Premiere „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ von Richard Wagner am 31.3.2024 im Badischen Staatstheater/KARLSRUHE
Ein ewig Suchender
Der ewig suchende Tannhäuser ist zerrissen zwischen keuscher Liebe und sinnlicher Lust. Er ist der Ekstase der Venus überdrüssig und kehrt zu seiner jungfräulichen Geliebten Elisabeth zurück. Wegen seines lasterhaften Lebenswandels wird er von der biederen Gesellschaft der Wartburg verstoßen. Auch seine Rom-Reise zum Papst bringt ihm nicht die erhoffte Vergebung. Elisabeths Aufopferung hat jedoch ein Wunder geschehen lassen, vom Tode befreit begegnen sich ihre Seelen in der Ewigkeit.
Die Regisseurin Vera Nemirova blickt in ihrer illusionslosen Inszenierung auf die großen Krisen wie die Corona-Pandemie, Krieg in Europa, Wirtschaftskrisen und Einbrüche. Das Stück ist hier in einer dystopischen Landschaft angesiedelt, die nach einer Katastrophe in Trümmern liegt (Bühne: Paul Zoller; Kostüme: Marie Therese Jossen-Delnon). Dabei ist die prachtvolle Decke eines Konzertsaals eingestürzt. Die Bühne erscheint durch die herabgestürzte, durchlöcherte Decke zweigeteilt. Der Niedergang von Kunst und Kultur soll als deutliches Warnsignal für die Gesellschaft dienen. Überall liegen Instrumente und andere Utensilien auf dem Boden. Manchmal wirkt das Bühnenbild dadurch zu sehr überladen. Ohne Kultur entwickelt der Mensch kein Geschichtsbewusstsein – das ist die Kernaussage von Vera Nemirovas Inszenierung. Dabei spielt auch die geheimnisvolle Vereinigung von Spiritualität und Religion mit Sinnlichkeit und Eros eine Rolle. Die Wartburg-Welt und der Zauber des Venusbergs bilden immer wieder scharfe Gegensätze. Daraus besteht auch die Spannungskraft dieser Inszenierung. Tannhäuser gibt sich hier als Künstler mit der gesellschaftlichen Aufspaltung nicht zufrieden, er rebelliert verzweifelt dagegen. Vor allem dies arbeitet die Inszenierung dicht heraus. Er versucht, Sinnlichkeit und Spiritualität miteinander zu verbinden – und scheitert daran. Man begreift auch, wie sehr die Figur des Tannhäuser mit Wagner selbst zu tun hat. Die Zerrissenheit und die ständige Suche des Menschen war Wagners Lebensthema. Für Vera Nemirova sind die Frauenfiguren der Venus und der Elisabeth unglaublich stark. Venus verhält sich menschlich, wenn sie versucht, den Geliebten zu halten. Elisabeth dagegen ist hier gar nicht so heilig, sondern diesseitig-menschlich. Beide haben Sehnsucht nach dem Anderen, der sich weder in der Wartburg-Gesellschaft noch im Venusberg zurechtfindet. Diesen großen inneren Zwiespalt arbeitet Vera Nemirova bei ihrer Inszenierung am besten heraus. Man sieht Elisabeth einmal sogar als überdimensionale, weiße Madonna, in deren Kleidern sich Tannhäuser versteckt. Tannhäuser hat auf beide Frauen eine große Anziehungskraft ausgeübt und so kommen sie sich sehr nahe. Elisabeth wurde von seinen Liedern künstlerisch inspiriert. Sie erscheint zugleich als schöpferische Persönlichkeit, die sogar als Dirigentin agiert. Für das Stück wurde eine ungewöhnlich große Statisterie gecastet – 20 Personen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Lebenswelten. Anfangs stellen sie Pilger da, die mit dem Kreuz auf Sinnsuche sind. Sie finden Schutz im Gebet, aber bei den Venusberg-Motiven fallen sie übereinander her. Ungewöhnlich ist auch die Figur Wolfram von Eschenbachs gezeichnet, der Elisabeth während seiner berühmten Arie „O du mein holder Abendstern“ umarmt. Später wird ihn dann Venus verführen. Musikalisch kann diese Produktion ebenfalls überzeugen. Georg Fritzsch arbeitet mit der Badischen Staatskapelle den Charakter des Musikdramas überzeugend heraus. Dies zeigt sich schon beim gut betonten sinnlichen Drang der Ouvertüre, der dem christlich-ritterlichen Leben gegenübersteht. So kommt die herbe Größe der Pilgerchormelodie leuchtkräftig zum Vorschein. Auch der schillernde Glanz des Venusbergzaubers kommt nicht zu kurz. Das Aufblühen der Venusbergmusik und ihr Erlöschen erklingt hier ungemein ergreifend. Ein weiterer Vorzug von Fritzschs Dirigat ist die klare Gliederung der Aufeinanderfolge der einzelnen Themen und Themengruppen. Gerade beim gewaltigen Pilgerchor steigert sich die Größe der Empfindung und des Ausdrucks in bewegender Weise. Der Zauber des „Venusberg-Bacchanale“ besticht ebenfalls mit drängend-knappen Motiven, sehnsuchtsvoller chromatischer Färbung. Immer drängender und leidenschaftlicher erscheint dabei die Harmonik, die den Hörer ganz umfängt. Der Ruf der Sirenen klingt geheimnisvoll wie aus der Ferne herüber – bis die wilde rhythmische Bewegtheit erlischt.
Foto: Felix Grünschloss
Der Geist des Ganzen erhält bei Georg Fritzsch und der Badischen Staatskapelle eine gebührende Würdigung. Die durchkomponierten Szenenkomplexe erfolgen in großer Konzentration. Höhepunkt ist sicherlich Tannhäusers „Romerzählung“, der der wandlungsfähige Tenor Michael Weinius glanzvolle und berührende Momente abgewinnt. Der dramatische Impuls der Tragödie sticht so immer wieder deutlich hervor. Es kündigt sich der Stil von „Tristan und Isolde“ an. Die Chromatik durchbricht die Dreiklangharmonik, Nonenakkorde breiten sich in geheimnisvoller Weise aus. Auch Tannhäusers Lied steigt deutlich chromatisch auf. Die erste Strophe steht in Des-Dur, , die zweite in D-Dur, die dritte und wichtigste beginnt dann in Es-Dur. Die Befreiung aus romantischem Überdruss am Genießen steht hier im Zentrum. Der Wiener Kritiker und Wagner-Gegner Eduard Hanslick bezeichnete dieses Lied gar als „kläglichen Bänkelsang“. Eine krasse Fehleinschätzung. Der Charakter der hymnischen Marschmusik des Tannhäuserliedes wird von Fritzsch als Dirigent aber nicht übertrieben. Armin Kolarczyk bietet als Wolfram von Eschenbach ebenfalls eine starke gesangliche Leistung. Bei seinem Eröffnungslied im Sängerkrieg gestaltet er die Modulation von Es-Dur nach c-Moll mit erstaunlichem klangfarblichen Reichtum, dessen Intensität nicht nachlässt. Sängerisch wirkungsvoll erscheint hier auch Wolframs zweite Kantilene in der Es-Dur-Tonart. Und auch die Arie „O du mein holder Abendstern“ besitzt betörenden Bariton-Klangzauber. Und die chromatisch aufsteigenden Sextolengänge der Celli unterstützen den Venusbergteil mit geradezu vibrierender Dynamik. Eine grandiose Leistung bietet hier Dorothea Spilger als verführerische rothaarige Venus, zu der die leuchtkräftige Pauliina Linnosaari als Elisabeth einen stimmlich reizvollen Gegensatz bildet. In weiteren Rollen fesseln Konstantin Gorny als Landgraf, Nutthaporn Thammathi als Walther von der Vogelweide, Ralf Lukas als Biterolf, Klaus Schneider als Heinrich der Schreiber, Manuel Winckhler als Reinmar von Zweter sowie Henriette Schein als junger Hirt und die vier Edelknaben Maike Etzold, Ursula Hamm-Keller, Minjin Posch und Helena Wegner.
Der Badische Staatsopernchor sowie der Extrachor des Badischen Staatstheaters (Leitung: Ulrich Wagner) überzeugt mit überwältigender Intonation. Auch die einzelnen Motive arbeitet Georg Fritzsch mit der Badischen Staatskapelle facettenreich heraus – darunter insbesondere das Liebesentsagungs-Motiv, das Thema der Fürbitte oder das Motiv der Gebrochenheit im dritten Aufzug.
Am Ende großer Jubel für das gesamte Team. Diese Produktion wird vom Richard-Wagner-Verband Karlsruhe unterstützt.
Alexander Walther