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KASSEL: TRISTAN UND ISOLDE

Das Wunder von Kassel

18.06.2018 | Oper


Michael Weinius, Ann Petersen. Copyright: N. Klinger

Kassel: „TRISTAN UND ISOLDE“

Besuchte 4. Aufführung am 17.06.2018

WM – Das Wunder von Bern? Weit gefehlt: „Das Wunder von Kassel“

Fast auf den Tag, 153 Jahre nach der UA erlebte ich „Tristan und Isolde“ (Richard Wagner) am Staatstheater Kassel. Ausdrücklich möchte ich das Wort „erlebte“ betonen, denn nach bisher 47. besuchten Inszenierungen meines Opern-Favoriten, hielt ich es nicht für möglich, dass sich bisherige Realisationen noch toppen ließen? Doch wurde ich heute eines Besseren belehrt!

In Kenntnis der Materie führte Stephan Müller sein hervorragendes Sängerteam in prägnantem Psychogramm durch die verhängnisvollen Emotionswelten, beleuchtete dezent die personellen Konstellationen Marke-Tristan-Kurwenal und formte seine exzellenten Darsteller zu großartigen Strindberg-Analysen. Um exemplarisch nur eine zu nennen: zur Textzeile Markes dies wundervolle Weib derart resignierend in Tristesse bekundend, litt Isolde in reuevoller Selbsterkenntnis mit. All jene unzähligen Momente hoffnungsvoller intensiver aber auch trauriger Blicke und Gesten berührten, machten betroffen, gingen unter die Haut und ließen Augen überfluten.

In Cinemascope-Dimension erhob sich das variable Bühnenbild (Michael Simon), unterstrich in seiner dezenten Schlichtheit ohne Störelemente den intensiven Intellekt des Geschehens. Der klare meist blass-blaue Horizont erstrahlte zu jeweiligen Gefühlsregungen der Protagonisten ganz besonders bei der Isolden-Erzählung in kolorierten Schattierungen (Albert Geisel), ansonsten zierte ein halbnackter langgestreckter wunder Tristan die Leinwand. Im Licht-Dunkel-Ambiente des zweiten Bildes mit teils Felsbrocken an Seilen, spiegelnde Scheiben suggerierten eindrucksvoll die säuselnde Quelle, das tragische Liebespaar fand sich in trauter Zweisamkeit zu Kerzenbeleuchtung, abrupt blendeten grelle Scheinwerfer das Publikum. Erhöht weniger dimensioniert erschien die Räumlichkeit Tristans auf Karneol.

Schlichte blaue, schwarze, sehr kleidsame Kostüme für alle, zur Nacht der Liebe: Isolde im weißschillernder Robe, Tristan im bläulichen Smoking-Jackett von Carla Caminati geschmackvoll kreiert.

Am Pult des prächtig disponierten Staatsorchester Kassel waltete umsichtig Constantin Trinks, vermied stets überzogene Emphase sowie Pseudo-Pathos. Harmonisch distanziert führte der einfühlsame Dirigent das aufmerksam und klangschön aufspielende Orchester durch die farbenreiche Partitur, steigerte sich zu kammermusikalischer Transparenz des Vorspiels in die überwältigende Liebesekstase, ließ im Verlauf die betörende Musik fließen, atmen, rückte musikalische Details (Er sah mir in die Augen – die säuselnde Quelle etc.) in sphärische Nähen. Zur überwältigenden Klangkultur verstand es Trinks in mitreißender Energie vom ersten bis letzten Ton zu fesseln, leuchtete brillant phänomenale orchestrale Zwischentöne aus, ließ trotz aller Instrumentalwogen seine Sänger atmen, versetzte die Zuhörer in seraphischen Klangrausch und erntete dafür lautstarke Begeisterung.

Derart von orchestralen Wogen umflort und bestens geführt, fühlte sich das Sänger-Ensemble zu Höchstleistungen animiert. Ohne jedoch die Qualitäten der Kollegen zu mindern, gebührt die Krone des Abends zweifellos Andreas Bauer. In absoluter Perfektion verströmte der Bassist sein exquisites Material in prächtigem Wohlklang, individuell, kontrastreich in nuanciertem Farbreichtum entfaltete sich die kultivierte Stimme beschwörend, ergreifend, ohne Larmoyanz zu emotionstiefem grandiosen Gesang. Indessen schenkte Bauer seinem König Marke eine majestätische, herb-maskuline Präsenz in Verbindung einer bewegend-intensiven zu Herzen gehenden Darstellung. Man hätte Isolde durchaus … doch wollen wir keinesfalls den größten Liebesepos aller Zeiten transformieren. Mit dieser elitären Interpretation sicherte sich der sympathisch-bescheidene Künstler die absolute Gunst des Publikums.

In völliger Rollenidentifikation durchlebte Michael Weinius die Skalen verwirrender Emotionen des Titelhelden. Der stimmgewaltige Heldentenor mit emphatisch lyrischen Färbungen schöpfte vokal aus schier unfassbaren Reserven ohne die musikalische Linie und die vokale Differenzierung zu vernachlässigen. Der Sänger beherrschte die glanzvollen Höhenausbrüche seiner traumatisierten Erzählungen im dritten Akt, wie gleichwohl das Kalkül meisterhafter Artikulation.

Der irischen Maid schenkte Ann Petersen die hinreißend-frauliche Optik und stimmlich den jugendlich-dramatischen Sopran. Zu Beginn leicht verhalten, sich allmählich in dramatische Gefilde ihrer Rache steigernd, ließ sie sich strahlkräftig von Tristan in die schier grenzenlose Liebesekstase entführen. Ihr tragfähiger gut grundierter Sopran überzeugte zu stabiler beeindruckender Mittellage, schlichen sich während so manch hohen Extremtönen kleine Unebenheiten ein, schmälern diese „Merkereien“ keineswegs die komplexe beachtliche Gesamtleistung der Sängerin, schenkte sie dem finalen Mild und leise noch innig-berührende Töne.


Dan Karlström, Andreas Bauer, Hansung Yoo, Ulrike Schneider. Copyright: N. Klinger

Intensiv in Spiel und Ausdruck, kultiviertem Legato und mühelosen Höhen schenkte Ulrike Schneider mit herrlich aufblühendem Mezzosopran der Brangäne komplexes Profil. Von Wärme durchflutet, weich fließend, herrlich strahlend ertönten die warnenden nächtlichen Rufe.

Aufhorchen ließ der junge Bariton Hansung Yoo mit klarer Diktion und in allen Lagen sehr gut durchgebildetem Stimmpotenzial. Zur vokalen Akkuratesse in markanter Farbpracht, demonstrierte der Sänger imposant darstellerische Qualitäten als umsorgender treuer Kurwenal.

In ebenfalls ausgezeichneter Qualität bewährten sich besonders schönstimmig Younggi Moses Do (Hirt), Tobias Hächler (Junger Seemann), Johannes An (Melot), Daniel Holzhauser (Steuermann) sowie der prächtig formierte Herrenchor (Marco Zeiser Celesti).

Ohne kurze Momente des Innehalten schlugen allen Beteiligten kurz und nur fünf Minuten Wogen der Begeisterung entgegen.

Gerhard Hoffmann

 

 

 

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