„Ich musste einfach singen“
Katarina Bradić über ihre Anfänge, den Weg auf die Opernbühne und „Cassandra“ an der Berliner Staatsoper.
Katarina Bradić über ihre Anfänge, den Weg auf die Opernbühne und „Cassandra“ an der Berliner Staatsoper.

Katarina Bradic. Foto: Dragana Brankovic
Sie singt Barock, Zeitgenössisches oder Klassiker wie Carmen – und ist dabei stets auf der Suche nach Ausdruck und Wahrhaftigkeit. Die in Serbien geborene Mezzosopranistin Katarina Bradić studierte in Wien, lebt heute in Spanien und ist regelmäßig an internationalen Bühnen zu Gast. In Bernard Foccroulles Oper „Cassandra“, deren Titelrolle sie bei der Uraufführung in Brüssel und nun in Berlin verkörpert, steht sie im Zentrum eines Werks, das ebenso politisch wie emotional ist. Im Interview spricht sie über ihre künstlerischen Anfänge in Österreich, den Umgang mit neuer Musik und die Bühne als Ort existenzieller Auseinandersetzung.
Beginnen wir mit Ihrer Verbindung zu Österreich: Sie haben am Wiener Konservatorium studiert. Welche Rolle spielten die Stadt und Ihre Zeit dort für Ihre künstlerische Entwicklung?
Welche Erinnerungen oder Eindrücke aus Wien waren besonders prägend? Spüren Sie noch heute eine Verbindung zur Wiener Musikszene?
Wien hat eine entscheidende Rolle dabei gespielt, mich sowohl als Sängerin als auch als Musikerin zu formen. Meine musikalische Ausbildung begann in Serbien, wo ich bereits mit acht Jahren die Grund- und weiterführende Musikschule mit Schwerpunkt Klavier und Musiktheorie besuchte. Anschließend studierte ich an der Musikakademie in Novi Sad und absolvierte dort ein vierjähriges Studium in Musiktheorie und Pädagogik.Erst im letzten Jahr dieses Studiums entdeckte ich – eher zufällig und vergleichsweise spät -, dass ich über eine Stimme verfüge, die es wert war, ausgebildet zu werden. Diese Erkenntnis weckte ein verborgenes Potenzial in mir, und so begann ich mit dem Gesangsstudium und absolvierte weitere vier Jahre Gesangsausbildung. Doch als ich damit fertig war, fühlte ich mich noch nicht bereit für den Schritt ins Berufsleben. Ich legte eine zweijährige Pause ein und kämpfte in dieser Zeit mit Zweifeln und Unsicherheiten darüber, ob dieser Weg wirklich der richtige für mich war.
Trotzdem blieb ich der Musik verbunden, sang in verschiedenen Chören, unter anderem im World Youth Choir, aber schließlich traf mein Herz die Entscheidung: Ich musste einfach singen. Diese innere Gewissheit führte mich dazu, mein Gesangsstudium fortzusetzen, und die Umstände brachten mich nach Wien.
Dort schrieb ich mich am Konservatorium Wien (heute Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien) ein und absolvierte ein Masterstudium in Lied und Oratorium. Diese Zeit war von unschätzbarem Wert, und ich bin meinen beiden Lehrerinnen, Birgit Steinberger und Carolyn Hague, bis heute sehr dankbar. Sie sind beide sehr sachkundig, wissen so viel über die menschliche Stimme, aber auch über die Musik an sich und deren Interpretation. Sie lehrten mich, musikalische Gedanken zu formen und sie stimmlich zum Ausdruck zu bringen.
Parallel zu meinem Studium sang ich im Arnold Schoenberg Chor, eine prägende Erfahrung, vor allem für jemanden aus Serbien, wo die Chormusiktradition weniger stark ausgeprägt ist. Unter Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt und Erwin Ortner mit Werken von Bach und Mozart zu arbeiten – mitten im Ursprungsland dieser Musik – war eine unschätzbare Ausbildung in historischer Aufführungspraxis und Interpretation.
Während meiner Wiener Zeit hatte ich auch die Gelegenheit, meine erste Opernrolle auf der Bühne zu singen – beim Open-Air-Festival in St. Margarethen. Es war eine prägende Erfahrung: unter freiem Himmel zu singen, manchmal wortwörtlich mit Mücken im Hals – aber man lernte immer dazu. Vor einem großen Publikum in solch einem Rahmen aufzutreten, war in dieser frühen Phase meiner Opernlaufbahn sehr wertvoll für meine Bühnenpraxis.Ein Jahr später zog ich nach Belgien, um ein Engagement an der Vlaamse Opera anzutreten, wo ich meine erste Saison als Ensemblemitglied verbrachte. Im selben Jahr wurde ich nach Österreich zurück eingeladen, um beim Festival in Klosterneuburg meine erste Carmen zu singen – im Sommer 2010. Das war ein Meilenstein und markierte den Beginn eines neuen Kapitels meiner künstlerischen Laufbahn.
Dort schrieb ich mich am Konservatorium Wien (heute Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien) ein und absolvierte ein Masterstudium in Lied und Oratorium. Diese Zeit war von unschätzbarem Wert, und ich bin meinen beiden Lehrerinnen, Birgit Steinberger und Carolyn Hague, bis heute sehr dankbar. Sie sind beide sehr sachkundig, wissen so viel über die menschliche Stimme, aber auch über die Musik an sich und deren Interpretation. Sie lehrten mich, musikalische Gedanken zu formen und sie stimmlich zum Ausdruck zu bringen.
Parallel zu meinem Studium sang ich im Arnold Schoenberg Chor, eine prägende Erfahrung, vor allem für jemanden aus Serbien, wo die Chormusiktradition weniger stark ausgeprägt ist. Unter Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt und Erwin Ortner mit Werken von Bach und Mozart zu arbeiten – mitten im Ursprungsland dieser Musik – war eine unschätzbare Ausbildung in historischer Aufführungspraxis und Interpretation.
Während meiner Wiener Zeit hatte ich auch die Gelegenheit, meine erste Opernrolle auf der Bühne zu singen – beim Open-Air-Festival in St. Margarethen. Es war eine prägende Erfahrung: unter freiem Himmel zu singen, manchmal wortwörtlich mit Mücken im Hals – aber man lernte immer dazu. Vor einem großen Publikum in solch einem Rahmen aufzutreten, war in dieser frühen Phase meiner Opernlaufbahn sehr wertvoll für meine Bühnenpraxis.Ein Jahr später zog ich nach Belgien, um ein Engagement an der Vlaamse Opera anzutreten, wo ich meine erste Saison als Ensemblemitglied verbrachte. Im selben Jahr wurde ich nach Österreich zurück eingeladen, um beim Festival in Klosterneuburg meine erste Carmen zu singen – im Sommer 2010. Das war ein Meilenstein und markierte den Beginn eines neuen Kapitels meiner künstlerischen Laufbahn.
Sie sind bekannt für Ihre bemerkenswerte stilistische Vielseitigkeit und singen Werke vom Barock bis zur zeitgenössischen Oper. Worauf muss man achten, wenn man Musik von derart unterschiedliche Stilrichtungen und Epochen interpretiert? Und was fasziniert Sie besonders an neuer Musik?
Wenn man Musik so unterschiedlicher Stilrichtungen singt, ist es meiner Meinung nach am wichtigsten, sich selbst und der Stimme Zeit zu geben – Zeit, sich anzupassen, zu lernen, wie man mit den technischen und expressiven Anforderungen jedes Repertoires umgeht. Jeder Stil, ja sogar jede einzelne Rolle verlangt etwas anderes von der Stimme. Man muss ihr den Raum geben, sich darauf einzustellen, um auf gesunde Weise einen optimalen Klang zu finden.Nehmen wir Barockmusik als Beispiel. Ich habe viele Rollen dieser Epoche gesungen – und sie unterscheiden sich stark. Medea in Cavallis „Il Giasone“ ist extrem hoch geschrieben, teils im Bereich eines Soprans, während Händels Orlando wiederum sehr tief liegt – außergewöhnlich tief, besonders für eine Frauenstimme. Auch wenn beide Rollen dem Barock zugeordnet werden, würde ich sie niemals gleichzeitig singen. Beide erfordern ganz unterschiedliche technische Voraussetzungen, und ein Übergang ohne ausreichende Erholungszeit könnte der Stimme schaden. Man muss ihr die Möglichkeit geben, sich neu einzustellen – auf die jeweilige Tessitura, auf die technischen Besonderheiten – damit sie gesund und klangvoll bleiben kann.Bei zeitgenössischer Musik gilt das umso mehr. Ein gutes Beispiel ist Cassandra von Bernard Foccroulle – eine vokal extrem anspruchsvolle Partie. Cassandra ist eine zutiefst gequälte Figur, eine Frau, die den Untergang Trojas voraussieht, von schrecklichen Visionen heimgesucht wird – und doch völlig machtlos ist, das Unheil aufzuhalten. Der Komponist übersetzt diesen seelischen Zustand in extreme Anforderungen an die Stimme: tiefe, dunkle Töne, die Trauer und Verzweiflung ausdrücken, stehen plötzlichen, schrillen Ausbrüchen gegenüber – eher Schreie als schöne Töne -, die Panik, Angst und Hilflosigkeit vermitteln sollen.Auch rhythmisch ist die Partie oft unregelmäßig, mit zackigen, abgehackten Phrasen, die an Stottern oder Orientierungslosigkeit erinnern, wie bei jemandem in einem Schockzustand. Es braucht viel Zeit und Sorgfalt, um herauszufinden, wie man all das stimmlich ausdrücken kann, ohne sich zu überfordern oder der Stimme zu schaden. Man muss sich diesen Rollen geduldig, behutsam und mit klugem technischen Verständnis nähern.
Was mich an zeitgenössischer Oper besonders fasziniert, ist die psychologische Tiefe und Komplexität der Figuren. Oft spiegeln sie seelische Zustände oder emotionale Landschaften wider, die mir völlig fremd sind. Gerade diese Fremdheit ist Teil der Herausforderung – und der Faszination. Und stimmlich eröffnet die zeitgenössische Oper Ausdrucksformen, die man in keinem anderen Repertoire findet. Es erfordert Mut, sich auf diese Rollen einzulassen, sich dem Unbekannten zu stellen – aber ich finde die Erfahrung jedes Mal zutiefst bereichernd.
Was mich an zeitgenössischer Oper besonders fasziniert, ist die psychologische Tiefe und Komplexität der Figuren. Oft spiegeln sie seelische Zustände oder emotionale Landschaften wider, die mir völlig fremd sind. Gerade diese Fremdheit ist Teil der Herausforderung – und der Faszination. Und stimmlich eröffnet die zeitgenössische Oper Ausdrucksformen, die man in keinem anderen Repertoire findet. Es erfordert Mut, sich auf diese Rollen einzulassen, sich dem Unbekannten zu stellen – aber ich finde die Erfahrung jedes Mal zutiefst bereichernd.
Die Titelrolle in Foccroulles „Cassandra“ ist nicht nur musikalisch anspruchsvoll, sondern auch emotional und politisch aufgeladen. Was bedeutet diese Figur für Sie, und wie haben Sie sich ihr angenähert?
„Cassandra“ ist ein Werk, das das drängende Thema Klimawandel anspricht, mit einer Botschaft, die für uns alle von entscheidender Bedeutung ist. Doch über dieses Thema hinaus lädt die Oper auch zu einer weiter gefassten Auseinandersetzung ein. Die beiden zentralen Figuren, Cassandra, die mythologische Seherin, die die Schrecken des Trojanischen Kriegs voraussieht, und Sandra, eine zeitgenössische Klimaforscherin, eröffnen zwei starke Perspektiven, durch die wir auf unsere heutige Welt blicken können.Sandra vermittelt ernste, tiefgreifende Wahrheiten, etwa über das Verschwinden der Bienen und dessen dramatische Folgen für das Leben auf unserem Planeten, mit Humor, teils sogar in Form von Stand-up-Comedy. Die Oper konfrontiert uns mit der unbequemen Realität, wie abgestumpft wir inzwischen sind, wie wir uns an einen Zustand der inneren Betäubung gewöhnt haben. Indem wir aufhören, kritisch zu denken und wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren, überlassen wir die Entscheidungsmacht jenen, die nicht das Wohl der Menschheit oder der Erde im Sinn haben, und dennoch an den Hebeln der Macht sitzen.Für mich steht Cassandra stellvertretend für all jene Figuren in der Geschichte – seien es Wissenschaftler, Politiker, Journalisten oder Schriftsteller -, die wichtige und drängende Botschaften zu übermitteln hatten, aber zum Schweigen gebracht oder ignoriert wurden. Zugleich wirft ihre Geschichte ein starkes Licht auf die Rolle der Frau im Lauf der Zeit, und darauf, wie diese Rolle immer wieder durch das begrenzt wurde, was Männer ihr zugestanden haben.
In dieser Oper ist Cassandra eine Frau, die wegen ihrer Schönheit und Intelligenz bewundert wird. Apollo, der versucht, ihre Liebe zu gewinnen, schenkt ihr die Gabe der Weissagung, doch als sie ihn zurückweist, verflucht er sie: Niemand werde je ihren Prophezeiungen Glauben schenken. Dieser Fluch ist eine Strafe für ihren Ungehorsam, und zugleich ein Spiegel größerer historischer Zusammenhänge: Frauenstimmen wurden in patriarchalen Systemen allzu oft ignoriert oder unterdrückt.
„Cassandra“ zwingt uns, darüber nachzudenken, wie viele Frauen niemals die Chance hatten, gehört zu werden, und wie viele Wahrheiten dadurch womöglich ungesagt oder ungehört geblieben sind.
In dieser Oper ist Cassandra eine Frau, die wegen ihrer Schönheit und Intelligenz bewundert wird. Apollo, der versucht, ihre Liebe zu gewinnen, schenkt ihr die Gabe der Weissagung, doch als sie ihn zurückweist, verflucht er sie: Niemand werde je ihren Prophezeiungen Glauben schenken. Dieser Fluch ist eine Strafe für ihren Ungehorsam, und zugleich ein Spiegel größerer historischer Zusammenhänge: Frauenstimmen wurden in patriarchalen Systemen allzu oft ignoriert oder unterdrückt.
„Cassandra“ zwingt uns, darüber nachzudenken, wie viele Frauen niemals die Chance hatten, gehört zu werden, und wie viele Wahrheiten dadurch womöglich ungesagt oder ungehört geblieben sind.

Katarina Bradic. Foto: Dragana Brankovic
Sie haben in den letzten Jahren in mehreren Uraufführungen gesungen, unter anderem in „Justice“ in Genf, „Negar“ in Berlin und „Cassandra“ in Brüssel. Wie gestaltet sich für Sie der Austausch mit den Komponisten?
In der Regel findet der Austausch mit Komponistinnen und Komponisten auf der Ebene der Interpretation statt. Über musikalische Details sprechen wir eher selten, es sei denn, es gibt eine Passage, in der meine gesangliche Auslegung von der ursprünglichen Intention des Komponisten abweicht. Spannend ist, dass das Hören der Musik in der realen Bühnensituation, gesungen und vom Orchester gespielt, den Komponierenden oft neue Impulse gibt, die über ihre ursprüngliche Vorstellung beim Komponieren hinausgehen.In solchen Fällen sprechen wir darüber, wie sich bestimmte Elemente anpassen lassen: etwa das Tempo, die Charakterzeichnung – soll sie heller, dunkler, feiner sein? – oder wie man ein stimmiges Gleichgewicht findet. Es ist ein sehr kollaborativer Prozess, bei dem es darum geht, gemeinsam den ausdrucksstärksten Weg zu finden.
Ein Blick auf Ihre Biografie zeigt: Sie sind im ehemaligen Jugoslawien aufgewachsen, in einer Zeit des Krieges und großer Entbehrung. Wie haben diese persönlichen Erfahrungen Ihre künstlerischen Entscheidungen geprägt? Und was bedeutet die Bühne für Sie – ein Ort politischer oder emotionaler Wahrheit?
Für mich ist die Bühne auch kein Ort, an dem politische Haltungen zum Ausdruck kommen können, auch wenn ich diesen Aspekt vermutlich anders angehen würde, wenn ich Komponistin oder Regisseurin wäre. Nach allem, was im ehemaligen Jugoslawien geschehen ist – und nach der NATO-Bombardierung Serbiens im Jahr 1999 -, empfand ich Österreich, besonders Wien, wo meine künstlerische Laufbahn begann, als ein Geschenk: als außergewöhnliche Chance, das zu verfolgen, was ich liebe.Was die emotionale Wahrheit betrifft, so sind Künstlerinnen und Künstler von Natur aus sehr empfindsam. Die Schwierigkeiten, die ich erlebt habe, haben diese Sensibilität nur noch verstärkt. Ich betrachte das als etwas Positives, als einen inneren Speicher gelebter Erfahrung, aus dem ich auf der Bühne schöpfen kann, um jede Emotion glaubhaft zu gestalten.7) Wie unterscheidet sich Ihre Herangehensweise an eine zeitgenössische Rolle wie Cassandra von einer klassischen Figur wie Carmen oder Dalila?
Wenn man eine Rolle aus dem klassischen Repertoire singt, wie etwa Carmen oder Dalila, ist das zugleich einfach und herausfordernd. Einfach, weil es eine Fülle an Material gibt, auf das man zurückgreifen kann: Man hat unzählige Aufnahmen gehört, viele Inszenierungen gesehen. Wenn man möchte, kann man sich von den Interpretationen von Künstlern inspirieren lassen, die man bewundert. Doch gleichzeitig ist man dem ständigen Vergleich ausgesetzt, und das kann einschüchternd sein.
Ganz anders ist es bei einer zeitgenössischen Oper, vor allem bei einer Uraufführung. Das Werk ist unbekannt, die Figur, die Musik, alles ist Neuland. Man folgt niemandem, sondern erschafft den Weg selbst. In gewissem Sinne schenkt man der Figur Leben und prägt, wie sie zum allerersten Mal wahrgenommen wird. Das ist eine enorme Verantwortung, aber auch eine große Ehre, die Erste zu sein, die eine neue Rolle mit Leben erfüllt.
Wenn man eine Rolle aus dem klassischen Repertoire singt, wie etwa Carmen oder Dalila, ist das zugleich einfach und herausfordernd. Einfach, weil es eine Fülle an Material gibt, auf das man zurückgreifen kann: Man hat unzählige Aufnahmen gehört, viele Inszenierungen gesehen. Wenn man möchte, kann man sich von den Interpretationen von Künstlern inspirieren lassen, die man bewundert. Doch gleichzeitig ist man dem ständigen Vergleich ausgesetzt, und das kann einschüchternd sein.
Ganz anders ist es bei einer zeitgenössischen Oper, vor allem bei einer Uraufführung. Das Werk ist unbekannt, die Figur, die Musik, alles ist Neuland. Man folgt niemandem, sondern erschafft den Weg selbst. In gewissem Sinne schenkt man der Figur Leben und prägt, wie sie zum allerersten Mal wahrgenommen wird. Das ist eine enorme Verantwortung, aber auch eine große Ehre, die Erste zu sein, die eine neue Rolle mit Leben erfüllt.
Haben Sie Pläne oder Wünsche, bald wieder nach Österreich zurückzukehren – beruflich oder privat?
Ich hoffe sehr, bald wieder nach Wien zurückzukehren, und ganz besonders an das Theater an der Wien. Gerne für eine szenische Produktion, jetzt erst recht nach der Renovierung. Auch persönlich würde ich gerne viele liebe Freunde wiedersehen, die ich noch dort habe. Wien war vier Jahre lang mein Zuhause, und es hat sich auch wirklich wie ein Zuhause angefühlt. Es war der Ort, an dem ich persönlich und musikalisch gewachsen bin. Die Stadt hat mir so viel gegeben: Ausbildung, Musik, Kultur, und auf eine gewisse Weise auch Nahrung für die Seele.Ich würde so gerne wieder einen Tag am Kaiserwasser verbringen, in der Gegend der Alten Donau, wo ich früher gewohnt habe. Ich liebe diesen Teil Wiens sehr. Ich habe dort viel Zeit mit Sport verbracht, war oft im Kaiserwasser schwimmen. Ich bin auch oft mit dem Rad auf den Kahlenberg gefahren. All diese kleinen, einfachen Dinge haben mir während meiner Zeit in Wien so viel Freude bereitet.Ein großer Wunsch ist es auch, einmal in Salzburg zu singen. Es gab in den letzten Jahren ein paar Anfragen und Angebote, aber leider war ich terminlich nicht verfügbar. Ich hoffe sehr, dass sich bald eine neue Gelegenheit ergibt – es wäre eine große Freude, dort zum ersten Mal aufzutreten.9) Gibt es Rollen oder Projekte, die Sie besonders gerne in Wien verwirklichen würden?Natürlich gibt es Opern und Konzertprojekte, die ich sehr gerne in Wien oder auch anderswo in Österreich realisieren würde. Aber ich möchte sie hier nicht aufzählen – das würde mir ein wenig vermessen erscheinen.
Was soll „Cassandra“ beim Berliner Publikum auslösen oder hinterlassen?
Ich wünsche mir, dass das Publikum die Vorstellung mit dem Impuls verlässt, nachzudenken – sich Fragen zu stellen über die Strukturen unserer Welt und über die Rolle, die jeder Einzelne darin spielt. Vor allem aber hoffe ich, dass sie mit einem Gefühl der Hoffnung nach Hause gehen, mit dem Glauben, dass positive Veränderung möglich ist. Und wenn ein Streben nach Utopie vielleicht zu weit entfernt scheint, dann bleibt uns zumindest die Verantwortung, nicht tatenlos in eine dystopische Zukunft zu rutschen.
im Juni 2025
Renate Riener-Cupak