Einer der imposanten Bühnenräume – die Ratsszene. Copyright: Falk von Traubenberg
Karlsruhe
„ROBERTO DEVEREUX“ 23.3. 2019 (Premiere) – Belcanto mit Hochspannung
Die Karlsruher Erstaufführung des letzten der drei englischen Königsdramen Donizettis bescherte ein gesamtkünstlerisches Erlebnis, wie es im Prinzip selbstverständlich sein sollte, aber bei einer so historisch verorteten Geschichte zumindest im deutschen Sprachraum bedauerlicherweise seit langer Zeit so gut wie nicht mehr zu erleben ist. Insofern dürften bei dieser Premiere viele Besucher ihren Augen zuerst nicht getraut haben, dass hier ein Regieteam aus voller Überzeugungskraft angetreten war, dass das Werk nur in einem voll entsprechenden stilistischen Rahmen die volle Glaubwürdigkeit erringen kann.
Dass dieses Team aus England kommt, bestärkt zudem die Gewissheit einer stärkeren Verantwortung, die die Angelsachsen gegenüber der Authentizität geschichtlicher Handlungen haben. Harry Fehr hat sich von Yannis Thavoris (Bühne) und Mark Bouman (Kostüme) eine Ausstattung entwerfen lassen, deren Üppigkeit und Aufwand sich voll gelohnt haben, zieht sie doch den Zuschauer tief und mitten hinein in die Welt von Königin Elisabeth I. Die auf der Drehbühne angeordneten, durch Türen miteinander verbundenen Räume (das Schlafzimmer der Königin, der Ratssaal, ein bürgerliches Zimmer bei den Nottinghams, ein sich nach hinten zwischen den Mauern verengendes Gefängnis) bilden das Gerüst für den Regisseur, die Verflechtung politischer und privater Angelegenheiten zu zeigen, die Königin vom Gemach in den Saal und wieder zurück gehen zu lassen. Die detailreich geschneiderten Kostüme (ein extra Lob an diese Abteilung) bilden eine Abwechslung zu den oft nichts sagenden beliebigen Gegenwarts-Gewändern. Hier hat ein Kostümbildner wirklich seine Kompetenz an stilistischem Fachwissen bewiesen. Kompliment!
In diesen historisch nachempfundenen Räumen fand jedoch kein Stehtheater oder Rampensingen, sondern eine fein ausgearbeitete und eine Spannung nach der anderen erzeugende Personenregie statt. Die von Salvatore Cammarano nach der Tragödie „Elisabeth d’Angleterre“ von Jacques-Francois Ancelot als Libretto eingerichtete Oper bietet denn auch einen Konflikt voller Sprengstoff, in den Elisabeth und drei Personen aus ihrer nächsten Umgebung verstrickt sind. Da ist zum einen die Titelfigur Roberto Devereux, um dessen Liebe Elisabeth kämpft, jedoch spürt, dass sie eine Rivalin hat. Diese ist ihre besonders nahe stehende Hofdame Sara, die sie nach dem Tod von deren Vater mit dem Herzog von Nottingham verheiratet hatte. Dieser wiederum ist Robertos bester Freund und kämpft ebenso um ihn, der als Hochverräter einer missachteten politischen Mission hingerichtet werden soll, bis er erfährt, dass er der Geliebte seiner Frau ist. Elisabeth, die zunehmend politisches Handeln und persönliche Rachegefühle vermischt, ringt sich zum Unterschreiben des Todesurteils durch, hofft jedoch trotzdem, dass jener Ring zu ihr gelange, den sie Roberto für den Fall einer Notlage überlassen hatte. Sara hatte ihn mittlerweile erhalten, kann sich indes von ihrem Mann zuhause eingeschlossen, erst dann befreien und die Königin erreichen, als bereits der Kanonenschlag der Hinrichtung ertönt. In einem Wahnsinnsanfall vom Blut verfolgt, das nun an ihrem Thron klebt, erkennt sie die Zeichen der Zeit und dankt ab. Diese Schlussszene mit ihrem stockenden Rhythmus bei dennoch vorandrängendem melodischem Impetus, ist die Krönung einer zwar nicht immer ganz logisch nachvollziehbaren, aber dramatisch aufgeladenen Dramaturgie, aus der die besondere Stellung des Werkes als „Oper der Emotionen“ hervorgeht. Der Regisseur folgt den Gegebenheiten genau, schöpft aus diesen Emotionen ein eindringliches Zusammenspiel und erlaubt sich nur eine Abweichung, indem Elisabeth den als schuldig erkannten Herzog nicht abführen lässt, sondern eigenhändig mit einem ihr auf Befehl gereichten Dolch tötet.
Das Badische Staatstheater kann sich glücklich schätzen, dieses reife Belcanto-Drama mit hauseigenen Kräften auf hohem Niveau zu besetzen, während – wie von Operndirektorin Nicola Braunger auf der öffentlichen Premierenfeier erwähnt – dasselbe Werk am gleichen Abend an der Bayerischen Staatsoper mit renommierten Gästen gespielt wird!
Faszinierendes Rollendebut: Ina Schlingensiepen als Elisabeth I. Copyright: Falk von Traubenberg
Kammersängerin Ina Schlingensiepen hat sich nach der Anna Bolena in der letzten Saison nun auch die Elisabetta mit einer Stringenz erarbeitet, die bereits an diesem Premierenabend szenisches und vokales Profil lückenlos miteinander verschweißt. Differenziert fällt sie von der Privatperson in ihr königliches Amt und zurück, macht die Zerreißprobe ihrer persönlichen, nicht politischen Rache in Körperhaltung und Mimik ergreifend spürbar. Den gesanglichen Spagat zwischen feiner lyrischer Koloraturtechnik und eruptiver dramatischer Attacke mit verismo-nah mezzotief gelagerten Phrasen bewältigt sie stupend. Vor allem ihre aufblühende und strahlend durchsetzungsfähige Höhe über einer nicht sonderlich ausgeprägten, aber klar ansprechenden Mittellage und souverän eingebundenen Kellertiefe, lässt das Belcanto-Herz höher schlagen. Wie sie bereits am Ende des zweiten Aktes nach der Urteils-Unterzeichnung um Fassung ringt und in ihrer Amtsausübung sowie am Ende nach dem Abziehen ihrer Perücke und mit einem passend in einen Schrei ausartenden Spitzenton die gealterte Regentin sichtbar wird, zeichnet die Sopranistin als glaubwürdige Darstellerin aus.
Leidenschaftlich und vokal feinsinnig: Eleazar Rodriguez als Roberto. Copyright: Falk von Traubenberg
Als ihre Kontrahentin Sara kann Jennifer Feinstein mit einem üppigen, bereits in lyrischen Momenten gehaltvollen und im Forte leidenschaftlich aufgeladenen Mezzosopran mit nicht zu hellem Timbre, ergänzt durch gut dosierte spielerische Effektivität gehörig Paroli bieten. Ein weiterer großer Erfolg für die Amerikanerin. In der Titelrolle rechtfertigte der beliebte Mexikaner Eleazar Rodriguez mit gleichfalls passioniertem Einsatz seines farbintensiven Tenors voller Sensibilität in der Tongebung und leuchtender Höhen-Entfaltung die zentrale Bedeutung Robertos als Angelpunkt allen Unglücks. Die große Szene vor der Hinrichtung wurde durch das Wandeln des bis zuletzt Hoffnungsvollen durch die sich langsam drehenden Räume, dazwischen auch der mit Beil bereit stehende Henker, zur Rückschau auf sein vorbei ziehendes Leben. Da geriet das Bühnenbild über seine Funktionalität hinaus zum sinnstiftenden Kunstraum.
Kammersänger Armin Kolarczyk fügte seinem reichen Rollen-Spektrum mit dem Herzog von Nottingham eine weitere Facette seiner Kunst hinzu, gab dem vom Helfer zum Rächer werdenden Adeligen Würde und Haltung sowie prononciert baritonales Gewicht, wobei nicht ganz unterschlagen werden kann, dass es ihm etwas an geschmeidigem Ausgleich zwischen den Registern mangelte bzw. das hier schon Verdi hörbar machende Belcanto-Fach nicht zu seinen Stärken zählt. Als Gesamtheit betrachtet ist der langjährige Publikums-Favorit jedoch immer ein Gewinn.
Elisabeths Berater Lord Cecil hatte in Ks Klaus Schneider einen passend kalten Rollenvertreter mit dafür legitimer, steifer Tongebung seines Tenors. Den Vertrauten Sir Raleigh gab Yang Xu mit wohltönendem Bassbariton, Baris Yavuz vom Opernstudio hatte einen ersten Auftritt als Diener Nottinghams. Der Badische Staatsopernchor profitierte von den ideal den Schall reflektierenden Bühnenräumen und wurde von Ulrich Wagner präzise und klangschön für seine spielerische Anteilnahme als Hofleute vorbereitet.
Einen maßgeblichen Anteil an diesem mitreißenden Belcanto-Fest hatte wie schon bei Anna Bolena der Kapellmeister Daniele Squeo. Mit akribischer Feinarbeit lotete er mit der gut austarierten Badischen Staatskapelle die melodischen Spannungsfelder aus, stimmte bereits mit der u.a. die englische Nationalhymne zitierenden Ouvertüre auf die Lebendigkeit seines Musizierens ein (wobei die Pauken noch etwas zu zügeln wären), bettete die Stimmen sicher in ihre teils extremen Linien und steigerte in stetem Spannungsaufbau den Abschluss der einzelnen Nummern. Wo Orchester und Dirigent in diesem Fach oft nur als beiläufige Begleitung bedacht werden, wurden sie hier wie nicht zuletzt das Regieteam völlig gerechtfertigt gleichfalls mit einhelligem Jubel gefeiert.
Udo Klebes