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KARLSRUHE/ Badisches Staatstheater: SIMON BOCCANEGRA – Tagträume eines überforderten Politikers. Premiere

21.01.2018 | Oper

Bildergebnis für badisches staatstheater simon boccanegra
Nicholas Brownlee (Paolo Albiani), Ks. Barbara Dobrzanska (Amelia Grimaldi), Seung-Gi Jung (Simon Boccanegra), Yang Xu (Pietro), Rodrigo Porras Garulo (Gabriele Adorno), BADISCHER STAATSOPERNCHOR, EXTRACHOR
Foto: Falk von Traubenberg

Giuseppe Verdis „SIMON BOCCANEGRA“ am 20.1.2018 im Badischen Staatstheater/KARLSRUHE

TAGTRÄUME EINES ÜBERFORDERTEN POLITIKERS

Diese Oper ist unverkennbar später Verdi, sie entstand in einem Zeitraum von 25 Jahren, heutzutage wird nur noch die zweite Fassung gespielt, die 1881 in Mailand uraufgeführt wurde. Das Werk besticht durch seine leisen und auch emotionalen Passagen. Man muss ebenso wissen, dass Verdi Politiker war, der dann an dieser Arbeit die Lust verlor und sich als Senator aus dem Parlament zurückzog. Mit seiner Oper über den ersten Dogen von Genua hat er also ein poetisch-musikalisches Bekenntnis abgelegt. Um den Kreislauf blinder Gewalt zu beenden, verkündet der Doge Simon Boccanegra die Parole „Friede und Versöhnung“. Dies zeigt sich auch bei der großen Ratsherrenszene mit der engelsgleichen Erscheinung seiner Tochter Maria, die der Regisseur David Hermann wie eine Szene aus dem Jenseits inszeniert. Der Mob stürmt schließlich das Rathaus und Simon muss einen Aufstand niederschlagen. Fiesco sucht die Aussprache mit dem Dogen, gegen den er lange zu Felde zog. Der kann jetzt endlich Fiescos Friedensbedingungen erfüllen und ihm seine Enkelin zuführen. Simon segnet dann sterbend das junge Paar und lässt den Patrizier Gabriele Adorno zum neuen Dogen ausrufen. David Hermann (Bühne und Kostüme: Christoph Hetzer) möchte das Stück hier als Gleichnis eines heutigen Politikers lesen. Es erscheinen Figuren in historischen Gewändern und modernen Kleidern, damit wird die Zeitlosigkeit in eindringlicher Weise verdeutlicht. Und im Dogenpalast herrschen immer noch die Geister der Vergangenheit. Diese gespenstischen Momente werden bei David Hermanns Inszenierung einmal mehr deutlich. Als psychologisch durchaus geschickt aufbereitete Reflexion der Macht werden in dieser subtilen und auch bildgewaltigen Inszenierung die Seelen beschädigt. Diese Herrschaftsarchitektur manifestiert sich in den palastartigen Gebäuden, die sich auf der drehbaren Bühne in geheimnisvoller Weise umwandeln. Fantasiemittel stimulieren so zahlreiche Zeitsprünge, die sich stets verdichten. Die Fresken des Regierungspalastes werden lebendig. Simon erinnert sich an sein gescheitertes Privatleben in historischen Kostümen, die ihn an den Wänden des Palastes umgeben.

Im ersten Finale zitiert David Hermann Leonardos „Abendmahl“. Und der religiöse Aspekt des Werkes wird bei dieser interessanten Aufführung stets ernst genommen. Man spürt auch, dass sich Genua im Bürgerkrieg befindet. Simon hat heimlich Maria Fiesco geheiratet, die stirbt. Gabriele hat ein persönliches Rachemotiv gegen Boccanegra, denn dieser verurteilte seinen Vater zum Tode. Diese „Komtur“-Szene erinnert sogar an Mozarts „Don Giovanni“. Und die Vorgeschichte wird gleichsam zur Erinnerung eines Politikers. Die ganze Inszenierung ist so aus einem besonderen Raum heraus entwickelt. Die alten Gemäuer haben Geschichte absorbiert. Und die aktuell politisch handelnden Personen werden dadurch massiv beeinflusst.

Bei Verdi spielt der Prolog 25 Jahre vor dem ersten Akt, dadurch kann auch der Regisseur den Zeitsprung vermeiden. Diese Vorschichte wird von Hermann als alptraumartiger „Flashback“ erzählt, das ist ein spannender Ansatz. Boccanegra sitzt allein an seinem Schreibtisch, plötzlich hört er Stimmen aus der Vergangenheit. Wenn ihn die Halluzination überfällt, steht der Mensch plötzlich in einem anderen Kostüm da. Es ist ein Trauma, das Simon mit seiner Frau Maria durchlebt. Die Ratsszene wird von David Hermann auf der normalpolitischen heutigen Ebene gesehen. Und die Masse bricht als Frühchristen herein. Nur Boccanegra bleibt modern und versucht den christlichen Gedanken durch Humanität zu überhöhen. Sein Messianismus ist für Hermann zwanghaft, das kommt bei der Aufführung auch explosiv zum Vorschein. Dass er seine Tochter wiederfindet, es aber nicht öffentlich machen kann, lässt ihn für David Hermann bemitleidenswert erscheinen. Und Simons Tochter Amelia erscheint hier als Terroristin. Simon Boccanegra ist dabei wie Rigoletto, der seine Tochter verheimlicht. Die Todfeindschaft zwischen Simon und Fiesco ist für Hermann nur eine Behauptung. Auch Gabrieles und Amelias Liebesbeziehung erscheint bei dieser Inszenierung von Anfang an gebrochen. Die Sterbeszene Simons inszeniert David Hermann als eine eindringliche Aufsicht auf eine Welt von oben. Und wenn Adorno am Ende den Dogentitel erhält, wird er ein anderer Mensch. Es sind also immer wieder die seelischen Verwandlungen, die diese Regiearbeit zum Ereignis machen. Da gibt es auch kaum szenische Brüche, weil David Hermann die komplizierten Handlungsfäden geschickt zusammenhält.

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Ks. Barbara Dobrzanska (Amelia Grimaldi), Seung-Gi Jung (Simon Boccanegra)
Foto: Falk von Traubenberg

Musikalisch kann diese Aufführung ebenso klar überzeugen. Schon beim Vorspiel entfaltet Johannes Willig als Dirigent eine epische Breite, wobei die düstere Grundstimmung durch das Fehlen der Frauen- und Tenorstimmen verstärkt wird. Parlando und Arioso werden von den Sängern präzis herausgearbeitet. Und auch die farbige Naturstimmung des ersten Aktes kommt nicht zu kurz. Hier erscheint das Erwachen des Tages über dem Meere in grandioser Form. Barbara Dobrzanska (Sopran) vermag als Maria alias Amelia Grimaldi die Natur- und Seelenstimmung glänzend herauszuarbeiten. Dabei wird sie von der Badischen Staatskapelle unter Johannes Willig harmonisch nie zugedeckt. Die hochtragischen Elemente dieses Werkes vereinen sich aber ebenso in der Rolle Simon Boccanegras, die Seung-Gi Jung mit voluminösem Bariton und großem Charakterisierungsreichtum ausfüllt. Gerade seine Stimme besitzt hier viele Klangfarben, auch wenn die Verzweiflung des alten Mannes nicht immer klar hervorbricht. Konstantin Gorny agiert mit des Basses Grundegewalt als Jacopo Fiesco, während Rodrigo Porras Garulo als Gabriele Adorno mit strahlkräftigem Tenor virtuos agiert. Nicholas Brownlee interpretiert Paolo Albiani mit kernigem Bariton, während Senator Pietro von Yang Xu mit bewegender Emphase verkörpert wird. Ilkin Alpay als eine Magd Amelias und Anna Köpnick als Simons Frau Maria runden diese faszinierende Sängerriege mit fesselnden Rollenporträts ab. Ulrich Wagner hat die Chöre in packender Weise einstudiert. Dialog und Deklamation werden bei Simons Partie großgeschrieben, es gibt keine einzige Soloarie.

Gleichwohl geht das Cabaletta-Thema in Boccanegras Duett mit seiner eben wiedergefundenen Tochter („Figlia! a tal nome io palpito“) unter die Haut.  Mit fast ausdrucksloser Gesangslinie und dennoch subtil enthüllt Seung-Gi Jung als Simon Gabriele, dass Amelia seine Tochter ist. Und erst im letzten Versöhnungsduett mit Fiesco vereinigt sich Boccanegras Stimme mit der eines anderen. Da herrscht dann wirkliche gesangliche Leidenschaft, die Johannes Willig mit der Badischen Staatskapelle noch anheizt. Prägnante Ausdruckskraft zeichnet den Jacopo Fiesco von Konstantin Gorny als Basso profondo aus. Seine berührende Cavatine „Il lacerato spirito“ ist ein Klagelied für seine tote Tochter. Diese Moll-Dur-Romanze mit der Verwendung des Quartsext-Akkordes im Dur-Teil gewinnt bei dieser Wiedergabe eine erstaunliche Konzentration. Die Emotionen und Leidenschaften kochen bei dieser Interpretation also immer wieder in gewaltiger Weise hoch, auch die pantatonische Anlage der Melodie wird suggestiv nachgezeichnet. Das Aufbegehren Fiescos hat etwas von der unmittelbaren Gewalt der „Egmont“-Ouvertüre Beethovens. Auch der Stil der Grand Opera mit einem modulationsreichen Mittelteil und vollständiger Reprise mündet in eine überwältigende Klangfülle, die das gesamte Ensemble erfasst. Die erregte Musik geht direkt in die Stretta über. Und der Hochzeitschor erscheint als Trio in Dur, wobei der sichere Bühneninstinkt auch hier gefällt. Neben dem verschwörerischen Dialog von Paolo und Pietro fasziniert auch das abschließende Concertato mit dem gegenständigen Rhythmus im Bass und dem Höhepunkt des Quartsext-Akkordes. Bei Johannes Willigs Dirigat kommt es zu zahlreichen Glanzpunkten und elektrisierenden Momenten. Es ist auch die Ehrenrettung für ein unterschätztes Meisterwerk.

Ovationen, Beifallsstürme.

Alexander Walther    

 

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