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KARLSRUHE: „WAHNFRIED“ von Avner Dorman . „Machtkampf hinter den Kulissen“. Uraufführung

03.02.2017 | Oper

MACHTKAMPF HINTER DEN KULISSEN
Avner Dormans Oper „Wahnfried“ als Uraufführung im Badischen Staatstheater am 2. Februar 2017/KARLSRUHE

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Copyright: Badisches Staatstheater

Der in Israel geborene Komponist Avner Dorman hat eine Oper über den legendären Wagner-Clan komponiert, der die Welt immer noch in Atem hält. Nach elf Jahren gibt ist es wieder eine Uraufführung in Karlsruhe. Die Oper zeigt den harten Machtkampf der Familie hinter den glanzvollen Kulissen. Nach dem Tod des Meisters in Venedig 1883 kehrt der Geist dieses großen Künstlers als Wagnerdämon zurück, der die Geschicke der Familie als „Unsterblicher“ weiter lenkt und seine Nachfahren teilweise scharf kritisiert. Diese Politische Oper zeigt aber auch mit schwarzem Humor und satirischer Leuchtkraft, wie Bayreuth ein wichtiges kulturelles Zentrum des Nationalsozialismus werden konnte.

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Copyright: Badisches Staatstheater Karlsruhe

Das Libretto stammt von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, den zurzeit erfolgreichsten Theaterautoren. Vor allem der antisemitische Rassentheoretiker Houston Stewart Chamberlain steht hier im Zentrum des Geschehens. Er konkurriert mit dem „Meistersohn“ Siegfried Wagner um die Gunst der „Hohen Frau“, der unvergleichlichen Cosima Wagner, die den Tod ihres Mannes wohl nie wirklich verwunden hat. Dies kommt in der interessanten Regie des Wagner-Spezialisten Keith Warner gut zum Vorschein. Richard Wagners Sarg wird in einem großen Trauerzug mit „Götterdämmerungs“-Anklängen von einer Gruppe von Jüngern hereingetragen. Es ist eine unheimliche Leichnams-Prozession mit starker visueller Wirkungskraft. Aber auch spießbürgerliche Idyllen werden von Keith Warner plastisch herausgestellt (Bühne: Tilo Steffens; Kostüme: Julia Müer). So sieht man Houston Stewart Chamberlain und seine Frau Anna beim Picknick. Andererseits blickt man vom Zuschauerraum aus direkt in das Auditorium des Bayreuther Festspielhauses. Chamberlain möchte unbedingt ein Deutscher werden. Das Zusammentreffen mit den Wagnerianern wird für ihn zum ungeheuren Erweckungserlebnis. Er verkündet in der Öffentlichkeit seine Rassentheorie. Er verlässt seine Frau Anna und erhält von Cosima Wagner den Auftrag, über Wagners Erbe zu wachen. Keith Warner zeigt als Regisseur hier immer wieder Sinn für unbewusste Vorgänge und eine sensible Personenführung. Richard Wagner erscheint plötzlich als lachender Dämon, der sich mit dem brutalen Anarchisten Bakunin in einen Zerstörungsrausch hineinsteigert. Dies ist überhaupt eine der stärksten Szenen dieser ungewöhnlichen Uraufführung, die dazu beitragen kann, dass Wagner in Israel doch noch einmal aufgeführt und vielleicht auch besser verstanden wird. Chamberlain heiratet schließlich Wagners Tochter Eva, kann den großen Familienstreit im Hause Wahnfried aber leider nicht verhindern. In einer erschütternden Szene wird Isolde („Ich bin eine Wagner!„) für unzurechnungsfähig erklärt. Man fühlt sich an aktuelle Ereignisse erinnert. Chamberlain fordert dann den als homosexuell dargestellten Siegfried Wagner auf, sich endlich eine Frau zu suchen, die er in Winifred Wagner schließlich auch findet. Doch unter der Oberfläche brodelt es bedenklich. Kaiser Wilhelm II. gibt sich als Wagner-Verehrer zu erkennen, der Zuschauer wird in verstörende Bilder von den grausamen Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs förmlich hineingezogen. Zuletzt klopft sogar Adolf Hitler als „Meisterjünger“ an die Tür von Wahnfried, die Wagner-Familie nimmt ihn als ihren großen „Erlöser“ auf. Der Wagnerdämon rechnet in der Schluss-Szene gnadenlos mit dem kranken und verzweifelten Chamberlain ab: „Chamberlain, du hast nichts verstanden…“ Der Wagnerdämon verschwindet mit diktatorischen Anweisungen von der Bühne. Das „Tannhäuser“-Motiv erklingt zuvor als geheimnisvolles Glockenspiel auf einem Mini-Flügel, während im Hintergrund die Hauskulisse brennt. Einmal kommt der Wagnerdämon sogar auf einem riesigen feuerspeienden Drachen hereingefahren. Der Dirigent Hermann Levi begehrt als Jude zwar gegen Wagner auf, kann sich seiner magischen Anziehungskraft jedoch überhaupt nicht entziehen und endet als hilflose Marionette an den Fäden des Meisters. Er hält die „Parsifal“-Partitur wie ein Fanal in seinen Händen: „Wie kann ein Jude Wagner lieben, wenn er ihn doch nicht versteht?“

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Copyright: Badisches Staatstheater Karlsruhe

Avner Dormans Musik ist eine Überraschung, weil sie stellenweise sehr stark an Schostakowitsch erinnert. Die modulatorischen Kühnheiten und chromatischen Spitzfindigkeiten sind wahrhaft erstaunlich. Neben Wagner-Zitaten hört man auch Bach, Brahms und sogar Messiaen heraus. Jazz-Klänge beschwören die New-Orleans-Welt. Ostinate Schichtungen nicht umkehrbarer Rhythmen sprengen hier das traditionelle metrische System. Die harmonische Struktur erinnert auch an reizvolle Farbassoziationen mit Pfeiftönen und Geräuschen. Die Handlung dieser Oper setzt um 1880 ein und erstreckt sich bis in die 1920er Jahre bis kurz nach Adolf Hitlers erstem Besuch in Bayreuth. Das Regie-Team ist vor allem daran interessiert, zu schildern, was vor dem großen Hitler-Knall geschah. Mit „Wahnfried“ bezeichnen die Künstler einen symbolischen Ort, der für die geistige und politische Entwicklung des Landes entscheidend ist. Rhythmus und Melodie der Sprache sind für Dorman als Komponist wichtig, was der ausgezeichnete Dirigent Justin Brown mit der Badischen Staatskapelle und dem Badischen Staatsopernchor (Einstudierung: Ulrich Wagner) packend betont. In Video-Einblendungen von Manuel Kolip sieht man sogar Richard und Cosima Wagner karikaturenhaft vor dem Festspielhaus. Auch die antisemitischen Parolen vertont Avner Dorman mit beissender Schärfe und Staccato-Attacken. Das Porträt des jungen Siegfried Wagner ist Dorman ausgesprochen eindringlich gelungen. Es ist auch ein Plädoyer für den unbekannt gebliebenen Komponisten Siegfried Wagner, der zu Unrecht vernachlässigt wird. Andrew Watts kann als Countertenor mit berührenden Kantilenen bei einer „Nachtmusik“ überzeugen, die Siegfried Wagner als Meister lyrischer Klangwelten preist.

Darüber hinaus ist es natürlich trotz allem problematisch, Richard Wagner zu dämonisieren, weil er trotz seiner Irrtümer ein großer Künstler war und menschlich gesehen werden sollte. Alles in allem beeindruckt diese Aufführung aber durch die Konsequenz ihres spannenden Handlungsablaufs, was vor allem für die ausgezeichneten Chor-Szenen gilt, wo man Wagner wohl am nächsten kommt. Matthias Wohlbrecht bietet eine imponierende Leistung als stimmgewaltiger Houston Stewart Chamberlain, während Christina Niessen als Cosima Wagner neben stimmlichen Höhenflügen eine bewegende Charakterstudie bietet. Barbara Dobrzanska gewinnt als Anna Chamberlain mit voluminösem Wohlklang ihre Zuhörer – und Ina Schlingensiepen besitzt als Winifred Wagner auch gesangliche Machtinstinkte, die sich zu emotionaler Schärfe steigern können. Joo-Anne Bittner (musikalisch) und Anja Kühnhold (szenisch) zeigen als Eva Chamberlain klanglichen Facettenreichtum. Armin Kolarczyk gewinnt als Wagnerdämon sofort starkes Profil. Eleazar Rodriguez überzeugt als Meisterjünger Hitler, Renatus Meszar kann als Hermann Levi auch seiner Verzweiflung stimmlichen Ausdruck verleihen. Jaco Venter ist ein prägnanter Kaiser, Konstantin Gorny ein fulminanter Bakunin. Irina Simmes begeistert als leidenschaftliche Isolde Wagner, während Blandine und Daniela von Christina Mohari und Simona Habich mit nie nachlassender Intensität verkörpert werden. Markus Schmidt als Clement Harris und Ismaele Longo als Richard Wagner ergänzen das Ensemble passend. Nicht vergessen sollte man die Passanten Camelia Tarlea, Ulrike Gruber, Arno Deparade und Manuel Oswald. Auch die Wagnerianer werden von Eui-Kyung Kim, Dagmar Landmann, Uta Hoffmann, Susanne Schellin, Volker Hanisch und Alexander Huck mit viel Einfühlungsvermögen dargestellt.

Vom Publikum wurde die Aufführung bejubelt. Es ist eine neue Sichtweise auf Richard Wagner, die vielleicht Brücken bauen kann. In einer Art Schlussapotheose meint man sogar König Ludwig II. von Bayern zu erkennen, der in der Oper eigentlich gar nicht vorkommt.

Alexander Walther

 

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