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Katie Mahan bekennt sich zu Beethoven, ebenso wie sie eine Lanze für amerikanische Komponisten bricht

„Alle Sinne sollen involviert sein“

14.05.2020 | Instrumentalsolisten

Appassionata von Katie Mahan bei Amazon Music - Amazon.de

Alle Sinne sollen involviert sein“

Katie Mahan bekennt sich zu Beethoven, ebenso wie sie eine Lanze für amerikanische Komponisten bricht

Auf eine einsame Insel würde die Pianistin Katie Mahan am liebsten die Musik Mozarts und Beethoven mitnehmen. Die Liebe der US-amerikanischen Pianisten zu Salzburg und Wien erklärt sich auch durch die Nähe zu den Wirkungsstätten dieser großen Komponisten. Ebenso ist die Bergwelt Österreichs eine persönliche Schnittstelle zu ihrer Heimat: Colorado mit den Rocky Mountains. Kosmopolitentum macht bei Katie Mahan vorm Musikalischen nicht halt. In ihren Programmen bricht sie eine engagierte Lanze für die amerikanischen Komponisten und beklagt im Gespräch, dass diese viel zu oft auf die allseits bekannten „Standards“ reduziert werden.

 

Wie ist Ihre aktuelle Situation?

Im Moment bin ich in Salzburg und bleibe hier erstmal. Alles ist gerade ungewiss. Würde ich jetzt in die USA zurück fliegen, weiß ich nicht, ob und wann ich zurück nach Salzburg komme.

 

Wie lange leben Sie schon in Österreich?

Seit fast fünf Jahren. Aber ich reise viel hin und her und bin selten lange an einem Ort.

 

Sie haben sich intensiv mit französischer Musik und danach vor allem mit amerikanischen Komponisten beschäftigt. Wie kam es jetzt zu einer Beethoven-Aufnahme?

Natürlich ist auch das jetzige Beethovenjahr ein Anlass. Beethoven gehört zu meinen Lieblingskomponisten, ebenso wie Mozart.

 

Markiert die Aufnahme das Ziel einer persönlichen Entwicklung?

Ich habe immer schon Beethoven gespielt – vor allem die Sonate Nr. 30. Ich liebe sie, seit ich 12 Jahre alt bin und sie ist ein Teil meines Lebens. Auch die Appassionata gehört seit meiner Jugend dazu. Ich bin mit diesen Stücken erwachsen geworden, ebenso übrigens mit den Bagatellen. Mein frühes Idol war Glenn Gould. Er hat sehr interessante Interpretationen der Bagatellen aufgenommen. Die vierte Bagatelle ist ja schon fast jazzig. Gerade die hat mich schon ganz ganz früh begeistert.

 

Wie haben sich Ihre Interpretation im Lauf der Zeit geändert?

Ich habe vor allem meine Tendenz, Glenn Gould zu imitieren, komplett überwunden. Beethovens Bagatellen nehme ich heute ganz anders wahr. Sie sind so sehr ihrer Zeit voraus und funktionieren in ganz verschiedenen Lesarten. Seit der Kindheit wandelt sich kontinuierlich die emotionale Perspektive. Im Alter von 12 Jahren kann sich niemand in die Gefühlswelt des späten Beethovens einfühlen. Ein Kind kann nicht verstehen, dass ein Erwachsener so leiden musste wie Beethoven, der allein wegen seines Hörverlustes so ein tragisches Leben hatte. Seine Musik bildet so viele innere Kämpfe mit seinem Schicksal ab. Je älter ein Mensch wird, desto mehr kommt er solchen Wahrheiten näher. Auch was Beethovens unglaubliche Gabe betrifft, sich in der Musik über das Schicksal zu erheben.

 

Haben Sie als Interpretin eine Methode, in der Musik diese Menschlichkeit freizulegen?

Das Erfassen der Komposition, das Lernen der Noten und detaillierten Vortragsbezeichnungen ist die eine Seite. Die andere ist der emotionale Aspekt, wo es gilt, die eigene Persönlichkeit einzubringen. Also entwickele ich meine Vorstellung davon, was Beethoven gefühlt haben muss. Aber das geht nur, wenn ich mich wirklich 1000 % ig in den Dienst der Sache stellen kann. Niemand weiß, ob dieses Resultat schließlich objektiv „richtig“oder „falsch“ist. Ich kann einfach „nur“ mein Bestes geben.

 

Verstehen Sie sich als Schnittstelle zwischen Beethovens Lebenswelt und der heutigen modernen Gegenwart?

Alle großen Künste, egal ob Literatur, Malerei oder Musik sind erstmals zeitlos. Aber es geht darum, dies aus dem Blickwinkel des 21. Jahrhunderts heraus verständlich zu machen. Jeder Künstler hat die Aufgabe, große Kunst in unsere heutige Welt zu bringen. Wenn es hier keinen Weg gibt, etwas relevant zu halten, wird es nicht weiter gehen. Unser wichtigster Job ist es, sicher zu stellen, dass die Schätze aus der Vergangenheit in der Zukunft weiter leben. Wir müssen zeigen: Diese Kompositionen wurden vor 200 Jahren geschrieben, aber ihr emotionaler Inhalt ist im Heute zugänglich.

 

Haben Sie Bilder im Kopf, wenn Sie spielen?

Das habe ich immer. Viele, sehr lebendige Bilder. Egal was, ich habe eine Geschichte, eine Szene, sehr viele Bilder. Wenn ich höre, sehe ich Plätze und erlebe Geschichten. Schon als Kind bin ich mit meinen Eltern viel gereist. Wenn ich heute Bach höre, sehe ich die deutsche Landschaft. Bei einer schnellen Passage der Musik, denke ich mir etwas aus, was gerade an diesem Ort passiert. Das ist mir sehr wichtig. Mir ist es wichtig, eine solche Bildkraft an mein Publikum weiterzugeben. Deswegen mache ich diese Videos.

 

Ihre Videos deuten darauf hin, dass es Ihnen um mehr geht als um „Selbstmarketing“.

Ich hole mal etwas weiter aus: Zusätzlich zu meinem Spielen, ist mir das Unterrichten, das Lehren und Weitergeben ein großes Anliegen. Das mache ich schon seit ich 13 bin. Meine Mutter war Lehrerin. Ich guckte mir das ab und begann, unter Aufsicht meiner Mutter, die kleinen Brüder und Schwestern einiger ihrer Schüler zu unterrichten. Als Lehrerin frage ich immer meine Schüler, was die Musik in die Köpfe und Fantasie hinein bringt. Die Kinder schauen immer ganz ungläubig.

 

Haben heutige Kinder keine imaginären Bilder mehr?

Es ist schwieriger geworden. Unsere Außenwelt ist visuell so stark dominiert. Wir haben Fernsehen, iPads, youtube etc.. Es gibt keine eigenen Imaginationsräume mehr. Und Klassik ist meiner Meinung ohne eine gute Vorstellungsgabe nur sehr schwer zu erfassen. Natürlich ist alles in einer guten Komposition enthalten. Jungen Leuten fällt es aber immer schwerer, eine halbe Stunde zu sitzen und eine Beethovensinfonie zu hören. Es fehlt hier leider an Langzeit-Konzentrationsfähigkeit. Aber genau die braucht es: Musik hören und sich etwas vorstellen dabei führt erst zu einer reichen Erfahrung. Ich bin glücklich über meine eigene Imaginationsfähigkeit, die ich von klein auf mitbekommen habe.

 

Wollen Sie in den Videos bewusst viel von sich und Ihrer Alltagsumgebung als moderne Musikerin zeigen?

Ich wollte vor allem Beethovens Lebensumgebung zeigen. Vor allem bestimmte Plätze in Wien, die mit Beethoven zu tun haben. In Amerika wissen nur wenig Leute, wo Beethoven lebte. Vor allem wollte ich einen Eindruck aus einem modernen Blickwinkel heraus transportieren. Die Leute sollen realisieren, dass Beethoven modern in seiner Zeit war.

 

Haben Sie bewusst sehr kurze Bildschnitte gewählt?

Ich wollte die Schnitte so schnell wie die Musik haben, eben damit das Auge genauso schnell wie das Ohr unterwegs ist. Alle Sinne sollen involviert sein. Man soll das Tempo, die Leidenschaft und die Dramatik fühlen.

 

Mal was anderes: Klassiker wie Beethoven rangieren in ihrem Repertoire ja fast gleichwertig mit den berühmten amerikanischen Komponisten. Von denen präsentieren Sie ja auch weniger bekanntes Repertoire – vor allem der Solozyklus mit Stücken von Leonard Bernstein ist eine echte Überraschung. Wie kam es dazu?

Ich wusste nichts über die Klaviermusik von Leonard Bernstein und habe mir die Musik nach einer überraschenden Entdeckung in kurzer Zeit erschlossen. Bemerkenswert ist, dass jedes dieser Stücke einer bedeutenden Person gewidmet ist. Ich fragte mich dann, was ihm durch den Kopf ging und was er für Verhältnisse zu diesen Menschen hatte. Ich war absolut überrascht von dem Spaß und Charme, den diese Musik transportiert – zugleich etwas fassungslos, dass diese Stücke kaum bekannt sind, obwohl sie von einem so gewichtigen Komponisten des 20. Jahrhundert stammen. Ja, ich finde es regelrecht schlimm, dass diese Schätze bislang so ignoriert wurden und dadurch vielen Menschen eine großartige Musik vorenthalten wird.

 

Wie ist das Verhältnis zwischen großen europäischen Klassikern wie Beethoven und amerikanischen Komponisten in den Konzertprogrammen in Ihrer Heimat?

Die Klassik ist überall eine europäisch basierte Musik. Bei uns gibt es vielleicht etwas mehr amerikanische Komponisten, aber der Unterschied ist nicht so groß. Von Gershwin und Bernstein gibt es meist nur die großen Hits wie „Candide“ und „Westside Story“ zu hören. Bernsteins Klaviermusik wird jedoch komplett unterschlagen. Das empfinde ich als Enttäuschung.

 

Was möchten Sie Menschen geben beim Musik machem?

Musik ist nicht nur meine persönliche Leidenschaft, sondern auch eines der größten Geschenke für die Menschheit. Es gibt nichts vergleichbares wie ein Beethoven-Konzert und es ist immer etwas unaussprechliches darin enthalten. Wenn ich Menschen dazu inspirieren kann, habe ich mein Ziel erreicht.

 

Das Gespräch führte Stefan Pieper

Videolink: https://www.youtube.com/watch?v=hhr_aE_TtSQ

CD:

Katie Mahan: Appassionata

Label: steinway

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