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KARLSRUHE: PARSIFAL – Zeitlosigkeit der Erneuerung

26.05.2015 | Oper

Karlsruhe: „PARSIFAL“ 24.5.2015 (Premiere 29.3.) – Zeitlosigkeit der Erneuerung

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Verführung im Boudoir: Christina Niessen (Kundry) und Erik Nelson Werner (Parsifal). Copyright: Jochen Klenk

Ein bühnenhohes nach oben zur Mitte hin geschwungenes Gehäuse, dessen durch Zwischengänge getrennte einzelne Kammern nach hinten offen und seitlich durch Türen betretbar sind und dank der Drehbühne immer wieder neue Szenen sichtbar macht, umschließt eine zentral gelagerte (Welt-)kugel, die mal tiefblau durchlässig scheint oder als besteigbares Element für den Schmerzensmann Amfortas dient. Allein schon dieses Bühnenkonzept von Tilo Steffens gewährt in Verbindung mit der dramaturgisch stimmigen Lichtregie von Steffen Woinke die Grundlage für eine immer neue Spannungs- und Überraschungsmomente zutage fördernde Aufführung von Wagners Bühnenweihfestspiel.

Regisseur Keith Warner legt sich auf keine bestimmte philosophische oder religiöse Anschauung fest, die Gralsritter stehen bei ihm für jede beliebige Glaubensgruppe, die leidenschaftlich bestimmte Rituale verficht, aber gemäß der aufgeteilten Chor-Gruppen auch untereinander in Parteien gespalten sein kann. Das Gralsgefäß, das sich in der kleinsten Kiste eines Schachtelsystems befindet und im ersten Akt zum Abendmahl enthüllt wird, gibt es am Ende nicht mehr. Der Retter Parsifal weist den Weg in eine Gesellschaft, die ihre Krise durch Erneuerung überwinden muss, indem sie auf althergebrachte Gesetze verzichtet. Ob es Christen, Antisemiten oder gar Buddhisten sind, spielt keine Rolle – alles ist möglich, wie es während der Verwandlungsmusik des ersten Aktes im Kreislauf der Drehbühne durch verschiedene Symbole wie einen in Ketten gehaltenen Christus oder eine Buddhastatue gezeigt wird.

Oberflächlich betrachtet ist alles in schwarz und weiß wie die Antipoden Gut und Böse gehalten, doch weil z.B. Klingsor als Vertreter des bösen Zaubers auch danach trachtet, ein Gralsritter zu sein, findet sich auch weißes im Schwarzen und ebenso umgekehrt. Am Schluss blickt eine bunt gewandete Gesellschaft (für die zeitlosen, bei den Rittern und Knappen leicht historisch angehauchten Kostüme sorgte Julia Müer) nach hinten auf den geheilten Amfortas, der mit dem Speer in der Hand die Weltkugel erklommen hat, während Parsifal ganz vorne einem der Glaubensbrüder stellvertretend für alle die Hand reicht.

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Optisch überragend und erfreulich optimistisches Finale mit Renatus Meszar (Amfortas) oben und Erik Nelson Werner (Parsifal) vorne. Copyright: Jochen Klenk

Die Welt der Blumenmädchen wird durch lila/blau/grüne Lichtprojektionen herbeigezaubert, diese selbst erscheinen in Schuluniformen  oder als tief dekolletierte Damen des horizontalen Gewerbes, am Ende liegen sie als wahrlich „Verwelkte“ (Text) einzeln verstreut in den verschiedenen Kammern des noch einmal kreisenden Bühnenbildes.

Die Salbung Parsifals vollzieht sich auf einer Bank unter einer Straßenlaterne, wo Gurnemanz als Weltenwanderer die in Lumpen gehüllte Kundry wiederfindet, der Karfreitagszauber stellt sich durch eine grünliche Überblendung des Bodens sowie auf der Drehbühne liegende weiße Blüten ein.

Differenziert entwickelt sind die einzelnen Charaktere, ganz besonders derjenige Kundrys. Die Ambivalenz dieses alle Frauenfiguren Wagners bündelnden Weibes zwischen Verführerin und Verführter, zwischen Sexualität und Askese, Selbstreflexion und Fremdgesteuertsein schlägt sich in einer vielfachen optischen Verwandlung nieder. Zuerst die dämonische Züge tragende, in einem Kahn daherkommende „Urteufelin“ im schlichten Umhang, dann die an Wagners Zeit gemahnende liebende Frau Mathilde Wesendonck im üppigen Brokatkleid, die Parsifal auf ihrem Kanapée  an sich zu ziehen trachtet,  zuletzt die dienende Büßerin, die im Zuge der optimistischen finalen Erneuerungsbotschaft am Leben bleibt. Christina Niessen wirft sich kraft ihrer Bühnenpräsenz, unterstützt von einer rotbraunen Langhaarperücke, und eines dunkel grundierten, über viel Tiefenresonanz und Mittellagen-Breite verfügenden Soprans, der sich weitgehend mühelos bis in die Spitzen windet, mit Impetus und schillernder Darstellung total in diese komplexe Frauengestalt.

Frank van Hove strahlt als Gurnemanz mit seinem ohne Nachlass tragfähigen und ausdrucksvollen Bass, dessen Timbre nicht einmal sonderlich edel ist und im Klang etwas rauhe Züge aufweist, die dafür erforderlich autoritäre Würde aus und zeichnet das Bild eines Lehrers, der seine eigene Sicht auf die Dinge hat und zwischen Tradition und Neuerung abwägt.

Mit großer Leidensemphase, der ohne falsche Sentimentalität und zuviel Händeringen auskommt, bringt Renatus Meszar den Amfortas über die Rampe, vokal prachtvoll ausstaffiert mit einem Bariton von großer Spannweite, der nach allen Richtungen flexibles Potential hören lässt. Bestürzend seine Klage neben dem gläsernen Sarg seines Vaters Titurel, aus dem Avtandil Kaspelis Bass geboten geschwächt, aber dennoch stabil in der Führung dringt. Noch klarer, präsenter im Ton durchmisst der füllige Bariton von Jaco Venter als Klingsor mit langen zotteligen Haaren den Raum. Auch in der Gestaltung des Getriebenen, der Kundry als Gefangene in einer Zelle zu halten versucht und einem Knaben in Parsifals langem Blondhaar hinterher jagt, macht er den selbst nach Erlösung Suchenden sichtbar. Der erwähnte Knabe war bereits am Ende des ersten Aktes als Stimme von oben (hier vom Dach des Gehäuses) zu vernehmen – Gabriel Mende tat es mit weicher und sauber geführter Stimme.

Schließlich Parsifal selbst: der Deutsch-Amerikaner Erik Nelson Werner, groß, schlank und mit langer Blondhaar-Perücke die ideale Erscheinung für den anfänglichen Toren, aber auch für den begehrten Hahn im Korb bei den Blumenmädchen, ehe er sich zum sichtbar Wissenden, seiner Aufgabe Bewussten wandelt. Sein sehr dunkler Tenor, der noch an seine Anfänge als Bariton erinnert, irritiert zuerst noch etwas, doch die klare Ansprache, speziell in der kultiviert geführten Mittellage, nimmt sehr für ihn ein. Lediglich bei den Kraft erfordernden Höhen gerät die Stimme leicht außer Kontrolle und verliert dadurch an Klangqualität. Es dürfte sich jedenfalls lohnen, die weitere Laufbahn des noch jungen Künstlers weiter zu verfolgen.

Grundsolides war von den Rittern (Steven Ebel, Luiz Molz) und den Knappen ( Lydia Leitner, Sofia Mara, Max Friedrich Schäffer, Nando Zickgraf) sowie den als Ensemble weitgehend homogenen Blumenmädchen zu vernehmen. Chor- und Extrachor des Badischen Staatstheaters (Einstudierung: Ulrich Wagner)  nach anfänglicher Zurückhaltung zu einer geschlossen fülligen Leistung mit geringfügiger Dominanz der Tenöre. Die Damen und Herren profitierten sehr von der sinnvollen Regie mit szenisch wirkungsvoller Führung in geteilten Gruppen.

GMD Justin Brown ließ sich einerseits Zeit, die markanten Motive in aller Deutlichkeit entfalten zu lassen, fand zu einer unaufdringlichen Führung der Sänger, zog aber das Tempo auch an,  wo es dem schnellen Verlauf der Dialoge diente. Die Badische Staatskapelle folgte ihm mit genauer Ausformulierung und reibungslosen Übergängen, teilweise übermäßig laut ausartenden Steigerungen und griffig gesetzten Höhepunkten. Der Mittelweg zwischen in die Breite gezogenem und nicht zu schnell vorwärts drängendem Zeitmaß sicherte eine gut ausgeglichene Präsentation der Partitur.

Mit dem doch sehr toleranten und für maßvolle Erneuerung plädierenden Inszenierungskonzept schien sich ein einsamer, aber bis zum Schlussß penetrant hervorstechender Buhrufer partout nicht anfreunden zu wollen. Ansonsten wurden die Solisten und Hauskollektive samt Dirigent mit verdienten Ovationen belohnt.                                                                                                                                               

Udo Klebes

 

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