Karlsruhe: „TANNHÄUSER“ – Premiere 31.03.2024
Tannhäuser unter dem Tischtuch. Foto: Felix Grünschloss
Nach elf Jahren Abstinenz legte nun das Team Vera Nemirova (Regie), Paul Zoller (Bühne), Marie Thérése Jossen-Delnon (Kostüme) dem Badischen Staatstheater einen wundersamen „Tannhäuser“ von Richard Wagner ins Osternest. Nach bisher recht guten Produktionen gewann ich den Eindruck, dass Frau Nemirova der richtige Bezug zu diesem Werk fehlte. Venus eine freizügige professionelle „Wander-Schwalbe“ zeigte sich rollig wie ihr mitgeführter Koffer. Elisabeth mit merkwürdigem Gebahren mutierte zur Dirigentin des Sängercontests, wurde bereits im zweiten Aufzug mittels Tischtuch zur Heiligen gekürt, der füllige Tannhäuser fand darunter ebenso Platz, erhielt es mit auf den Weg nach Rom und brachte es, oh hehres Wunder, fleckenrein von der Pilgerreise wieder zurück. Wolfram erdrosselte Elisabeth nach dem Gebet, wie das so bei Heiligen üblich durfte sie wiederauferstehen und Wolfram landete in den Armen der Venus. Die Bühne fast leer, im Hintergrund allgegenwärtig ein Depot alter Instrumente, die Tribünen der Gäste wurden während des wunderschönen Hallen-Vorspiels rumpelnd platziert, da in der Pause keine Zeit, eine ruinöse antike Kassetten-Decke hing schräg von oben herab. Die Kostüme der Damen bunt-schrill-glitzernd neuzeitlich, Elisabeth in Weste mit Krawatte darunter ein weißer Tüllrock, die Herren in Anzügen sowie Dinnerjackets. Zum Slogan: „Im Westen nichts Neues“ erlebte man geborgte Szenarien wie bereits aus vielen kuriosen Produktionen andernorts bekannt. Ohne Pro und Contra wurde der ganze Zinnober vom Publikum akzeptiert.
Der Tannhäuser des Abends wurde von Michael Weinius interpretiert, mir bereits als guter Wagner-Tenor bekannt, welcher im ersten Aufzug noch kein vokales Defizit erkennen ließ, sein schönes Tenortimbre mit dunklen Couleurs versehen blühte während des Sänger-Wettstreites prächtig auf, den Erbarmen-Rufen fehlte sodann der Höhenstrahl und sichtlich ermattet trat er die Pilgerreise an. Aller Weges Mühen zum Trotz gestaltete Weinius die Heimkehr mit eindrucksvoll gefestigter Mittellage zu substanziellen Steigerungen und krönte seinen Vortrag mit einer differenzierten ausdrucksstarken Romerzählung. Leider honorierte das Publikum jene positiven Attribute nicht.
Entgegen ihrer erotischen Optik vermochte Dorothea Spilger der Venus stimmlich keine Wärme, lockende, dunkle, verführerische Farben entgegen zubringen. Auf zuweilen schier unangenehme Weise kam ihr mächtiger höhensicherer Mezzosopran zum Einsatz.
Wunderschön, silberhell strahlend erklang der Sopran von Henriette Schein und bat eindrucksvoll um das Seelenheil des junten Hirten. In bester Manier fügten sich die Stimmen der vier Edelknaben Maike Etzold, Ursula Hamm-Keller, Minjin Posch, Helena Wegner ins turbulente Geschehen des zweiten Aufzugs ein.
Die teils darstellerische Entrücktheit vermochte Paulina Linnosaari ihrer Elisabeth stimmlich nicht einzuhauchen, ihrem höhensicheren Sopran fehlte es an inniger weicher Lyrik und versah die Partie mehr mit jugendlich-dramatisch aufblühender Vokalise.
Seit vielen Jahren im Ensemble glänzte bereits Ks. Armin Kolarczyk in eindrucksvollen Rollen seines Faches am Hause, jedoch heute avancierte der bewährte Sänger zum Publikums-Favoriten, erhielt zu Recht den einzigen Bravosturm des Abends. Bestens auf Linie geführt, edel, weich timbriert, mit traumhaft schön gesungenem Abendstern adelte der sympathische Bariton den Wolfram von Eschenbach.
Nobel, hellstrahlend ließ Nutthaporn Thammathi den Walther von der Vogelweide erklingen. Dem Landgrafen Hermann fehlte es an Resonanz und Basstiefe, Ks. Konstantin Gorny hatte wohl nicht seinen besten Tag, oder scheint wie wir alle in die Jahre zu kommen?
Sonore Basstöne ließ Ralf Lukas als mahnender Biterolf vernehmen, unspektakulär fügten sich Ks. Klaus Schneider (Heinrich der Schreiber) sowie Manuel Winckhler (Reinmar von Zweter) ins Ensemble.
In bester Disposition, vorzüglichen Abstufungen vom imposanten Fortissimo zum feinen Pianissimo abgestuft setzten der Badische Staatsopernchor und Extra-Chor (Ulrich Wagner) vokale Glanzlichter.
Finale. Foto: Felix Grünschloss
Unter der Stabführung von Georg Fritzsch erklang Wagners romantische Partitur mit der bestens disponierten Badischen Staatskapelle in klarer Transparenz. Der versierte Dirigent schenkte den lyrischen Parts weiche Streicherpassagen, sphärischen Harfenklang. Sauber präzise wurde in allen Instrumentalgruppen dynamisch musiziert, akkurat gesellten sich die Bläserfraktionen klangschön hinzu. Koordinierungsdefizite zwischen Bühne und Graben lassen sich künftig noch beheben?
Leistungsgerecht belohnte das Publikum des fast ausverkauften Hauses alle Mitwirkenden, jedoch die sonst hier bei Premieren erlebte überschäumende Euphorie blieb aus.
Gerhard Hoffmann