Badisches Staatsballett Karlsruhe
„WAS IHR WOLLT“ 19.3.2022 (Premiere 13.11.2021) – Farbkaleidoskop der Liebe
William Shakespeares 1602 uraufgeführte Verwechslungskomödie ist wie viele seiner Stücke eine dankbare, in ihrer Tiefgründigkeit und ihrem Assoziationsreichtum aber auch herausfordernde Vorlage für einen Choreographen. Karlsruhes Ballettdirektorin Bridget Breiner, seit Herbst 2019 im Amt, ist eine bekennende Verehrerin des berühmten englischen Literaten und hat bereits vier seiner Werke für den Tanz adaptiert. Diese Liebe zum Vorlagendichter in Verbindung mit ihrer schon in ihren ersten Tanzkreationen noch während ihrer Solistenkarriere beim Stuttgarter Ballett spürbar gewesenen leichten Hand zu vielschichtigen Erzählungen ohne Worte macht sich auch jetzt durchgehend bemerkbar. Da wirkt nichts verkrampft ersonnen, bemüht deutlich oder oberflächlich behandelt. Bis hinein in die ausgewählte Musik, getragen von einer geschickt aufgebauten Dramaturgie (Florian König), ist hier ein Gesamtkunstwerk entstanden, das ganz in der Absicht Shakespeares alle Sinne anspricht und in ihrer die Epochen durchwandernden Vielfältigkeit (Bühnenbild und Kostüme: Jürgen Franz Kirner) genauso zeitlos ist.
Die recht einfache Bühnenkonzeption auf einer zentralen Scheibe mit einer Spirale aller Farben ermöglicht einen fließenden Übergang der einzelnen Szenen an verschiedenen Örtlichkeiten. Der anfängliche Sturm, der den entscheidenden Auslöser für den Kick der Handlung in Gang setzt, ist durch ein auf und abwogendes gespanntes Tuch, wie im weiteren Verlauf immer wieder unterstützt von einer Windmaschine, und bläuliches Licht markiert. Die Choreographin beweist gleich da, wie sich der Kampf auf einem Boot gegen die Wellen mittels Ballett-Attituden veranschaulichen lässt. Das in Seenot geratene Zwillingspaar Viola und Sebastian findet dabei den einzigen Halt an einer Stange mit eingeklapptem Segel. Das ist nur eines von vielen Beispielen des Einfallsreichtums an körperlichem Ausdruck, in denen Breiner die klassische Grundlage des Tanzes nur selten verleugnet und in spielerische Ausdrucksformen überführt. Der turbulente Handlungsverlauf bietet ihr da auch ein reiches Feld an Charakterisierung und humoristischen Anspielungen. Zentrale Figur ist jene Viola, die in diesem Sturm von ihrem Bruder getrennt und an Land in die Hand von Soldaten des Herzogs Orsino gespült wird. Kurzerhand verwandelt sie sich in einen Mann indem sie sich die Haare kürzt, sich ihres über eine hochgekrempelte Hose gebundenen Rockes entledigt und eine Kappe aufsetzt. Unter dem Namen Cesario dient sie dem Herzog als Liebesbote für die begehrte Gräfin Olivia, die allerdings in der Trauer um ihren gestorbenen Bruder alle Begehrlichkeiten abwehrt. Während diese nach und nach Gefallen an dem Liebesboten findet, entdeckt Viola ihre Gefühle für den ob Olivias Abweisungen untröstlichen Orsino. Zuerst parallel zu diesen Überkreuz-Verstrickungen, dann sich mehr mit ihnen vermischend, gesellt sich dazu eine komödiantische Truppe in Gestalt von Olivias skurrilen Verwandten Sir Toby und Sir Andrew sowie ihrem Personal bestehend aus dem durchtriebenen Kammermädchen Maria, dem Narren und dem tölpelhaften Haushofmeister Malvolio, der sich bei aller Strenge nach Liebe sehnt und von den anderen mittels eines fingierten Briefes im Glauben gelassen wird, dass seine Herrin sich für ihn interessiert.
Die Liebe als Verwirrungen und Intrigen stiftende Kraft vernebelt allen die Sinne und führt bis ins Delirium. Am Ende des ersten Teiles kulminiert dieser Zustand in einem Ensemble-Tableau, getaucht in violett-orange Beleuchtung (Bonnie Beecher). Dazu ertönt John Denvers Ohrwurm-Hit „Annie’s Song“ als Ode an die Liebe. Weitere musikalische Kontraste zu ausgewählten Ausschnitten aus Rameaus Bühnen- und Konzertwerken bilden Bearbeitungen folkloristischer Themen aus der argentinischen Heimat des Dirigenten Ruben Dubrovsky. Mit der Badischen Staatskapelle Karlsruhe lässt er das Flair der Zeit Rameaus (die derjenigen Shakespeares ja entspricht) in vielfältiger Weise, mal nur durch eine Solo-Oboe oder ein Cembalo, aber auch durch forsch belebte Streicherfiguren einfühlsam entstehen und mit den anderen musikalischen Beiträgen so verschmelzen, dass trotz der großen stilistischen Unterschiede keine Brüche entstehen.
Francesca Berruto als Viola. Copyright: Costin Radu
Eine besondere Sympathie gewinnt Francesca Berruto (früher Stuttgarter Ballett) als bemitleidenswert zwischen die Fronten geratende Viola. Ihre Doppelfunktion in zweierlei Gestalt erfüllt sie mit Hingabe und macht dabei zwischendurch auch auf Spitze eine gute Figur. Ihren Zwillingsbruder Sebastian stattet Pablo Octavio mit viel Charme und exzellenten Körperlinien aus. Zumindest angedeutet wird eine Zuneigung seines Retters Antonio, den Louiz Rodrigues als leidenschaftlich Halt gebenden Freund zeichnet. Doch landet er schließlich in den Armen der Gräfin Olivia, die Lucia Solari mit damenhafter Würde und feiner Technik zeichnet. Ihr adeliges Gegenüber Herzog Orsino ist bei José Urrutia in guten, attraktiven und gestalterisch überzeugend melancholischen Händen.
Pablo Octavio (Sebastian) und Louiz Rodrigues (Antonio). Copyright: Costin Radu
Köstliche Typen sind Olgert Collaku als ausgelassener Sir Toby im Hosenrock, Timoteo Mock als herrlich schräger Sir Andrew mit roten Locken unterm Helm, der beweglich flinke und gewitzte Narr des Joao Miranda und rollengemäß ganz besonders Paul Calderone als Hagestolz Malvolio mit Puderperücke, der seinen peinlichen Auftritt vor der Gräfin in gelben Strumpfhosen pointenreich ausspielt, auf einer Party aber auch zum Mikrofon greift und eine erstaunliche vokale Veranlagung hören lässt. Balkiya Zhanburchinova mischt als Maria mit viel Temperament und Schmackes am Geschehen mit.
Weitere Ensemble-Mitglieder füllen einige Szenen als Soldaten, Dienerinnen und wilde Horde. Mit einem still berührenden, das Ballett-Vokabular subtil nutzenden Pas de deux des ratlos zurück gebliebenen Herzogs Orsino und dem sich schließlich als Viola outenden Liebesboten findet Bridget Breiners zu einem offenen Ende, in dem eine gemeinsame Zukunft der beiden in der Schwebe bleibt. Ihre Compagnie, zu der nur noch wenige aus Birgit Keils vorhergehender Amtszeit gehören, ist nach drei Jahren und trotz aufgrund der Lockdowns erheblich eingeschränktem Spielbetrieb hörbar gut beim Publikum angekommen, das einige von ihnen mit zahlreichen Begeisterungsrufen und überschäumendem Applaus gefeiert wurden.
Udo Klebes