Badisches Staatsballett Karlsruhe
„RUSALKA“ 29.4. 2017 (Uraufführung) – Ein Gewinn fürs große Ballett-Repertoire
Magische Wasserwelt: Rafaelle Quieroz (Rusalka) und Juliano Toscano (Wassermann) mit den Nixen. Copyright: Jochen Klenk
Durch Antonin Dvoraks Opernfassung ist die sagenumwobene und dabei psychologisch zeitlose Geschichte von Rusalka und ihrem Schicksal als Wassergeist international verankert. Nun haben die beiden Landsmänner dieses Komponisten und ehemaligen renommierten Ersten Solisten in John Neumeiers Hamburg Ballett Jiri und Otto Bubenicek auch für den Bereich des Tanzes eine Version geschaffen, die es dem ersten überwältigenden Eindruck nach mit dem Vokalwerk aufnehmen kann und hoffentlich dauerhaft zum festen Bestandteil des Ballett-Repertoires vieler Compagnien wird.
Da ist zunächst einmal der ganz linear und klar gegliederte Handlungsverlauf von der Verzauberung Rusalkas durch den Prinzen, ihrem Wunsch aller Warnungen von Hexe und Wassermann zum Trotz Mensch zu werden und ihr Los letztlich aufgrund der Unfähigkeit ihre Liebe zu kommunizieren, zum ewigen Umherirren im Reich der verlorenen Seelen verdammt zu sein, während der Prinz durch ihren Tod bringenden Kuss immerhin erlöst ist. Zu der vor allem im tschechischen Kulturkreis weit verbreiteten Gestalt des herrschenden, aber gegenüber den Elfen auch väterlich gütigen Wassermannes haben die beiden Zwillingsbrüder somit einen Bezug, der sicher dazu beigetragen hat, dass das Geschehen des Stücks trotz allzeit gültiger Elemente nicht ohne märchenhafte Tradition auskommt. Das betrifft vor allem die optische Komponente, für die Otto Bubenicek seit einiger Zeit als ko-produzierender Partner seines Bruders verantwortlich zeichnet. Und das mit einer Phantasie und einer spürbaren Lust an den heutigen, vor allem beleuchtungstechnischen Möglichkeiten, die im Falle dieser „Rusalka“ in einer zauberhaft suggerierten Wasserlandschaft resultiert ohne sich des Elements Wasser im Geringsten zu bedienen. Diffuses Licht, das auf den Boden unendliche Wellenbewegungen zeichnet und Nebelschwaden, durch die auf der weiten Bühne des Badischen Staatstheaters eine Weide, herabhängende kahle Äste, Schilf, ein Mühlrad, ein Steg mit Leiter und mehr im Vordergrund ein großer Stein wahrzunehmen sind, sorgen für eine magische Stimmung, wie sie im Theater abseits der Realität gerade heute wieder öfter wünschenswert ist. Die allzeit präsente Mondscheibe wacht wie ein Lenker über allem und hüllt die Elfen bei ihren Spielen und Neckereien in gleißendes Licht, während Rusalka selbst beschwörend zu ihm aufblickt, er möge doch den Geliebten durch die Stärke ihrer Gefühle für ihn auf sie aufmerksam machen.
.
Rafaelle Quieroz (Rusalka) in den Fängen von Juliano Toscano (Wassermann). opyright: Jochen Klenk
Die Szene im Schlossgarten ist durch ein elegantes Treppen-Entree sowie halb im Wasser versunkene Versatzstücke des Tores und der Mauer und ein umgekippt von der Decke hängendes Boot als Chiffren der Gewalt der Naturmächte gekennzeichnet. Das finale Reich der verlorenen Seelen führt naturgemäß wieder an die Seelandschaft zurück, wo Steg und Stein verschwunden sind, und stattdessen eine riesige Statue mit dem Visier Neptuns nur in Teilen (ein Arm, das angewinkelte Knie, ein Fuß) aus dem Wasser-(Boden) heraus ragt – ein ungeheuer starkes Bild als Ausdruck des Zwitterdaseins Rusalkas zwischen Geister- und Menschenwelt. Faszinierend schillernde Kostüme in einer Mischung aus Märchen und Science fiction für die Elementar-Herrscher Wassermann und Hexe, transparent grünlich schattierte Trikots mit luftigen Überwürfen bei den Elfen, während schmucke Uniformen und Wamse in den Farben der tschechischen Flagge Rot, Weiß und Blau die Menschenwelt deutlich davon abheben.
Jiri Bubenicek ist es gelungen diese Staunen machende Bühnen-Ausstrahlung mit bewegendem, nicht nur dem reinen Tanz dienenden Leben zu füllen, den Gestalten durch einen ebenso phantasiereich mit den klassischen Ballett-Grundlagen spielenden und sie teilweise sehr anspruchsvoll erweiternden Stil Kontur und Charakter zu geben. Mehr oder weniger wussten alle Beteiligten diese Vorgaben wie auch einen gewissen Gestaltungs-Spielraum zu nutzen und sich gleichermaßen als technisch wie charakterlich versierte Künstler zu offenbaren. Allein wie Rafaelle Queiroz Rusalkas Sehnsucht nach der Liebe zum Prinzen mit ihren Armen ein bewegendes Zeichen setzte, gegenüber der konkurrierenden Fürstin mit ihrem Körper zunehmend ein inneres Leiden spürbar machte oder als Zurück gestoßene mit ihren Beinen gegen den Druck des Wassers kämpfen muss, zeigt wie fruchtbar hier choreographisches und tanzdarstellerisches Können ineinander wirken. Die Brasilianerin nimmt von Anfang an durch eine starke, wie von innen heraus wirkende Kraft gefangen und wächst in der dicht konstruierten Schluss-Szene mit dem Prinzen als Vergebende zu überwältigender Menschlichkeit empor. Ohne sich körperlich je richtig zu umfassen, findet sie da mit dem Prinzen zu einer Nähe, die im Dilemma zweier verschiedener Seelen umso mehr berührt. Flavio Salamanka, Kammertänzer und Zentrum des Ensembles seit Birgit Keils Start mit dem heutigen Staatsballett trägt mit seiner wahrlich prinzlichen Erscheinung, seinem sympathisch schmucken Wesen und nicht zuletzt mit seinem geschmeidigen und noblen Bewegungs-Potential gleichermaßen zu diesem erschütternden Final-Pas de deux bei. Im Zusammenwirken mit der zierlichen, aber dennoch in Haltung und Spitzen-Eleganz majestätischen Fremden Fürstin von Su-Jung Lim konnte er wieder seine Wandlungsfähigkeit als Aristokrat im Auftreten und in der Linienpräzision beweisen.
Kaum zu erkennen waren Juliano Toscano und Bruna Andrade in ihren Ganzkörper-Verwandlungen. Ersterer gab dem in eine eng anliegende grüne Hose, schwarze Leder-Jacke, lange zottelige Haare und einen Zylinder verpackten Wassermann durch einen mit viel Pliés weitgehend mit dem Boden verwachsenen Bewegungs-Material bedrohliche Gestalt und beeindruckte durch eine famose Elastizität in den Beinen. Zweitere wirkte meist getragen von den beiden Hexenlehrlingen Timoteo Mock und Emiel Vandenberghe mit ihren weit ausfahrenden und schwingenden Beinen und Armen wie eine riesige Spinne, die schließlich auch den Chefkoch vernascht. Diesen stattet Admill Kuyler als tragikomische Gestalt mit hektischem Bewegungs-Habitus und einer Prise Humor aus, begleitet von den nicht weniger eifrigen Gehilfen Louis Bray und kurzfristig eingesprungen Ronaldo dos Santos, die der gierigen Hochzeitsgesellschaft im Schloss allerlei Fisch und Meeresgetier auf ihren Platten servieren. In der durchaus dankbar angelegten Nebenrolle des Freundes des Prinzen konnte der Ensemble-Neuzugang Joao Miranda mit praller Lebensfreude und umwerfend sonniger Ausstrahlung sowie tänzerischer Emphase auf Anhieb auf sich aufmerksam machen.
Die als Elfen und Hochzeitsgäste eingesetzten Corps de ballet-Tänzer schlossen mit dramaturgisch sinnfällig integrierten Einsätzen den Kreis des Ensembles würdig ab.
Berührend innige Nichtvereinigung im Schluß-Pas de deux: Rafaelle Quieroz (Rusalka) und Flavio Salamanka (Prinz). Copyright: Jochen Klenk
Bleibt noch die Musik, die wie alle anderen Komponenten dieses Gesamtkunstwerks perfekt ausgewählt ist und mit Dvorak und vor allem Leos Janacek einen weiteren Landsmann berücksichtigt, der mit seinen ausdrucksstarken, selbst in den ausgewählten Klavierwerken wie „Auf verwachsenem Pfade“ und „Im Nebel“ und bei uns weitgehend unbekannter Kammermusik deutlichen Sprachmelodien und Motiven eine mitteilsame Kraft in dieser rundum geschlossenen und handwerklich überzeugenden Arbeit bedeutet. Die intimeren Kompositionen mit ihren manchmal wie Tropfen wirkenden Klavieransätzen sind dabei der Wasserwelt vorbehalten, die Menschenwelt kontrastiert dazu in den klanglichen Eruptionen der Glagolitischen Messe und der Sinfonietta oder eines Slawischen Tanzes von Dvorak. Leider fehlte durch Bandaufnahmen der Atem des Live-Geschehens, aber die Dichte der Aufführung konnte das nicht wirklich beeinträchtigen.
Uneingeschränkter riesiger Jubel für alle Beteiligten beschloss diese Geburtsstunde eines Handlungsballettes, das gute Chancen hat, ein Klassiker zu werden.
Udo Klebes