Georg Friedrich Händel: Tolomeo, Re di Egitto • Internationale Händel-Festspiele Karlsruhe • Badisches Staatstheater Karlsruhe • Vorstellung: 27.02.2022
(2. Vorstellung • Wiederaufnahme am 25.02.2022)
Eine Perle aus Händels Schaffen
Die diesjährige Wiederaufnahme der Internationalen Händel-Festspiele Karlsruhe ist die Neu-Produktion des Jahres 2020, das Dramma per musica «Tolomeo, Re d’Egitto». Händels vierzehnte und letzte Oper für die Royal Academy of Music bietet einen guten Kontrast zur diesjährigen Festspiel-Premiere, dem Musical Drama «Hercules».
Foto © Falk von Traubenberg
«Tolomeo, Re d’Egitto» behandelt eine Episode aus der reichhaltigen Familiengeschichte der Ptolemäer. Tolomeos Mutter Cleopatra hat ihren erstgeborenen Sohn, den rechtmässigen König Ägyptens, ins Exil nach Zypern vertrieben, ihm sein Verlobte Seleuce entzogen und ihren Lieblingssohn Alessandro zum Mitregenten gemacht. Nachdem Alessandro seine offenbar nicht ganz einfache Mutter hat umbringen lassen, musste er fliehen und wird als Schiffbrüchiger am Gestade Zyperns angespült. Tolomeo, der mit dem Leben abschliessen will, rettet seinen Bruder, obwohl er ihn erkennt.
Nach allerlei Wirrungen, massgeblich mitverursacht vom zypriotischen König Araspe und dessen Schwester Elisa, finden Tolomeo und Seleuce, die, ohne voneinander zu wissen, als Schäfer Osmin und Schäferin Delia auf Zypern lebten, zusammen und Alessandro setzt seinen Bruder wieder als König ein.
Bei der Umarbeitung der Vorlage, des 1711 erstmals von Domenico Scarlatti erstmals vertonten Librettos «Tolomeo e Alessandro, overo La corona disprezzata» («Tolomeo und Alessandro, oder die verschmähte Krone») von Carlo Sigismondo Capece, kürzte Händels Librettist Nicola Francesco Haym dieses, um «fremdsprachige» (das heisst italienische) Rezitative möglichst zu vermeiden, deutlich ein, so dass «Tolomeo» nur gut die Hälfte der Rezitative anderer zeitnah entstandenen Opern enthält. Zudem kommt das Sujet Händels Neigung zum pastoralen Milieu und Naturschilderungen entgegen: zehn der fünfundzwanzig Arien drehen sich um die Natur.
Regisseur Benjamin Lazar die Themen Nähe und Distanz, Tolomeo und Seleuce, die sich auf der gleichen Insel befinden und doch nicht zueinander finden. Bühnenbildnerin Adeline Caron hat sich für ihre Arbeit vom direkt an der Atlantikküste gelegenen und von Marcel Proust und Marguerite Duras gern besuchten Grand-Hotel «Les roches noires» im französischen Trouville-sur-Mer inspirieren lassen. Ein grosser Saal mit Aussicht auf das Meer (höchst stimmungsvolle Videos von Yann Chapotel) nimmt die ganze Bühnenbreite ein und ermöglicht es den Figuren so, ganz dem Konzept entsprechend, sich nahe zu sein, ohne es zu merken. Alain Blanchot siedelt mit seinen Kostümen die Handlung in der Zeit zwischen den Weltkriegen an.
Cameron Shahbazi gibt den Tolomeo mit stupender Leichtigkeit und einer Klarheit und Frische, die an sprudelndes Quellwasser in den Bergen erinnert. Louise Kemény als Seleuce wird als leicht indisponiert angesagt. Das mag vereinzelte Schärfen in der sonst tadellosen, leicht dramatischen Interpretation von Toloemeos Geliebter erklären. Eléonore Pancrazi als Elisa begeistert mit ihrem lebendigen und jugendlich-frischem Sopran, der wunderbar mit der Stimme Keménys kontrastiert. Meili Li als Tolomeos jüngerer Bruder Alessandro ist der zweite Countertenor auf dem Besetzungszettel. Sein Countertenor ist etwas heller als jener von Shabazi, aber nicht minder virtuos. Das ergibt in der Summe einen guten Kontrast: Li wirkt so auch stimmlich als jüngerer Bruder. Mit agil geführtem Bass und balsamischem Wohlklang singt Morgan Pearse den Araspe.
Unter der musikalischen Leitung von Federico Maria Sardelli wirken die Deutschen Händel-Solisten an diesem Nachmittag wie ausgewechselt. Es wird wieder höchst lebendig und mit sichtbarer Leidenschaft musiziert.
Hier gibt es eine Perle aus Händels Schaffen zu entdecken.
Weitere Aufführung: 02.03.2022, 19.00.
28.02.2022, Jan Krobot/Zürich