Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

KLAGENFURT / Stadttheater: ANNIE GET YOUR GUN

30.05.2022 | Operette/Musical
stadttheater klagenfurt/helge bauer annie get your gun

Anastasia Troska (Annie) und Ensemble. Alle Fotos: Stadttheater Klagenfurt / Helge Bauer

28. Mai 2022

Von Manfred A. Schmid

Es war der unvergessene Marcel Prawy, der in den 50er Jahren die damals noch junge Gattung des amerikanischen Musicals nach Wien importiert hatte. Eines der ersten Werke auf der Bühne der Volksoper war 1957 Annie Get Your Gun, basierend auf der wahren Geschichte von Annie Oakley,  der Ende des 19. Jahrhunderts besten Kunstschützin im damals noch Wilden und männerdominierten Westen: Eine Frau, die mit ihrer erfolgreichen Show an der Seite von Buffalo Bill und Indianerhäuptling Sitting Bull auch das europäische Publikum begeisterte und dem zukünftigen deutschen Kaiser einmal sogar die Zigarre aus dem Mund geschossen haben soll. Annie verstand ihr Geschäft und erwies sich als erstaunlich anpassungsfähig. „There is no businnes like showbusiness“ lautet zu Recht der Titel des wohl bekanntesten Songs des Musicals.

Die wahre Annie war allerddings auch eine Verfechterin der Frauenrechte. Was kaum verwundert bei einer Frau aus ärmsten Verhältnissen, die als Kind ausgebeutet worden war und mit ihrem unbekümmerten Eindringen in die Männerdomäne der Revolverhelden und Gewehrakrobaten einen unerhörten Tabubruch hingelegt hatte. In Irvin Berlins Version  – eher eine musikalische Revue im Übergang von der Operette zum Musical – schießt sie bei ihrem finalen Wettkampf mit dem geliebten Partner Frank Butler aber absichtlich daneben, um ihn in seiner Männerehre nicht zu verletzen, sondern als Sieger dastehen zu lassen: Damit ermöglicht sie es ihm, sie doch zur Frau zu nehmen.

Dieses entsagungsvolle, selbstaufopfernde Frauenbild wirkt heute einigermaßen befremdlich, aus der Mode gekommen. Das sollten der Klagenfurter Inszenierung von Pascale-Sabine Chevroton,  von der auch die unterhaltsame, vom Hip-Hop bis Can-Can reichende Choreographie samt zirkusreifen Akrobatikeinlagen stammt, aber nicht zum Vorwurf gemacht werden. Immerhin geht dabei die hervorragend singende und spielende, stets herumwirbelnde Anastasia Troska in der Titelrolle mit unübersehbarem Augenzwinkern ans Werk. Und überhaupt: Die Aufführung eines Musicals, das in den vierziger Jahren entstanden ist und dessen Handlung Ende des 19. Jahrhunderts / Anfang des 20. Jahrhunderts angesiedelt isr, sollte nicht als eine Gebrauchsanweisung für politisch korrektes Vorgehen in unserer Zeit missverstanden werde. Sie ist vielmehr ein Sittenbild vergangener Zeiten. Und das ist auch die klare Intention dieser Inszenierung. Andernfalls hätte man als Vorlage wohl die von Peter Stone 1999 für den Broadway erstelllte „revidierte Fassung“ gewählt, die die heute politisch inkorrekt erscheinenden Züge des Originals klug entschärft hat, ohne ihm die Stärken zu nehmen.

stadttheater klagenfurt/helge bauer annie get your gun

Anastasia Troska (Annie) und Erwin Belakowitsch (Frank).

 Etwas aufgesetzt fällt hingegen der Schlussauftritt von Sitting Bull (Timo Verse) aus, der sich mit einem Appell an die Zuschauer wendet, die Umweltsünden der weißen Männer beklagt und ökologisches Vorgehen und humane Einstellungen einfordert, dabei aber vom Absingen von „There`s no business like …“ gnadenlos übertönt wird. Der pädagogische Zeigefinger ist nicht zu übersehen, die aufdringliche Warnung nicht zu überhören.

Auch die Szene, in der Annie von Sitting Bull seinem Stamm vorgestellt wird und mit der feierlichen Überreichung einer Kette in diesen aufgenommen wird, fällt etwas zu romantisch-verklärend aus, was wohl an der Vorlage lieg. Der Singsang in einem einer (erfundenen?) Indianersprache wirkt höchst melodramatisch. Eine Frage drängt sich auf: Ist es überhaupt noch zulässig, weiße Menschen auf Indianer zu schminken und auf die Bühne zu stellen?

Ein gelungener Regieeinfall verdient es hervorgehoben zu werden:  In der ersten Szene im Restaurant, das zum Schauplatz des ersten Schieß-Wettkamps werden soll, sehen die Barhocker wie Kakteen aus und werden dann beim Auszug von den Mädchen wie Pompons von Cheerleaderinnen in die Höhe gestreckt. Langeweile kommt in den gut zweieinhalb Stunden jedenfalls nie auf. Immer gibt es etwas zu bestaunen. Vor allem aber sind – unter der schwungvollen musikalischen Leitung von Michael Spassov – zündende Schlager und Evergreens zu hören: „Falling in love is beautiful“, „Anything you can do I can do better“ oder „I got sun in the morning“, um nur drei weitere zu nennen. Außer Cole Porters Kiss me Kate kann wohl kein anderes Musical mit einer so großen Fülle von Hits aufwarten. Nimmt man vergleichsweise ein Musical aus der Adrew Lloyd Webber Werkstatt her, kommt man meist nur auf einen einzigen Ohrwurm. Bei Irving Berlin, musikalischer Autodidakt und Genie der Unterhaltungsmusik, sind es mindestens sechs.

Erwin Belakowitsch als Frank Butler ist ein sympathischer, charmanter, treffsicherer Showstar, der sich eine „frauliche“ Frau wünscht, „zierlich und mit Grübchen“. Alles das ist Annie von Anfang an nicht. Trotzdem verliebt er sich in sie. Dass er, wie er in seinem Auftrittslied bekennt, „a bad, bad man“ sei, nimmt man ihm aber ohnehin nicht ab. Darstellerisch und gesanglich ist Belakowitsch ein ideales Gegenüber für Anastasia Troska. Nur in der tiefen Lage klingt er wie ein etwas überangestrengter Opernbariton. Weniger Druck wäre angebracht.

Für die Rolle der Western-Legende Buffalo Bill ist Daniel Doujenis ein Glücksfall. Cool und charismatisch in der Ausstrahlung und auch genügend geheimnisvoll, wie es sich für eine Revolverheld-Ikone gehört. Warum, er aber, wenn er nicht in die Handlung eingebunden ist, immer an linken Rand der Bühne sitzen muss, rauchend, schreibend, beobachtend und nachdenkend, bleibt ein Rätsel.

Hans Neblung ist ein mit allen Wassern gewaschener, erfahrener Tourneemanager Charlie Davenport. Christa Ratzenböck als Dolly Tate eine ergebene Assistentin ihres Idols Frank, die den Aufstieg Annies mit Argwohn und Eifersucht verfolgt.

Fröhlich agieren Annies jüngeren Geschwister Little Jake, Nellie und Jessie, um die sich ihre Schwester liebevoll kümmert.

Insgesamt ist diese Aufführung am Klagenfurter Stadttheater ein unterhaltsamer, vergnüglicher Volltreffer.

*

Anmerkung für Opernfans: Deborah Voigt sang 2011 im Rahmen des Glimmerglass-Festivals in US-Staat New York die Titelrolle in diesem Musical – drei Monate nachdem sie an der MET als Walküre auf der Bühne gestanden war. Auch alle übrigen Rollen waren mit gestandenen Opernsängerinnen und – Sängern besetzt. Ein Kompliment für die hohe Qualtät von Irving Berlins Musik.

 

Diese Seite drucken