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KELTER BIETIGHEIM: EIN AUSGEFUCHSTES SCHLITZOHR- „Hitlers Tagebuchschreiber Konrad Kujau – ein echter Fälscher“

10.06.2016 | Theater

: „Hitlers Tagebuchschreiber Konrad Kujau – ein echter Fälscher“ in der Kelter Bietigheim

EIN AUSGEFUCHSTES SCHLITZOHR

Premiere von „Hitlers Tagebuchschreiber: Konrad Kujau – ein echter Fälscher“ mit dem Theater Lindenhof Melchingen in der Kelter/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Foto-Kujau_original-Fotograf Bietigheimer Zeitung  Thomas Lachenmaier

Kaum jemand weiß, dass Deutschlands größter Presseskandal in Bietigheim-Bissingen ausgelöst wurde. In einem Bissinger Reihenhaus schrieb Konrad Kujau mit Tinte in DDR-Berufsschulkladden seine „Hitler-Tagebücher“, die zur vermeintlichen Weltsensation wurden. Sogar seine Geburts- und Herkunftsdaten hatte Kujau gefälscht. Der Fälscher legte einen Sammler und einen Professor aus der Stuttgarter Region herein. Auch Fachleute und Schriftgutachter erlagen dem Schwindel. Und für die Zeitschrift „STERN“ wurde der Fall zum absoluten Fiasko: Er zahlte über neun Millionen Mark für die Beschaffung dieser erfundenen Geschichtsbücher.

Konrad Kujau lebte als Sachse und als Trickser und Lebemensch mehr als vierzig Jahre im Stuttgarter Raum. In der subtilen Inszenierung von Marc von Henning (Video: Kristina Handtrack) wird die Bühne in einen Atelierraum und Gerichtssaal geteilt, die das Private und grell Öffentliche drastisch zur Schau stellen. Bernhard Hurm zeigt als virtuoser Fälscher Kujau auch vor dem von Gerd Plankenhorn dargestellten Richter (der sogar Hitler parodiert) keinerlei Reue und wird schließlich zu über vier Jahren Gefängnis verurteilt. Als seine Gefährtin gewährt Kathrin Schleps Kujau immer wieder einen willkommenen Rückzug ins Private, was bei der Aufführung gut zum Vorschein kommt. Das satirische Element überwiegt. Interessant ist, dass ein Großteil der 9 Millionen Mark bis heute immer noch verschollen ist. In der Inszenierung bringt Konrad Kujau die Welt zum Tanzen, auch die Journalistin (facettenreich: Linda Schlepps) und der Sammler (Gerd Plankenhorn) sowie die von Carl Benz gewitzt dargestellte Spürnase kommen dem Meisterfälscher letztendlich nicht auf die Schliche. Und selbst im Gerichtssaal bindet der Meisterfälscher der Öffentlichkeit einen Bären nach dem anderen auf.

Der Gerichtssaal wird in der Inszenierung von Marc von Henning so zum undurchschaubaren „Komödienstadel“. Gerd Heidemann erscheint als unglückseliger „Stern“-Reporter nur noch in Unterhosen und beklagt lauthals, wie schlimm er von Kujau hereingelegt wurde. Zuletzt gewinnen skelettartige Hitler-Figuren auf der Bühne eine gespenstische Präsenz, die neben Konrad Kujau Platz nehmen. Da wird das Ganze zur unheimlichen Groteske, das Lachen bleibt einem im Halse stecken. Die Verwicklung Kujaus und Heidemanns in Alt-Nazi-Kreise beleuchtet die Aufführung ohne Beschönigung und entlarvt damit eine durch und durch verlogene Gesellschaft, die der Hitler-Hörigkeit völlig erliegt. Alles ist durch Adolf Hitler wie gelähmt. Die Journalistin, die von ihrer englischen Tageszeitung mit der investigativen Recherche des Falles betraut wird, verwickelt sich selbst im Video-Film in immer mehr Widersprüche. Das Clownsstück wird zur drastischen Farce, aus der es kein Entrinnen mehr gibt: „Das ist großes Theater“. Für den Regisseur ist Kujau als Original auch nur ein Konstrukt. Diese blinde Obsession stellt Kujau völlig in Frage. Das falsche Spiel wird aber hier auch überaus virtuos und schelmisch auf die Spitze getrieben (Musik: Valerio Pizzorno, Sergio Argiolas, Schlagzeug). Da geht richtig fetzig die Post ab, die Szenen werden durch diese Schlagzeug-Einsätze heftig verkürzt. Kujau erscheint zuletzt in Sträflingskleidung und bemitleidet sich zuweilen auch selbst. Man begreift: Das Rebellische an Konrad Kujau ist, dass er die Wahrheit attackiert. Der Autor Franz Xaver Ott hat dem Regisseur offensichtlich viel Freiheit gelassen, das Material optimal zu nutzen. Es ist eine Inszenierung, die den Fälscher in den Mittelpunkt rückt und auch vor Gericht nicht klein werden lässt.

Alexander Walther

 

 

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