem Publikum – Stichwort Applaus nach den Arien – war sie etwas unentschlossen – hier wird vermutlich etwas mehr Erfahrung Abhilfe schaffen.
Valentino Hribernig-Körber