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KARLSRUHE/Badisches Staatsballett Karlsruhe: LA SYLPHIDE- wertvolle Repertoire-Ergänzung. Premiere

20.11.2016 | Ballett/Performance

Badisches Staatsballett Karlsruhe: „LA SYLPHIDE“ 19.11. 2016 (Premiere) – Wertvolle Repertoire-Ergänzung

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Die Entdeckung des Abends:  Zhi Le Xu als James: Copyright: Jochen Klenk
 
Nachdem die beiden Premieren der letzten Spielzeit zeitgeschichtlichen Stoffen gewidmet waren, gehört die laufende Saison den Märchen, in denen ja bekanntlich oft viel Wahrheit liegt. Den Auftakt dazu bildete das Ur-Ballett schlechthin, mit dem die romantisch-klassische Ausprägung des Tanzes geboren wurde. 1832 hatte Filippo Taglioni in Paris mit dem später immer wieder in anderen Varianten auftauchenden Thema der unglücklichen Verbindung von Menschen und Geisterwesen den Grundstein gelegt und damit in Gestalt seiner berühmt gewordenen Tochter Marie die klassische Ballerina geboren. Der in Paris ausgebildete dänische Tänzer und Choreograph August Bournonville hatte aus diesen Wurzeln die nach ihm benannte Tanztechnik begründet und in seiner Funktion als Direktor des Königlichen Balletts in Kopenhagen 1836 eine neue Fassung des Stückes kreiert, die das Ungleichgewicht zwischen der Ballerina und der männlichen Hauptrolle beseitigen sollte und ihm selbst als Tänzer einen großen Erfolg verschaffte.

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Zhi Le Xu (James) zwischen zwei konträren Frauen: Harriet Mills als Sylphide (links) und Blythe Newman als Effie (rechts). Copyright: Jochen Klenk

Bald 150 Jahre später wurde sein Landsmann und der ebenfalls renommierte Tänzer Peter Schaufuss beauftragt für das damalige London Festival Ballet (heute English National Ballet) die ihm von Kindesbeinen an vertraute Choreographie neu auf die Bühne zu bringen. In enger Anlehnung an die Tradition, aber mit einer Überarbeitung der damals für Kopenhagen neu geschaffenen Musik von Herman S. Lövenskjold, gelang ihm damit ein Comeback des historisch bedeutsamen Werkes, das mittlerweile Eingang ins Repertoire aller großen klassischen Compagnien gefunden hat. Sicher trug auch die Tatsache, dass Karlsruhes Ballettdirektorin Prof. Birgit Keil bei der deutschen Erstaufführung 1982 in Stuttgart die Titelrolle getanzt hatte, dazu bei, dieses Ballett für ihr Ensemble zu gewinnen und damit dessen Klassiker-Repertoire zu ergänzen. Peter Schaufuss war eigens mit seinem Sohn Luke gekommen, um die Einstudierung vorzunehmen und auf die genaue Wahrung aller Details zu achten.

Grundlage für die in Schottland spielende Geschichte des Landgutsohnes James, der während der Hochzeit seine Braut Effie verlässt, um dem ihn verzaubernden unerreichbaren Geisterwesen, einer Sylphide, zu folgen, sind David Walkers authentisch nachempfundene Bühnenausstattung und dem Schottenlook folgenden Kostüme, denen die weiße Eleganz der Sylphiden-Tutus wie später in einigen weiteren Ballettklassikern kontrastierend gegenüber steht. Steen Bjarke hat diese gegensätzlichen Szenerien zwischen Landhaus und Waldlichtung ins jeweils rechte Licht gesetzt.

Ein weiterer Kontrast besteht in der Abfolge von technisch begründeter Illustration und sehr sprechend erläuternder Pantomime, die die Handlung voran treibt. Der in den Beinen und in

kleinteiliger Fußarbeit besonders ausgeprägte Bournonville-Stil bedeutete eine weitere Bewährungsprobe für das Badische Staatsballett. Es wurde nicht nur akribisch daran gearbeitet, das Ergebnis bildete vielmehr eine Leistungsschau der nicht ohne Grund zum Staatsballett avancierten Compagnie. Nicht nur an vorderer Front, auch in der Gruppe war geschlossen hohe Qualität aus Stilbewußtsein und musikalischer Präzision zu beobachten, so etwa stellvertretend für einige andere die beiden Solo-Sylphiden Lisa Pavlov und Carolin Steitz. Als Erste Sylphide zeigt Rafaelle Queiroz ein künstlerisches Format, das auf Anhieb sichtbar macht, dass wir es hier mit einer Alternativ-Besetzung für die Titelrolle zu tun haben.

In dieser stellte sich Harriet Mills mit jener schwebenden Note vor, die das elfenhafte Wesen der Sylphiden ausmacht und beglaubigt. Ihre Basis sind auf engstem Raum beherrschtes Spitzen-Trippeln, weiche und weit gedehnte Arabesquen sowie flügelleicht bewegte Arme. Von allem bietet die Engländerin so viel, dass das Gesamtergebnis eine glückliche Einheit bildet. Dazu zaubert sie noch ein verschmitzt lockendes Lächeln in ihr Gesicht, das James Faszination noch unterstützt. Diesen hat die Direktion nicht wie erwartet Kammertänzer Flavio Salamanka, der stattdessen die knapp bemessene Partie des um Effies Hand rivalisierenden Gurn mit spielerischer Präsenz und feiner Bewegungsqualität ausfüllt, anvertraut, sondern Zhi Le Xu, der erstens das Klischee oft maskenhaft agierender Asiaten mit differenziert anschaulich gezeichneten Emotionen widerlegt, und noch wichtiger, in geschmeidig leichten, aus dem Stand heraus angesetzten Sprüngen, akkuraten Battements und gleichmäßig durchgestreckten Linien ein Gesamtpaket bietet, das ohne Übertreibung als Entdeckung des Abends bezeichnet werden darf. Darüber hinaus gewinnt der Chinese dem abtrünnigen James so viele Sympathien ab, die seinen Gang ins Verderben durchaus nachvollziehbar und sein dramatisches Ende bestürzend machen.

Katalysator seiner Niederlage ist die alte Madge, die hier als ganz konventionelle Hexe erscheint und mit großem Kessel in Aktion treten darf, um gestisch und mimisch unterstützt, jenen vergifteten Schal zu fabrizieren, den James der Sylphide umlegen und dadurch töten wird. Admill Kuyler zeichnet diese Charakterrolle mit hinreichend weiblichem Einschlag und großformatig dämonischem Einschlag, um das mit einem Fluch bekräftigte Racheverlangen spürbar werden zu lassen. James hatte sie des Hauses verwiesen, nachdem sie ihm prophezeit hatte, dass nicht er, sondern Gurn die Hand Effies gewinnen würde. Diese ist mit Blythe Newman recht selbstbewusst und herzhaft, weniger zart und lieblich als oft gesehen, besetzt, dennoch zieht es auch ihr am Ende des ersten Aktes gehörig den Boden unter den Füßen weg, als James sie während der Hochzeit sitzen lässt.

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Herzstück schottischer Volkstanz mit dem Hauptpaar sowie Flavio Salamanka (Gurn) und seiner Starpartnerin: Copyright: Jochen Klenk

Unbedingt zu erwähnen ist der zentrale, rhythmisch prägnant den Dudelsack imitierende, dem schottischen Reel nachempfundene Volkstanz als Herzstück der Choreographie, in den auch einige Kinder der örtlichen Ballettschule Lagunilla & Reijerink tatkräftig einbezogen sind. Ein Mädchen, das sich dem dabei partnerlos da stehenden Gurn ganz erhaben und stolz anbietet und auch sonst erfrischend sicher mitmischt, wurde mit zum Star des Abends und hätte eine namentliche Nennung im Besetzungszettel verdient gehabt.

Nicht zu unterschätzen ist nicht zuletzt die musikalische Anlage des Werkes, die zwar nicht ganz die seelische Tiefe wie die spätere verwandte „Giselle“ von Adolphe Adam aufweist, aber dennoch in ihrer Verzahnung von melodischer Kraft, atmosphärischer Feinzeichnung durch den transparenten Einsatz von Soloinstrumenten (Violine, Cello, Flöte, Horn und Harfe) sowie stellenweise dramatischem Vorwärtsdrang so viel Gehalt aufweist, dass sie keinesfalls als Gebrauchsmusik zweiter Wahl klassifiziert werden darf. Steven Moore hat sich der Partitur mit hörbarer Liebe sowie der tänzerisch adäquaten Austarierung von Tempi und Kolorierung angenommen und mit der nur in den Bläsern geringfügig schwächelnden Badischen Staatskapelle eine hörenswerte Basis für diesen in seiner stimmigen Einheit begeisternden Ballettabend geschaffen. Der Premierenerfolg war entsprechend groß und lang anhaltend.

  Udo Klebes

 

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