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KLAGENFURT / Oper HIOB – Dernière der Uraufführungsserie

Eine zeitgenössische Oper, die gefällt: Ja, darf man denn das...

09.03.2023 | Oper in Österreich
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Alexander Kaimbacher (Mendel Singer) und Chor. Alle Fotos: Stadttheater Klagenfurt / Karlheinz Fessl

KLAGENFURT / Stadttheater: Oper HIOB – Derniere der Uraufführungsserie

8. März 2023

Von Manfred A. Schmid

Die Oper Hiob von Bernhard Lang, ein Auftragswerk des Stadttheaters Klagenfurt, wurde am 9. Feber 2023 in der Regie von Michael Sturminger, der auch das Libretti verfasst hat, uraufgeführt. Besucht wurde die letzte der fünf erfolgreichen, allesamt ausverkauften Vorstellungen. Der biblische Hiob ist die Geschichte eines frommen, gottesfürchtigen, wohlhabenden Mannes, der seine ganze Habe, seine Kinder, Frau und Gesundheit verliert, trotzdem alle ihm von Gott zugefügten oder zumindest zugelassenen Verluste erduldet und für seine trotz ernster Anfechtungen unverbrüchliche Treue von diesem schließlich reichlich belohnt wird. Sturminger hat als Ausgangspunkt seiner Bearbeitung allerdings das 1930 fertiggestellte Werk Hiob. Roman eines einfachen Mannes gewählt, genauer gesagt, die Bühnenfassung dieses Romans von Koen Tachelet. Bei Roth steht der arme jüdisch-orthodoxe Mendel Singer im Mittelpunkt der zur Jahrhundertwende mit seiner Familie – der Ehefrau Deborah und seinen drei Kindern Jonas, Shemarjah und Mirjam – ein einem russischen Stetl lebt. Als sein viertes Kind, Menuchim, behindert zur Welt kommt und Jahre braucht, bis er endlich „Mama“ sagen kann und mehr auch nicht, beginnt für Mendel die Zeit der Heimsuchungen. Seine beiden erwachsenen Söhne sollen zum Militär eingezogen werden, was von Mendel, wie zuvor schon die Behinderung Menuchims, als ihm von Gott auferlegten Prüfungen hinnimmt, während seine pragmatisch denkende und agierende Frau nichts unversucht lässt, um das drohende Unheil abzuwenden. So gelingt es ihr wenigstens, Shermarjah die Auswanderung nach Amerika zu ermöglichen, weil sie das dafür nötige Geld heimlich angespart hat. Als sich schließlich die leichtlebige Mirjam mit Kosaken einlässt, beschließt Mendel, mit Frau und Tochter Russland zu verlassen und nach Amerika zu fahren, wo sich sein ältester Sohn inzwischen gut eingelebt hat und ihnen übe seinen Freund und Geschäftspartner Mac Geld für die Reise überbringen lässt.

In Amerika angekommen, droht die Familie immer mehr auseinander zu fallen. Menuchim musste ohnehin schon von Vornherein in Russland zurückgelassen werden, weil er wegen seiner Behinderung nicht einreisen durfte. Shermarjah fühlt sich längst als Amerikaner, hat geheiratet und lebt mit Frau und Kind in geordneten Verhältnissen, Mirjam ist zu Mac gezogen, und Deborah und Mendel haben sich immer mehr voneinander entfernt und auseinandergelebt. Beide vermissen Menuchim, Deborah mit Gewissensbissen und Selbstvorwürfen, Mendel mit er ihm eigenen Gottergebenheit. Ein Angebot Macs, Menuchim, dessen Zustand sich gebessert haben soll, zerschlägt sich, als der erste Weltkrieg ausbricht. Shermarjah, der sich nur noch Sam nennen lässt, meldet sich zu Kriegsdienst. Als die Nachricht eintrifft, dass er gefallen ist und Jonas als vermisst gilt, bricht Deborah zusammen und stirbt. Mendel fühlt sich mitverantwortlich für den Tod seiner Frau, Miurjam zerbricht daran und wird geisteskrank in eine Heilanstalt eingewiesen. Mendel hadert mit Gott und beginnt an dessen Existenz zu zweifeln, bricht aber nicht vollends mit ihm, sondern will ihn nur verärgern, indem er beispielsweise erwägt, ihm zum Trotz Schweinefleisch zu essen.  Als seine Verzweiflung am höchsten ist, geschieht ein Wunder: Menuchim, der voll genesen und ein erfolgreicher Dirigent geworden ist, sucht seinen Vater inkognito auf und gibt sich als seinen Sohn zu erkennen. Mendel fasst wieder Mut und Zuversicht, besonders als ihm Menuchim erklärt, dass Mirjam wieder gesund werden könnte und der dafür das nötige Geld ausgeben werde. Mit der Hoffnung, dass auch Jonas noch am Leben sein könnte, schläft er erstmals nach langer Zeit wieder zufrieden ein.

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Thomas Lichtenecker (Menuchim), Ava Dodd (Mirjam), Katerina Hebelkova (Deborah), Alex. Kaimbacher (Mendel),

Im Libretto von Michael Sturminger wird der Schluss allerdings anders gelöst. Für Sturminger, bekennender Atheist, ist Joseph Roths Wendung mit dem märchenhaften Erscheinen Menuchims als deus ex machina in heutiger Zeit offenbar nicht mehr zumutbar. Er gestaltet das Finale als Traumsequenz: Menuchim erscheint seinem Vater, der sich in Sturminger Version so gut wie ganz von Gott abgewendet hat, nicht wirklich, sondern nur im Traum. Im Gedanken an Menuchim findet er Trost und Halt. Wie es weitergeht, bleibt offen. Ein berührender, noch dazu eindrucksvoll mit einem aus der Höhe, wo er dirigierend zu sehen ist, herabschwebenden Menuchim, inszeniert. Diese Lösung ist tatsächlich glaubhafter als die nicht hinterfragende Übernahme von Roths Romanende, wie sie etwa in Christian Stückls Dramatisierung dieses Werks zu finden war, die 2019 am Burgtheater, mit Peter Simonschek in der Titelfigur, zu sehen war. Stückl, der langjährige Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele wie auch des Salzburger Festspiel-Jedermann hat mit Wundern eben wohl weniger Probleme als der kritische Sturminger. Dennoch wäre ein Schluss im Sinne Roths natürlich nicht von Vornherein auszuschließen. Denn Joseph Roth, dem die Traditionen der ostjüdischen Chassiden mit ihren wundertätigen Rabbis gewiss bestens vertraut waren, hat diesen Schluss bewusst in Anlehnung an die Vorstellungswelt und die Erwartungen in diesen Gemeinden in der Ukraine rund um Lemberg gewählt. Nur müsste man sie kitschfrei wie in den Bildern eines Marc Chagall umsetzen.

Sturmingers Fassung ist dramaturgisch in vielen Aspekten doch allzu verknappt geraten. Wichtige Elemente der Handlung und Charaktermerkmale der agierenden Personen bleiben in dieser radikalen Reduktion ausgespart. KeinWunder, dauert die Oper doch nur, wenn man die 20minütige Pause abzieht, 90 Minuten.  Andererseits aber bringt er das, was doch noch vorhanden ist, gekonnt auf die Bühne von Renate Martin und Andreas Donhauser, die auf eine Konkretisierung des jeweiligen Ambientes mittels Einsatzes von Bühnenbildern völlig verzichtet. Ein paar Sitzmöbel genügen, alles weitere findet sich in den ebenfalls von ihnen stammenden Kostümen wieder, die das Aufeinanderprallen, den culture clash der ostjüdischen Stetlbewohner mit den Kosaken im ersten Akt und den der noch nicht assimilierten Einwanderer mit den amerikanischen Gepflogenheiten im zweiten Akt verdeutlichen. Die von Sturminger verursachte Verknappung wird aber vor allem durch die fantastische Musik von Bernhard Lang überwunden. Was im Text fehlt, findet sich in der Musik. Der eklektische Stilmix ist durchaus effektvoll und sagt oft mehr als tausend Worte. Wie Lang mit Melodien und Rhtyhmen aus der Klezmer-Tradition den ersten Akt zu gestalten versteht, ist ebenso lebensvoll wie die amerikanischen Swing-Klänge im zweiten Akt. Und dann eine ganze Passage mit Puccini in originaler Orchestrierung einzubauen, und dann wieder verstörende Töne zeitgenössischer Prägung darunter zu mischen, dazu gehört Mut und Überzeugung. Bernhard Langs Musik ist gefällig, ohne sich anzubiedern. Das Publikum zeigt sich begeistert und freut sich offensichtlich, moderne Musik hören zu können, die man gerne hören will. Es ist anzunehmen, dass mit dieser Oper etwas geschehen wird, das bei Uraufführungen zeitgenössischer Werke höchst selten der Fall ist: Sie wird an anderen Bühnen nachgespielt werden. Sie hat nur ein Handikap: Sie ist vielleicht eine Spur zu gefällig. Das könnte Programmmacher und Dramaturgen spanisch oder sonst wie vorkommen und doch noch abschrecken. Zeitgenössische Musik, die gefällt. Das gibt‘s nicht. Das darf‘s doch nicht geben.

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Alexander Kaimbacher (Mendel Singer) und Ensemble. Oben: Thomas Lichtenecker (Menuchim).

Gesungen und gespielt wird hervorragend. An erster Stelle zu nennen: Andreas Kaimbacher als schwer geprüfter, stets textdeutlicher und emotional höchst präsenter Mendel Singer, und Katerina Hebelkova als dessen mit starken Mutterinstinkten ausgestattete Ehefrau Deborah, die neben ihrem an ihr als Frau immer desinteressierter werdenden Mann dahinwelkt und leidet. Ava Dodd (Mirjam), Viktor Ryden (Schemarjah) und Benjamin Kelly Chamandy (Jonas) sind ihre differenziert dargestellten Kinder. Besonders berührend und auch darstellerisch exzellent Thomas Lichtenecker als Menuchim, ein behindertes Kind, in dem das Potenzial für ein Genie schlummert und schließlich  aufblüht. Steven Scheschareg, ein gebürtiger New Yorker mit österreichischen Wurzeln, kommt für alle anderen wichtigen Personen außerhalb der Singer-Familie zum Einsatz und ist als Arzt, Rabbi, Kapturak (Fluchthelfer), Nachbarin und Mac stimmlich von tiefsten Tönen bis zu höchsten Höhen gefordert. Der vielseitige, spielfreudige Bariton macht seine Sache ausgezeichnet.

Der Chor hat in dieser Oper musikalisch wie auch darstellerisch eine wichtige Rolle zu erfüllen. Als Repräsentanten des jüdischen Volkes und kosakischer Soldaten greifen die Chormitglieder in die Handlung ein, sind aber auch Beobachter und Kommentatoren des Geschehens. Das durch ein Jazz-Trio verstärkte Kärntner Sinfonieorchester liefert bei der Realisierung von Bernhard Langs facettenreicher Partitur eine phänomenale Leistung ab. Musikalischer Leiter der Aufführung ist der britisch-deutsche Dirigent Tim Anderson, der für seinen Anteil am Erfolg, der vom Publikum im ausverkauften Haus ausgiebig und begeistert gefeiert wird, höchsten Respekt und Bewunderung verdient. Nach Schluss der Aufführung gibt es für das Publikum noch die Möglichkeit, an einer Diskussion mit Komponist Bernhard Lang und Michael Sturminger, Librettist und Regisseur in Personalunion, und Dramaturg Markus Hänsel teilzunehmen. Das Klagenfurter Stadttheater und seine Besucherinnen und Besucher haben allen Grund zu feiern und stolz zu sein.

 

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