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KARLSRUHE/ Badisches Staatstheater: SIEGFRIED. Premiere

11.06.2017 | Oper

 Premiere von Richard Wagners „Siegfried“ im Badischen Staatstheater Karlsruhe
BÜHNENRAUM ALS RUMPELKAMMER DER GESCHICHTE
Premiere von Richard Wagners „Siegfried“ am 10. Juni 2017

Der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson kehrt in seiner Inszenierung von Wagners „Siegfried“ zu Wagners isländischen Quellen in der Edda zurück. Der Konflikt zwischen Jung und Alt steht im Mittelpunkt des Geschehens, wobei Siegfried als sensibles Kind gesehen wird, das als pubertierender Junge die Gewalt als Notwehr gebraucht. Es ist ein Konflikt mit der Vätergeneration von Mime, Wotan und Fafner. Die Ebene der Ideologien berührt Arnarsson ebenfalls hinsichtlich von Mimes Lügenwelt und Wotans scheinliberaler Gesinnung. Zuletzt erfolgt Siegfrieds gewaltige Befreiung aus dem Gefängnis, in das ihn Mime und Wotan gesteckt haben. Bei der Entdeckung von Brünnhilde zerbricht er eigenhändig das riesige Gebäude mit den vielen Schwertern und Ritterrüstungen. Den Möchtegern-Diktator Mime, der sich wie sein Bruder Alberich eine Königskrone aufgesetzt hat, tötet er mit einem Gifttrank. Wenn Siegfried und Brünnhilde zuletzt ein Liebespaar werden, entdecken beide eine Schönheit, die sich in großen Landschaftsaufnahmen der isländischen Bergwelt manifestiert (Kostüme und Video: Sunneva Asa Weisshappel). Der Bühnenraum von Vytautas Narbutas weitet sich dabei ins Endlose und Ungeheure mit einer tiefschwarzen Aura.

Erik Fenton (Siegfried), Matthias Wohlbrecht (Mime)
Erik Fenton (Siegfried), Matthias Wohlbrecht (Mime). Copyright: Falk von Traubenberg

Das traditionelle Theater bekommt als Kontrast postdramatische Züge, die sich in unheimlicher Weise verdichten. Man sieht die leuchtende Kuppel des Berliner Reichstagsgebäudes, unter der sich das gewaltige Skelettgerüst des Drachens Fafner befindet, dessen menschliches Gesicht aus dem Mittelpunkt herausragt. Siegfried ersticht den Drachen mit dem Schwert von unten. Donnern und Lichtflimmern begleitet diese Szene in gespenstischer Weise. Peter Weirs Film „The Truman Show“ hat Arnarsson ebenfalls angeregt. Fremdbestimmung und Manipulation kooperieren mit Momenten der Heiterkeit und Komödie, die sich insbesondere bei den Auseinandersetzungen von Alberich und Mime zeigen, die sich beim Schachspiel die Köpfe zerbrechen. Die Entfesselung der Fantasie soll sich hier aufs Publikum übertragen, was mit Abstrichen gelungen ist. Selbst die archaische Seele der Vulkane kann sich stark behaupten. Es brodelt unter der Oberfläche, die Figuren entsteigen der nebelumwobenen Erde aus runden Verliesen. Siegfried wird von Wotan aber auch konsequent zum Drachentöter erzogen.

Theater ist für Arnarsson eine Kollektivkunst, die alle ansprechen soll. Das wird in dieser vielschichtigen Inszenierung deutlich, die visuell oftmals neue Wege geht. Dieser gelenkte Prozess soll ganz bewusst Freiräume schaffen. Man sieht eine Galerie auf der oberen Empore, die mit ihren Statuen an die Fassade eines Schlosses erinnert. Neben dem Waldvogel werden an Seilen immer wieder verschiedene mythische Personen hinunter- und heraufgezogen, wie das etwa auch Hansgünther Heyme bei seiner „Rheingold“-Inszenierung gemacht hat. Und mit den Requisiten und Einrichtungegegenständen erkunden die Sänger die Lebendigkeit ihrer Figuren. Sunneva Asa Weisshappel sprengt gleichzeitig die Grenzen des Systems. Der Drachen ist in die Bühne eingebaut. Zwei Generationen treffen schroff aufeinander, der Hintergrund leuchtet beim Kampf Siegfrieds mit dem Drachen feuerrot. Mime und Siegfried kommen aus dem Raum und verschwinden wieder im Raum. Der Generationskonflikt ist bei Thorleifur Örn Arnarsson die ästhetische Verlagerung des alten gegen das neue Theater. Der brutale Teenager wehrt sich gegen den Elder Statesman. Wotans Untergang wird so besiegelt. Das zeigt sich in der Erda-Szene zwischen Himmel und Erde als letzter Begegnung. Der Regisseur empfindet auch Mitleid mit Wotan. So hat er die zweite Szene des dritten Aktes als Theatermetapher inszeniert. Er steht auf keiner Seite, sondern ist traurig, dem Ende einer Epoche zusehen zu müssen. Er spricht jedoch auch mit großer Liebe von den Göttern – vor allem in den Video-Sequenzen der riesigen Berglandschaft. Es gibt in dieser bildgewaltigen Inszenierung Welten, die sich an einzelnen Momenten und an der Gesamtheit entzünden. Das zeigt sich auch daran, dass Siegfried laufend neue Kostüme ausprobiert. Das ganze Stück spielt in einem Käfig, der erst gesprengt wird, als Siegfried sein Märchen durchlebt hat. Stellenweise hat auch Karl Marx mit seiner Schrift „Das Kapital“ diese Produktion beeinflusst.

Der emotionale britische Dirigent Justin Brown macht die Aufführung zu einer musikalischen Sternstunde. Schon der Abwärtsschritt der Terzen im Vorspiel bei Mimes vergeblichen Mühen gelingt sehr präzise, da wird nichts dem Zufall überlassen. Das Siegschwertmotiv meldet sich trügerisch. Mit erhabenem Ernst erklingt das Siegfried-Motiv, später wird ein Hornist im Narrenkostüm auf der Bühne erscheinen, um Siefgried beim Kampf mit dem Drachen aus der Reserve zu locken (ausgezeichnet: Dominik Zinsstag). Im Abwärts-Quartenschritt manifestiert sich das Motiv der Kraft sehr robust. Erik Fenton ist ein stimmgewaltiger Siegfried, der die schwindelerregenden Höhen seiner Partie mühelos erklimmt. Grandios ist der Mime von Matthias Wohlbrecht, der seiner Mahnung zur Dankbarkeit im Zornmotiv Ausdruck verleiht. Gleichzeitig blüht das Motiv der Familienliebe leuchtend auf und strahlt außerdem auf Siegfrieds Erinnerung an die Mutter aus. Da vollbringt Justin Brown mit der Badischen Staatskapelle präzise Detailarbeit. Das Wälsungen-Motiv erhält eine klagende Erweiterung, die sich tief einprägt. Stürmisch erfolgt das geradezu revolutionär interpretierte Freiheitslied. Renatus Meszar vermag dem Wanderer einen sonoren Unterton zu geben, der aber auch zu leidenschaftlichen Aufschwüngen fähig ist. Dynamische Steigerungen werden in kunstvoller Weise herausgearbeitet. Schmiede-, Ring- und Herrscher-Motiv vereinigen sich zum betörenden Klangkosmos mit Riesen-Rhythmus, Drachen-Motiv und Walhall-Harmonien. Das Werdemotiv meldet sich gleichzeitig höchst geheimnisvoll. Forsch schreitet das Machtmotiv aufwärts – und dies erfolgt auch bei Jaco Venters dämonischem Auftritt als Alberich, der dem buckligen Bruder äusserlich so ähnlich ist. Im thematischen Gefüge der Loge-Motive zeigt sich Mimes Todesangst, die Matthias Wohlbrecht hervorragend verkörpert. Die Spannung steigert sich von Minute zu Minute. Tuben und Posaunen verkünden das ungeheure Heranwälzen des Drachens mit drohender Gebärde.

Mit leidenschaftlichen Klängen der Freiheitsliebe und einem ungestümen Zornmotiv kehrt Erik Fenton als Siegfried zurück. Beim Schmelzlied „Nothung! Nothung! Neidliches Schwert!“ gewinnt seine Stimme sogar noch mehr Format. Auch das Motiv des Schlafzaubers hat hier eine suggesitve Wirkungskraft. Der übermäßige Dreiklang des Schmelzliedes triumphiert. Hass- und Wut-Motiv explodieren bei Jaco Venter als Alberich im zweiten Akt in robuster Weise. Renatus Meszar meisselt als Wanderer mit tragfähigem Timbre Sorge-, Vertrags- und Speer-Motiv mit glühender Emphase heraus. Eine Dissonanzenhäufung begleitet Siegfrieds Frage nach Fafners Herz. Avtandil Kaspeli kann Fafner ein pechschwarzes gesangliches Fundament geben. Das Siegmund-Motiv blitzt in Siegfrieds Gespräch mit Mime ebenfalls hervor.

Heidi Melton (Brünnhilde)
Heidi Melton (Brünnhilde). Copyright: Falk von Traubenberg

Das Anwachsen des Waldwebens bringen die Streicher der Badischen Staatskapelle ungemein klangschön zu Gehör. Das Abwärtsschreiten der Quartenschritte ist in den Flötenpassagen herauszuhören. Nach dem Siegfried-Motiv ertönt das Drachen-Motiv in den Tuben umso bombastischer. Als der Waldvogel in der facettenreichen Verkörperung von Uliana Alexyuk davonfliegt, studiert Siegfried fieberhaft eine Partitur, die ihm als richtungsweisendes Hilfsmittel dient. Er spielt auch nicht auf der Schalmei, sondern bedient ein altes Klavier, wobei sich die Büste Wagners in gespenstischer Weise dreht. Das sind witzige Regieeinfälle. Das Ritt-Motiv im dritten Akt mit Wotans Entsagung kommt in machtvollen Schritten daher, es folgt ein ohrenbetäubendes Donnergrollen. Eine wilde Entfesselung der Natur. Zwischen den Wanderer-Akkorden wogt das Werde-Motiv aufwühlend auf und nieder, was Justin Brown mit der Badischen Staatskapelle sehr gut erfasst. Bei Erdas Erscheinung wirkt die beklemmede Atmosphäre auf dem Ton a. Katharine Tier kann Erda eine intensive Ausdruckskraft verleihen. Auch das Hingebungs-Motiv lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Wotans emporbrechende Liebe zu Siegfried tönt hier deutlich aus dem Wälsungen-Motiv hervor. Das Ersterben der Klangmasse bis hin zu den matten Kantilenen der Geigen nach den Todverkündigungs-Assoziationen bleibt tief im Gedächtnis. Nach dem Mahnruf der Posaunen begibt man sich sphärenhaft nach Cis und in das schwebende E-Dur. Glitzernde Harfenpassagen und zitternde Triller der hohen Geigen begleiten die Erweckung Brünnhildens, der Heidi Melton eine zielsichere Höhe und tragfähige gesangliche Mittellage verleiht verleiht. Zusammen mit Erik Fenton als Siegfried treibt sie das Jubel-Motiv zu einer ekstatischen Höhe, die von Gipfel zu Gipfel stürmt – ganz so wie das liebende Paar in der Video-Sequenz zwischen den isländischen Bergen (Videodesign: Achim Goebel). Die Quartenschritte des Kraft-Motivs belebt Justin Brown mit der Badischen Staatskapelle sehr detailgenau. Heidi Melton kann als Brünnhilde auch dem Hingebungsmotiv viele differenzierte Klangschattierungen entlocken. Aber ihre Stimme ist hinsichtlich des Ausdrucksspektrums noch entwicklungsfähig. Zuletzt gab es großen Jubel für alle Beteiligten (Kostümmitarbeit: Anna Hostert). 

Nur den Wald hat man bei dieser Inszenierung vermisst.

Alexander Walther           

 

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