Online-Premiere des Staatsballetts Karlsruhe am 17.4.2021 im Staatstheater/KARLSRUHE
Vom Froschkönig und dem Zauberer
Der belgische Choreograf Jeroen Verbruggen hat sich in seiner ersten Produktion für Karlsruhe des „Feuervogels“ von Igor Strawinsky angenommen. Dabei taucht er in die Welt des Varietes und des Nachtlebens ein, die in den „Goldenen Zwanzigern“ Trumphe feierten. Inspiriert von diesen ungewöhnlichen magischen Elementen hat Ballettdirektorin Bridget Breiner Verbruggens „Feuervogel“ ihren Prolog „Verzaubert“ vorangestellt, der die verzauberten Märchenfiguren unserer Kindheit von Schneewittchen und Froschkönig lebendig werden lässt. Beim Prolog kann die von Nami Ito filigran verkörperte Prinzessin mit der Goldenen Kugel dem virtuos agierenden Zauberer (fulminant dargestellt von Paul Calderone) sehr wirkungsvoll Paroli bieten. Und auch der von Pablo Octavio getanzte arme Froschkönig wird schließlich in einem magischen Gewitter erlöst.
Am Klavier agieren Francois Salignat und Angela Yoffe, die Musik von Maurice Ravel („Pavane für eine verstorbene Prinzessin“ und „Ma Mere L’Oie“) in bravouröser Weise Revue passieren lassen. Zuletzt wölbt sich eine gewaltige harmonische Steigerung über den majestätischen „Feengarten“. Die von schwarzen Rhythmen inspirierte Jazz-Musik von Jelly Roll Morton ist dazwischen immer wieder zu hören.
Höhepunkt des Ballettabends aber ist Verbruggens Choreografie von Igor Strawinskys „Feuervogel“ in einem Arrangement für drei Klaviere, Schlagzeug und Harfe von Tom Smith. Das Libretto um russische Folklore und den bösen Zauberer Kastschei erreicht hier ekstatische tänzerische Dimensionen, die vom Staatsballett Karlsruhe in ganz hervorragender Weise ausgekostet werden. Nach der Introduktion gerät der Tanz des Feuervogels zu einem orgiastischen Taumel, der vom furiosen Höllentanz des Zauberers nicht übertroffen wird. Flammen und Blätter lassen die Aura dieses überirdischen Geschehens in unheimlicher Weise lebendig werden. Und die Tänzer reagieren höchst sensibel auf die Musik. Das Intervall der übermäßigen Quarte und der verminderten Quinte gerät zu einer unglaublich differenzierten Demonstration verschiedenartigster Bewegungen. Und wie in dunklen, gelähmt schleichenden Klängen zeichnen die Pianisten Alison Luz, Irene-Cordelia Huberti und Alessandro Pratico den verhexten Garten des Zauberers nach. Wie eine Feuerflamme flattert hier der Wundervogel heran, dessen Reaktionen bei jeder seiner Bewegungen sprühen, glitzern und funkeln. Unter der musikalischen Leitung Yura Yangs können sich auch die reizvollen Arpeggien der von Silke Wiesner facettenreich gespielten Harfe und die packenden Schlagzeug-Einsätze von Marco Dalbon und David Panzer wirkungsvoll entfalten. Mit inständigem Flehen bittet der Vogel hier den Prinzen, ihn in Freiheit zu lassen. Auch das zierlich-anmutige Spiel der Prinzessinnen wird voll erfasst. Dem Einfluss der zart-schwebenden, innigen russischen Volksmelodie kann man sich nicht entziehen. Ein vorstürmender Rhythmus heizt dabei das tänzerische Geschehen immer weiter an und führt zu einer überwältigenden Schluss-Steigerung. Die Melodie des Wiegenliedes erinnert sogar an Rimskij-Korssakoff. Lucia Solari als das Starlet, Joshua Swain als Variete-Gast Iwan und Paul Calderone als der seltsame Magier bilden ein undurchschaubares Triumvirat. Obwohl das Orchester fehlt, kann das wandlungsfähige Staatsballett Karlsruhe seine Präsenz auch ohne Pas de deux zeigen. Und auch die fantasievollen Kostüme von Ines Alda verzaubern den Zuschauer.
Alexander Walther