Foto: Falk von Traubenberg
Karlsruhe/ Badisches Staatstheater: TURANDOT , 25.1. 2020 – Premiere
Die Buntheit dieser Inszenierung bleibt am meisten in Erinnerung, da ja sonst viele Inszenierungen oft nur zwei entgegengesetzte Farben hervorheben. Hier ist die Buntheit Prinzip. Am eindruckvollsten kommt sie in den Videos der Gruppe AES+F (Tatjana Arzamasova, Lev Evzovich, Evgeny Svyatsky, Vladimir Fridkes, auch Bühne & Kostüme) zum Ausdruck. Besonders in den Außenakten der Puccini-Oper wird hier ein sagenhaftes unglaubliches China kreiert. In überdimensionalen Bildern sprießen Phantasiepflanzen auf, die sich wie große Metropolen aufeinander schichten, rote Drachen mit zackigen Schuppen fliegen durch die Luft, hin und her, gegeneinander sowie Kugeln, Androiden schießen ihre Bahnen durch das All, ein unglaubliches Szenario. Bei einer solchen Übermacht des Video muß sich die herkömmliche Szene natürlich einschränken: zwei kleine Tribünen links & rechts, die den Chor aufnehmen, dazwischen laufen oder marschieren die StatistInnen als futuristisch weiß gekleidete Wächter mit grünen Leuchtstäben hin und her. Somit fällt die anfängliche Palaststürmung des Volkes und deren Niederschlagung weg, und auch die Massensuggestion bei der Schleifung der Schwerter verbleibt weitgehend uninszeniert. Der Trauermarsch zur Hinrichtung des persischen Prinzen fällt ebenfalls der Übermacht der Science Fiction movies zum Opfer.
In der Rätselszene des 2.Aktes ist die Regie von Fabio Cherstich relativ statisch. Auf der zentralen Großbildleinwand und auf kleineren seitlichen Schrägen werden bis zur Unterhose entkleidete junge Männer auf Laufbändern herumgefahren, von tierischen ‚Mondgöttinnen‘ mit langen Tentakelarmen und – beinen eingefangen und umschlossen. Die Köpfung wird nicht direkt gezeigt, aber die Endprodukte: die Männer liegend nach vorn ohne Kopf. Das mondgöttliche weibliche Prinzip wird auch mehrmals in einer ‚Pilsfigur‘ dargestellt: die Wurzeln als Tentakeln, der Rumpf durch viele Brüste, wie die Lamellen streben die Hälse daraus hervor, und der Pilzkopf wird aus schönen jungen Frauenköpfen mit geöffneten Mündern ohne Haare gebildet. Im 3 Akt (Alfani-Schluss!) werden die jungen Menschen ins Posive gewendet, sie umarmen sich als Paare oder in Gruppen. Ein großes Katzenmädchen erregt Heiterkeit. Fast lustig das Schlußbild, in dem ein Baby mit Zöpfen und Windelhosen Ärmchen und Beinchen bewegt, auf denen die anderen Menschen verkleinert Platz nehmen. Es erregt aber im Publikum eher Perplexität.
Die gigantische Puccini-Musik wird im Orchestergraben adäquat wiedergegeben. Sie schwillt oft mystisch an (Mondhymnus), entlädt sich und ist dabei mit exotischer, z.T. Bitonalität versehen. Die Staatskapelle spielt das mit größter Versiertheit. Dirigent Johannes Willig gelingt dabei, auch in den Tempi, eine überraschend starke Interpretation. Bei den Chören, die meist nicht in große szenische Aktionen involviert sind, gelingt eine bemerkenswerte Kongruenz der aufgepeitschten Massen mit den orchestralen Klangballungen. Dabei wird größtmögliche Strahlkraft erreicht, wobei die Soprane in den Spitzenregionen Schönklang bewahren, nie schrill werden (E.: Ulrich Wagner). Der auch chinesisch alludiert bunt gekleidete Kinderchor gibt gut die resigniert verlorene Klanglichkeit wieder.
Der Mandarin in violettem Mantel und Hut übernimmt tenoral Seung-Gi Jung. Den nur noch mit Bluttransfusionen am Leben erhaltenen Altoum singt Johannes Eidloth mit angemessen resigniertem Duktus. Die in rote Einheitsgewänder gesteckten Minister Ping (Edward Gauntt, Bariton), Pang (Klaus Schneider, Tenor) und Pong (Matthias Wohlbrecht, Tenor) ergeben ein gesanglich ausgeglichenes feines Terzett, das auch in meist munterer Bewegung dargestellt ist. Den Timur singt mit espressivem Baß Vazgen Gazaryan in weißer Uniform. Die Liù in weißem Krankenschwester-Outfit ist Agnieszka Tomaszewska mit manchmal anrührendem lyrischem Sopran. Ihre Folterung wird natürlich nicht gezeigt, sie stößt sich einen grünen Wächter-Leuchtstab in die Brust. Rodrigo Porras Garulo ist der Calaf und kann mit seinem angenehmen Jungheldentenor aufwarten. Beim ‚Vincero‘ gab es aber noch kleine Abstimungsprobleme. Sofort danach wird reingeklatscht. Viele Claqueure kommen wahrscheinlich nur wegen dieser Stelle. Mit Kuß und ohne Schal als Zubehör seiner grünen Tarnuniform kann er seine Angebetene ihres ‚Eisgurtes‘ entledigen. Die russische Sängerin Elena Mikhailenko übernimmt sie und kann dabei mehr als überzeugen. Die Spitzentöne sitzen perfekt. Von der Regie erscheint sie aber vollends vernachlässigt. Der Schluß wirkt nach der Trauma-Auflösung besonders brillant.
Friedeon Rosén
Foto: (c) Falk von Traubenberg