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KARLSRUHE / Badisches Staatstheater: TOLOMEO, vierte Vorstellung der Premierenserie im Rahmen der Internationalen Händel-Festspiele

23.02.2020 | Oper

Bildergebnis für karlsruhe tolomeo
Louise Kemény, Jakub Jósef Orlinski. Foto: Falk von Traubenberg

KARLSRUHE / Badisches Staatstheater: TOLOMEO, vierte Vorstellung der Premierenserie im Rahmen der Internationalen Händel-Festspiele 2020, 22.2.

Das Motto der diesjährigen Händel-Festspiele lautet Einsamkeit. Es ist auch das Grundgefühl unserer Zeit, übertüncht vom ständigen Lärm rastloser geschäftiger Umtriebigkeit und dem Höllentempo der am digitalen Tropfen hängenden Menschheit als Zwangsinfusion multipler sich ständig überschlagender Eindrücke. Ruhm und Druck, Karrieregipfel und Nichtverstanden Werden sind da gar enge „Saufkumpane“, wo der Kater in Blitzeseile auf den Rausch folgt.

So auch in Händels Oper „Tolomeo“, wo unser Held als Sohn der Cleopatra und vielleicht Alter Ego Händels, von der verräterischen Mama ins zypriotische Exil getrieben wird. Die möchte ihren bevorzugten jüngeren Sohn als Thronfolger wissen und schickt den armen Alessandro kurzerhand ebenfalls nach Zypern, um den Bruder abzumurksen. Als Hirt Osmin lebt dieser Tolomeo inkognito und trauert um die todgeglaubte geliebte Seleuce. Die lebt jedoch als Schäferin Delia ebenfalls auf Zypern. Zu diesen Volten des Libretto kommt noch, dass der König des Landes, Araspe, eine Schäferin (=Seleuce) unsterblich liebt und seine Tochter Elisa sich natürlich in Osmin (=Tolomeo) verschossen hat. Drei Akte, unzählige Arien und zwei Duette später verdanken wir der tristanähnlichen Verwechslung „Schlafmittel statt Gift“ das Happy End. Elisa hat die beiden Substanzen aus Liebe getauscht. Jetzt ist der Weg frei für das Paar Tolomeo-Seleuce. Mit perfektem Timing verkündet Alessandro noch good news, nämlich dass die böse Cleopatra tot ist. Tolomeo kann als rechtmäßiger König in sein Land Ägypten zurückkehren.

Händel hat Tolomeo in der Spielzeit der Royal Academy 1727/1728 geschrieben. In finanzieller Not und auf ständiger Sponsorensuche – die Beggar`s Opera hatte mit ihrem sensationellen Erfolg das Hauptstadtpublikum erobert – hat Händel im Tolomeo als Sparprogramm die Einheit des Ortes und eine kleine Besetzung (nur fünf Protagonisten) vorgesehen. Hat alles nichts genützt. Einen Monat nach der Premiere beschloss die Generalversammlung der Academy die Auflösung der Truppe.

Naturszenerien als Spiegelbilder der Seele, der inneren Welten der Charaktere, beherrschen die Idee der Oper. Für die Karlsruher Inszenierung ist der Franzose Benjamin Lazar, an sich ein Meister der introspektiven Stimmungen, verantwortlich. Er wertet die Trauer Tolomeos um seine Seleuce als so überwältigend, dass dies sogar dessen Wahrnehmung beeinflusst, die sich zwischen Wahn und Wirklichkeit bewegt. Folgerichtig spielt die Inszenierung auf dem „schmalen Grat zwischen Realität und Illusion, zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Leben und Tod.“

Leider ist die optische Umsetzung dieses an sich passenden Konzepts völlig missraten. Adeline Caron (Bühne) und Alain Blanchot (Kostüme) wollen uns in das direkt am Atlantik gelegene Hotel „Les roches noires“ in Trouville, einst Rückzugsort für Persönlichkeiten wie Marcel Proust oder Marguerite Duras, entführen, genauer noch in einen durch die Arbeiten des italienischen Architekten Carlos Scarpa inspirierten grauweißen Einheitsraum. Diese glatt gesichtslose Hotelhalle wird im zweiten Akt durch Video-Projektionen (Yann Chapotel) des anlandenden Meers, im dritten Akt des stürmischer aufspritzenden Wassers aufgehübscht. Irgendwann kippt das Hotel wie ein gekentertes Schiff auf den Meeresgrund. In der Lobby spenden Designer-Medusenlampen das Licht. Solche Lampen gibt es auch im Entrée zur schicken Berliner Solarbar….

Benjamin Lazar bettet seine Figuren liebevoll in einen ausgeklügelten Bewegungskanon, orientiert am filmischen Kuleshov-Effekt, der Kamera-Einstellungen, wie bestimmte Gesichtsausdrücke, immer wiederholen lässt und an der Ästhetik des Films „India Song“ von Marguerite Duras. Alle Überlegungen zu Zeiterfahrung und Zeitempfinden sind fein gedacht, übersetzen aber dramaturgisch gar nichts, jedenfalls nicht über das kammertheatralische Geschehen auf der Bühne hinaus. Da sich stets alle Personen der Oper gleichzeitig im Raum aufhalten und wenn sie nicht singen, starr an Wänden herumstehen, ergibt sich insgesamt ein ungemein statischer Eindruck.

Dazu kommt, dass die Oper Tolomeo zumindest im ersten Akt, um es vorsichtig auszudrücken, nicht mit den inspiriertesten Nummern aufwarten kann. Musikalisch so richtig Fahrt nimmt die Oper im Lauf des zweiten Akts und vor allem im dritten Akt auf. Höhepunkt ist die große „Todeszene“ des Tolomeo „Stille amare“ im dritten Akt. „In dieser Abschiedsarie hören wir eine geisterhafte Orchesterbegleitung, in der man das Gift gerade in Tolomeos Adern hineintropfen hört.“ (Dorothea Schröder).


Jakub Jósef Orlinski. Foto: Falk von Traubenberg

Die Besetzung des Tolomeo bewegt sich qualitativ auf einem hohen Niveau und ist geschlossener als im Serse. In Karlsruhe dürfen Jakub Jósef Orlinski, Louise Kemény und Eléonore Pancrazi in die Rollen der Uraufführungsstars Senesino, Cuzzoni und Bordoni schlüpfen. Der blendend aussehende und sympathische junge polnische Countertenor Orlinski lässt in allen sieben Arien seine instrumental geführte, frische Stimme mit der Unbedarftheit eines Landjungen verströmen. Langgesponnene Legatobögen liegen ihm eindeutig besser als genau ziselierte Verzierungen. Was für das Publikum aber vor allem zählt (ich habe in der Pause einige Melomanen dazu befragt), ist die Qualität seines äußerst individuell gefärbten Timbres. Als Schüler von Andreas Scholl ist es die englische Schule, die hier stilbildend war. Aber auch Louise Kemény (Seleuce) und Eleónore Pancrazi (Elisa) erfreuen weniger mit großen Stimmen als mit gekonnt gedrechselten virtuosen Arien bzw. melancholisch verhangenen Tönen. Arien wie „Se talor miri un fior“ und „Fonti amiche“ sind es ja gerade, deretwegen Händel-Freunde Anreise- und sonstige Strapazen auf sich nehmen. Der australische Kavaliersbariton Morgan Pearse setzt mit viriler Kraft und sicherer Technik autoritäre Akzente als Zypernkönig Araspe. Nur der chinesische Counter Meili Li enttäuscht mit allzu monochrom gefärbter Stimme und dynamischer Lauheit.

Federico Maria Sardelli dirigiert die großartigen Deutschen Händel-Solisten mit Temperament und Schwung. Allerdings könnten die musikalischen Bögen bei den rhythmisch ruhigeren Arien straffer gespannt sein. Da bröselt manch Legato.

Fazit: Eine musikalisch überwiegend erstklassige Aufführung in einer wenig anregenden, optisch leider missglückten Inszenierung.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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