Ins eiskalte Wasser geworfen
Am Samstag, dem 6. April, wird der deutsche Dirigent Karsten Januschke im Rahmen des Projekts Musica non grata an der Staatsoper Prag zwei außergewöhnliche Opern des 20. Jahrhunderts aufführen: Sancta Susanna von Paul Hindemith und Eine florentinische Tragödie von Alexander Zemlinsky. Unser Interview fand zu einer Zeit statt, als der Dirigent seine künstlerische Tätigkeit zwischen Frankfurt und Stuttgart geteilt hat, zwei Städten, die in der Geschichte dieser beiden Werke eine bedeutende Rolle gespielt haben.
Karsten Januschke. Copyright: Januschke
Es scheint, dass Sie für unser Gespräch gut motiviert sind?
Ja, das bin ich! Am Samstag habe ich an der Frankfurter Oper dirigiert, dem Ort der Uraufführung von Sancta Susanna im Jahre 1922, und zwei Tage danach in Stuttgart, wo im Jahre 1917 zum ersten Mal Eine florentinische Tragödie gespielt wurde.
Die beiden Werke sind in einem ziemlich kurzen Zeitabstand komponiert worden. Ist ihr Musikstil völlig unterschiedlich, oder gibt es etwas, das sie verbindet?
Sie haben viele Gemeinsamkeiten, wenn auch ihre Musiksprache beim ersten Zuhören völlig unterschiedlich erscheint. Und zwar sowohl im resultierenden Klang, als auch in der Arbeit mit dem Orchester, obwohl es sich in beiden Fällen um eine ziemlich große Besetzung handelt. Zemlinsky repräsentiert eine leicht modernisierte Spätromantik, während Hindemith das Orchester fast wie ein Kammermusikensemble behandelt, wie eine Kammermusik, die an einigen Stellen in einem gewaltigen Klang explodiert. Beide Sujets haben etwas mit verzerrten, perversen Formen der Liebe und erotischen Situationen zu tun. Und was für mich besonders wichtig ist, beide Opern sind extrem atmosphärisch. Bei Hindemith ist es die Düsternis einer Kirche, man hört in der Musik quasi die brennenden Kerzen! Zemlinsky stellt das Bild von Florenz im 16. Jahrhundert vor: bereits in der Ouvertüre verspürt man Schwüle, Feuchtigkeit und Wärme. Und das alles ist mit einer erotischen Spannung vermischt. In beiden Fällen handelt sich auch um eine Geschichte um wenige Personen – in der Florentinischen Tragödie gibt es drei, in Sancta Susanna zwei Hauptrollen –, und in beiden kommen unglaubliche Situationen vor. Und beide Opern wurden von einem Skandal begleitet. Ich habe kürzlich den Inhalt von Sancta Susanna einem Freund erzählt und er hat gefragt: „Eine Nonne, die Sex mit Christus haben will? Was bitte soll das sein?“ Auch nach hundert Jahren sind die Leute darüber empört. Ich denke, Hindemith war sich dessen wohl bewusst, dass die Uraufführung einen kolossalen Aufruhr auslösen würde!
Paul Hindemith ist nicht gerade ein Komponist, dessen Werke oft im Repertoire aufscheinen. Wie sind Sie zu seiner Musik gekommen?
Ich hatte in meinen 20er Jahren eine „Hindemith-Periode“, in der ich ihm völlig verfallen bin. Damals habe ich unter anderem viele seine Klavierwerke durchgespielt. Sein Stil ist sehr eigenartig, er hat in einer bestimmten Zeit, zu der auch die Komposition von Sancta Susanna gehört, auf großartige, für mich fast faszinierende Weise Expressionismus mit Neoklassizismus verbunden. Zemlinskys Eine florentinische Tragödie hat vieles mit Strauss‘ Salome gemeinsam, aber was die Sancta Susanna betrifft, weiß ich kein mit dieser Oper vergleichbares Werk. Es gibt nur einen einzigen Hindemith.
Was für ein Abenteuer bedeutet es für einen Dirigenten, sich in solche unbekannten Gewässer zu wagen?
Ich mag das, weil man heute dazu neigt, einen in eine Schublade zu stecken. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich Kapellmeister an der Frankfurter Oper war und der dortige Intendant mich mit Vorliebe ständig ins eiskalte Wasser geworfen hat, sodass ich einerseits mit einem Barockensemble mit historischen Instrumenten gearbeitet, andererseits ein ultramodernes Werk von Olga Neuwirth einstudiert habe. Ich habe viele Opern dirigiert, von Mozart bis Wagner, und das war eigentlich sehr amüsant, weil ich gerne den Hintergrund eines Werks studiere, um einen möglichst großen Einblick zu gewinnen, in welcher Situation dieses oder jenes Werk entstanden ist. In unserem Fall sind es darüber hinaus sehr tragische Umstände, die mit dem Ersten Weltkrieg und dann mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus zusammenhängen.
Wie setzen Sie sich mit dem blasphemischen Inhalt von Sancta Susanna auseinander?
Ehrlich gesagt, ich habe mit der Kirche ein persönliches Problem, deshalb ist das für mich keine so große Schwierigkeit, aber ich bin mir bewusst, dass wir uns trotz aller Erkenntnisse und Erfahrungen, die wir in den letzten hundert Jahren gesammelt haben, auch heute noch auf dünnem Eis bewegen. Hindemith war erst 25 Jahre alt, als er Sancta Susanna geschrieben hat, also sehr jung, und auch er selbst ist später zur Meinung gelangt, dass er vielleicht etwas über das Ziel hinausgeschossen hat, und nach dem Zweiten Weltkrieg die Aufführungen dieser Oper verboten. Wir reden also über ein sehr sensibles Thema. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob wir teilweise eine schauspielerische Aktion einsetzen werden, aber wir müssen dies auf jeden Fall bedenken.
Haben Sie also nicht das gleiche Problem wie der Dirigent Fritz Busch, der es abgelehnt hat, Sancta Susanna zur Uraufführung zu bringen?
Eigentlich weiß ich nicht, wie ich vor hundert Jahren gedacht hätte, aber heute habe ich damit kein Problem (er denkt nach). Jeder hat seine eigene Meinung über den Glauben, die Religion, über die Kirche. Es ist ein sehr komplexes Thema, bei dem ich möglicherweise zu weit gehen würde, wenn ich es zu kommentieren beginne. Ich sage nur, dass ich Abstand dazu halte und der Inhalt von Sancta Susanna mich nicht beunruhigt. Aber ich verstehe, dass jemand sensibel reagieren kann, und ich respektiere das.
Die Libretti beider Werke sind sehr stark. Auf welche Weise verbinden beide Komponisten die Musik mit dem Text?
Das ist eine sehr interessante Frage. Alexander Zemlinsky steht dem Stil der Salome nahe, die auf ihn im Allgemeinen einen großen Einfluss hatte. In Sancta Susanna wird die menschliche Stimme auf eine sehr eigenartige Weise verwendet. Der Autor des Librettos, August Stramm, war ein ausgesprochen expressionistischer Dichter. Ich habe einige seiner Gedichte gelesen und es handelt sich tatsächlich um sehr grausame, gnadenlose Texte, die die Spannung oder sogar Aggression der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in sich tragen. Er arbeitet mit kurzen Worten, teilweise zusammenhangslos, und ähnlich verfährt Hindemith in der Musik. Einen Melodiebogen begegnet man in Sancta Susanna sehr selten, im Gesang wie auch im Orchester. Die Oper beginnt mit einer wunderschönen Melodie der Soloflöte, mit der Hindemith im Lauf der Oper in Variationen immer arbeitet, das ist ein Konzept der Neoklassik. Und im Gegensatz dazu nutzt er die menschliche Stimme auf sehr expressive Weise. Er verwendet dissonante Sprünge, schneidet melodische Linien abrupt ab, einzelne Worte lässt er deklamieren, von einem Belcanto ist er wahrlich sehr entfernt. Er will kurze, unterbrochene Gesangsabschnitte, wie man es von Strawinski und Schönberg kennt. Doch obwohl das nicht die Art von Gesang ist, die Sänger lieben – große, schöne Legati –, kann es für sie äußerst interessant sein. Es gibt Debatten, ob Hindemith ein Expressionist war oder nicht. Ich glaube, dass es sich in Sancta Susanna um einen sehr stark ausgedrückten Expressionismus handelt.
Hindemith wird heute als einer der wichtigsten Repräsentanten der sogenannten Neuen Sachlichkeit verstanden, eines Stils, dessen Ausgangspunkt die Nüchternheit und Reinheit der Form sind, also das Gegenteil des Expressionismus. Sie sagen jedoch, dass Sancta Susanna einen sehr starken Expressionismus darstellt?
Ich meine, dass Hindemith zur Zeit der Komposition von Sancta Susanna noch lange nicht stilistisch ausgeprägt war. Sein großer Vorteil war, dass er fast alle Instrumente des symphonischen Orchesters beherrscht hat, das ist etwas Unglaubliches und das würde ich sehr gerne auch können! Er war auch ein sehr organisierter Mensch. Für ihn war sein Schaffen ein Ausdruck einer vollkommenen Beherrschung von kompositorischen Techniken, nicht eine plötzliche Eingebung, die einen zum Schreiben bringt. In der Sancta Susanna sieht man es deutlich in der Art, wie er das Hauptthema variiert. Was die formale Seite betrifft, ist das Werk sehr klar strukturiert, doch die Musik innerhalb dieser Struktur ist völlig expressionistisch.
Auf YouTube ist es möglich, Sancta Susanna zusammen mit der Partitur anzuhören. Ich muss zugeben, ich war völlig begeistert, wie Hindemith mit einfachen Mitteln absolut faszinierende Farben erzielen kann.
Das ist wahr. Zum Beispiel gleich am Anfang in diesem wunderbaren Solomotiv der Flöte, zu dem sich die Klarinette in der hohen Lage gesellt. Und dann beginnt die Orgel mit dem Ton Gis, Klementia stimmt mit dem selben Ton ein, und Zuzana singt A und Ais. So spielt Hindemith mit Dissonanzen. Meiner Meinung nach wollte er dissonanten und konsonanten Zusammenklang gleichsetzen, er bewegt sich also manchmal im gegebenen Tonsystem, aber der Übergang zur Atonalität ist ihm ebenso wichtig. Bei ihm muss die Dissonanz nicht unbedingt aufgelöst werden. Im Gegenteil. Seine Musik verbindet Tonalität mit Atonalität, er kombiniert gerne diese beide Möglicheiten und dadurch wirklich außerordentlich schöne und einzigartige Farben schafft. Das ist eine der magischen Seiten der Musik von Hindemith. Bei Zemlinsky befinden sich auch einige moderne Aspekte, die Musik bleibt jedoch spätromantisch. Hindemith hingegen beschreitet völlig neue Wege.
Alexander Zemlinsky war ein großer Wagnerianer. Ist dieser Einfluss in der Florentinischen Tragödie zu hören?
Ich glaube, dass Zemlinsky eher von Richard Strauss beeinflusst war, der an Wagner angeknüpft hat, sodass man von der Linie Wagner – Strauss – Zemlinsky sprechen kann. Ich höre Wagners Einfluss ganz deutlich im harmonischen System, Zemlinsky hat ihn aber auf die Spitze getrieben. Man muss bedenken, dass es sich um eine Zeit handelt, die etwa fünfzig Jahre später liegt. Das ist auch in der Instrumentierung, vor allem in der Nutzung der Farben der Streicher und ihrer Verdoppelung mit den Holzbläsern zu merken. Für mich ist es außerordentlich interessant, dass Zemlinsky, obwohl er ein hervorragender Dirigent mit großer Opernerfahrung war, das Orchester in der Florentinischen Tragödie ziemlich großzügig konzipiert hat. Es ist sehr wichtig, das Orchester „im Zaume“ zu halten und nicht an manchen Stellen explodieren zu lassen.
Zemlinsky hat Mozart geliebt und im Zusammenhang mit einer seiner anderen Opern, Kleider machen Leute, wird manchmal sogar von der „Mozartschen Reinheit der Partitur“ gesprochen. Ist eine solche Verbindung auch in der Florentinischen Tragödie zu finden?
Kleider mache Leute ist eine komische Oper, eine Verbindung mit Mozart ist sicher einfacher zu finden (er denkt nach). Doch nein. Wir springen direkt in den spätromantischen Stil.
Es ist üblich, Eine florentinische Tragödie mit verschiedenen anderen Werken zu kombinieren.
In der Komischen Oper in Berlin habe ich eine Produktion zusammen mit dem Zwerg gesehen.
Ich liebe den Zwerg!
Ich auch, weil er autobiographisch ist. Er hat mit der Liebesbeziehung Zemliskys zu Alma Schindler (später Mahler) zu tun. Zemlinsky war sehr klein, um die 155 cm, und offensichtlich hässlich. Der Zwerg ist eindeutig er selbst und Alma ist mit Donna Clara verkörpert. Sie sagt zu ihm zum Schluss: „Du bist lachhaft und ein drolliges Ding,“ und der Zwerg flehend zu ihr: „Sag mir, daß es nicht wahr ist,“ – es ist ein merkwürdiger Moment – „sage, daß ich schön bin.“ Es ist klar, dass Der Zwerg Zemlinsky direkt vom Herz gekommen ist. Seine Beziehung zu Alma wurde im Jahre 1901 beendet und den Zwerg hat er im Jahre 1921 vollendet. Wie tief musste er verletzt worden sein, dass er zu seiner Liebesaffäre noch nach 20 Jahren zurückgekehrt ist? Auch Eine florentinische Tragödie wurde durch Alma inspiriert. Diese Frau hatte auf Zemlinsky einen großen Einfluss. Und auch auf Mahler, Gropius und andere. Es ist viel Leidenschaft in diesen beiden Opern. Genau jene Leidenschaft, die Zemlinsky mit Alma erlebt hat.
Wer ist in der Florentinischen Tragödie Simone und wer Guido?
Die Handlung soll sich auf das Dreieck Alma Mahler, Gustav Mahler und Walter Gropius beziehen. Simone sollte Mahler sein, Gropius ist Guido und Bianca, das ist klar, das ist Alma. Man sagt, sie war von dieser Oper nicht sehr begeistert, da sie sich darin eindeutig wiedererkannt hat. Es ist sogar ein Brief von Zemlinsky erhalten geblieben, in dem er ihr schreibt: „Und Sie, gerade Sie haben das missverstanden?“
Dieses Fragment von Oscar Wilde erfreute sich seinerzeit großer Beliebtheit. Was halten Sie von seinem etwas seltsamen Ende?
Für mich ist der Anfang viel interessanter, weil dem Stück eigentlich ein Anfang fehlt! Man ist sofort in die Situation „hineingeworfen“! Oscar Wilde hat die Geschichte überhaupt nicht begonnen, sodass es eigentlich interessant bleibt, dass er ein Stück vollendet hat, dem die erste Szene völlig fehlt!
Tatsächlich?
Ja! Zemlinsky hat sogar die imaginäre Eröffnungsszene zwischen Bianca und Guido dazu ergänzt. Er beginnt mit der Ouvertüre und erst dann betritt Simone das Haus und ertappt seine Frau in einer Situation, die ihm sagt: „He, das ist etwas falsch!“ Und wie steht es mit dem Schluss? (er denkt nach) Ja, das ist ein typischer Wilde! Ein Schluss, den man keinesfalls erwartet! Eine völlig perverse Beziehung, in der zwei Menschen von der Katastrophe so fasziniert sind, dass sie sie wieder zusammenbringt. Sie wissen ja, dass Wilde homosexuell war und als er Eine florentinische Tragödie geschrieben hat, wurde er vom Besuch seines Freundes so fassungslos, das er sich nicht mehr konzentrieren und das Stück vollenden konnte. Das Ende ist wirklich „daneben“ (er lächelt). Als ich achtzehn war, habe ich Wilde absolut verehrt, nicht nur wegen seiner Bonmots, sondern auch, weil er einen am Ende immer wieder überrascht. Eines meiner Lieblingsbücher war The Picture of Dorian Gray. Immerhin ist auch Der Zwerg nach Wildes Vorlage. Oder Salome! „Ich fordre den Kopf des Jochanaan!“ (singt). Ein Dolchstich direkt ins Herz, darin liegt Wildes Meisterschaft. Eine florentinische Tragödie ist ein absoluter, faszinierender Thriller über Eifersucht.
Was können diese beiden Opern dem heutigen Publikum mitteilen?
Ich sehe diese Frage in einem breiteren Zusammenhang: Beide Komponisten waren unerwünscht, sie wurden vom Nazi-Regime verfolgt. Und es ging ihnen noch immer relativ gut, weil es ihnen gelungen ist, zu emigrieren. Aber nehmen Sie Viktor Ullmann, dessen Opern ich ebenfalls dirigieren durfte.
Das ist mir bekannt. Es hat mich überrascht, dass die Bayerische Staatsoper seinen Zerbrochenen Krug aufgeführt hat.
Der zerbrochene Krug ist so lustig! Das ist unglaublich, wie positiv Ullmann geblieben ist, trotz der immer drohenden Deportation. Ich liebe diese Oper. In München haben wir sie mit dem Diktator Kreneks kombiniert. Um aber auf die vorherige Frage zurückzukommen: Es ist eigentlich sehr schade, dass wir diese Komponisten immer nur im Kontext mit der „entarteten“ Musik wahrnehmen, mit ihrem tragischen Ende, dass ihre Musik keinen ständigen Teil des Repertoires bildet, schade deshalb, weil sie ganz einfach großartig ist! In diesem Sinne feiert der Nationalsozialismus bis zum heutigen Tage Erfolge. Und jetzt, nach achtzig Jahren, werden die Rechtsparteien in ganz Europa wieder stärker! In Deutschland finden derzeit Demonstrationen gegen die AfD statt, die Zahl ihrer Anhänger ist wirklich alarmierend. Und schauen Sie auf die Situation in Polen, Marine Le Pen in Frankreich und bereits seit längerer Zeit auch in Österreich. Und Ungarn. Natürlich dürfen wir die Vereinigten Staaten und den rechten Flügel um Donald Trump nicht außer Acht lassen. Skandinavische Länder, die immer so tolerant gewesen waren, zeigen auf einmal so viel Aggression den Immigranten gegenüber. Und dazu noch der Konflikt zwischen Israel und Palästina. Ich bin inmitten der Ereignisse in Deutschland und ich kann sagen, dass ich sehr traurig darüber bin, wie viel Feindseligkeit in meinem Land herrscht, wenn man bedenkt, wie viele Morde die Deutschen in der Vergangenheit begangen haben, wie viele intelligente Menschen sie in ganz Europa getötet haben. Wenn wir also durch die Aufführungen der Musik dieser Komponisten auch nur mit einem Tropfen dazu beitragen können, uns die gefährliche Situation bewusst zu machen, in der wir uns heute befinden, welchen schlimmsten Alptraum der Menschheitsgeschichte wir vor achtzig Jahren durchlebt haben, dann wäre ich froh. Wir sollten niemals vergessen.
Hindemith ist auch in dieser Hinsicht eine faszinierende Persönlichkeit, zunächst wurde er unterstützt, bevor Hitler selbst begann, ihn zu hassen…
… und vor allem seine Musik! Zemlinsky war jüdischer Herkunft, dort war es aus Sicht des Naziregimes eindeutig, aber bei Hindemith war es nur seine Musik, was absolut keinen Sinn ergibt. Die Nazis über diese Musik gesagt haben, dass sie die Gehirne des deutschen Volkes zerstöre. Dann weiß ich nicht, wessen Gehirne zerstört waren? Ich habe großen Respekt vor Hindemith, weil er immer seinen eigenen Weg gegangen ist, nie sich zurückgezogen hat, nie angefangen hat, anders zu komponieren, auch dann nicht, wenn sein Selbsterhaltungstrieb es ihm eigentlich geraten hat. Das hat er nie getan, und ich sage noch einmal, dass ich nur die Worte höchster Bewunderung für ihn habe.
Ich sehe, dass sie die „entartete“ Musik wirklich lieben!
Nicht nur die „entartete“ Musik: Ich liebe die Musik! Das ist genau die Situation, über die ich im Zusammenhang mit Viktor Ullmann gesprochen habe. Es macht mich sehr traurig, dass diese Werke ständig im Kontext des Antisemitismus präsentiert werden, und ich wünschte wirklich, dass sie nicht nur auf diese Art verstanden würden. Obwohl wir nie vergessen dürfen! Aber die Florentinische Tragödie oder die Sancta Susanna sind vor allem faszinierende Musik und sollten viel häufiger im Repertoire stehen. Denken wir sie nicht ständig im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus und dem Dritten Reich, denn genau darauf hat dieses Regime eigentlich abgezielt. Genießen wir sie ganz einfach!
C.Z
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Karsten Januschke gehört zu jenen Dirigenten, deren künstlerisches Konzept ein detailliertes Werkstudium mit einer klaren Klangvorstellung verbindet. Er profiliert sich vor allem im Mozart-Repertoire, mit dem er an der Semperoper in Dresden, am New National Theatre Tokyo oder am Nationaltheater Prag debütiert hat. Die Bandbreite seines künstlerischen Schaffens reicht jedoch von der Barockoper bis zu zeitgenössischen Kompositionen, mit dem Ensemble Modern hat er zum Beispiel Lost Highway, ein Werk der österreichischen Komponistin Olga Neuwirth, einstudiert. Er hat an der Bayerischen Staatsoper gearbeitet (Ullmann: Der zerbrochene Krug, Krenek: Der Diktator), an der Volksoper Wien, Staatsoper Stuttgart oder an der Oper Frankfurt, an der er mehrere Jahre als Kapellmeister tätig war und wohin er oft zurückkehrt. Er widmet sich auch der symphonischen Musik, arbeitete mit dem Münchner Rundfunkorchester, dem RSO Wien, dem Budapester Philharmonischen Orchester oder dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin. Karsten Januschke hat Klavier und Musikwissenschaft und anschließend Dirigieren am Wiener Konservatorium in der Klasse von Prof. Georg Mark studiert. Bereits damals hat er Erfahrungen an der Wiener Staatsoper, am Theater an der Wien und bei den Bayreuther Festspielen gesammelt. Mit der Einstudierung von Sancta Susanna und der Florentinischen Tragödie wird er an der Staatsoper Prag debütieren.