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KARLSRUHE/ Badisches Staatstheater: SERSE – Wiederaufnahme der Händel-Festspiele

Händel sucht den Superstar: Barockes Spektakel als Las Vegas Soap Opera - „Serse and the Gang“

23.02.2020 | Oper


Foto: Felix Grünschloss

KARLSRUHE / Badisches Staatstheater: SERSE, Wiederaufnahme anlässlich der Internationalen Händel-Festspiele 2020; 21.2.2020

 

Händel sucht den Superstar: Barockes Spektakel als Las Vegas Soap Opera – „Serse and the Gang“

 

Die Mächtigen und die Schlauen: So sind viele Händel Opern gestrickt. Einer will alles, die Schlauen hindern ihn daran und kommen dennoch schlecht weg. Lieto fine hin oder her. Ganz schön verdorben ist die ganze Sippschaft rund um Serse. Eigentlich ist dieser Serse ein persischer König, der gleich zu Beginn der Oper das Surreale der Existenz mit einem Liebesständchen an eine Platane auf die Spitze treibt (alle kennen den zugehörigen Händel Hit „Ombra mai fu“). 

 

Regisseur Max Emanuel Cencic macht aus der Figur einen allmächtigen Medienmogul im Las Vegas der 80-er Jahre. Köstlich persifliert, geben sich die Protagonisten in dem Stück ausgiebig allen Lastern hin. Da werden Poolpartys gefeiert, gesoffen, gehurt und intrigiert, bis der Arzt kommt. Cencic schildert die Idee der Oper folgendermaßen: „Hier ist ein König, der alles hat. Sein Schicksal ist es, König zu sein. Sein Schicksal ist es nicht, zu lieben. Daneben steht sein Bruder, dessen Schicksal es ist, nicht König zu sein, aber dafürLiebe zu empfinden und zu empfangen. Beides zu begehren ist Sünde. Das heißt, der Mensch, der sein Schicksal ändern will, fällt der Todsünde anheim.“

 

Die  um sich selbst und ihre Unersättlichkeit kreisende, verrottete Gesellschaft ist am Ende nur scheinbar glücklich. Auch wenn Serse Romilda (Lauren Snouffer mit wunderbar lyrischem Sopran und gestochen präzisen Verzierungen), die Freundin seines Bruders Arsamene (als Sänger Max Emanuel Cencic beweist einmal mehr, dass er im dramatischeren Fach der Altisten weiterhin mit unschlagbar schönem Bronzeton aufwarten kann) nicht bekommt, bedrückt das dekadente „immer weiter so“ einer als solchen systemisch versteinerten Elite. 

 

Cencic zieht mit „Serse“ eine große Bühnenshow ab, bei dem das gesamte Film- und Musikbusiness gehörig auf die Schaufel genommen wird. In den großartig realistischen Bühnenbildern des Rifail Ajdarpasic und den farbig tuntigen Kostümen der Sarah Rolke (Serse darf als ein Liberace-Doppelgänger sein schrilles Unwesen treiben) werden die einzelnen Charaktere messerscharf konturiert. Gerade durch das ständige Überzeichnen der Figuren darf das Publikum das Komische der Situationen auskosten und dennoch gleichzeitig irgendwie Mitleid mit all den im Grunde armen „Würsteln“ haben, die die Szene bevölkern. 

 

Da finden wir zu den bereits Genannten Atalanta (Katherine Manley mit schlank markantem Mezzo in einer umwerfenden Studie eines eifersüchtigen hässlichen Entleins), die es auf Arsamene abgesehen hat und ihrer Schwester Romilda weder Schönheit noch Begehrtwerden gönnt. Der verfressene Elviro, Kumpel Arsamenes (im Ensemblemitglied Yang Xu ist ein fabelhafter jungen Bariton zu entdecken, der mit seiner Spielfreude sicher bald als Leporello oder Figaro Furore machen wird) bevölkert ebenso hüftschwingend die Szene der Celebrities wie Ariodate, Vater Romildas und Plattenproduzent. Der in Wien lebende russische Bass Pavel Kudinov ist eine wahre Luxusbesetzung, ist Kudinov doch in seiner steilen Karriere schon längst bei Rollen wie Gurnemanz und Philipp II angelangt. 


David Hansen, Max Emanuel Cencic. Foto: Felix Grünschloss

 Die Titelpartie wird in diesem Jahr nach Franco Fagioli bei der Premiere 2019 vom australischen Countertenor David Hansen gesungen. Als Mr. Extravaganza passt Hansen in jeder Hinsicht ideal in das Regiekonzept und legt ein Feuerwerk an ausgelassener Action hin. Stimmlich ist der Sänger letztlich trotz beeindruckender Phrasen in der oberen Mittellage eine Fehlbesetzung. Für die von Stimmumfang enorm anspruchsvolle Titelpartie  der Oper fehlt ihm die nötige Höhe, in der extremen Tiefe ist er überhaupt nicht zu hören. Ein unsauberes Anschleifen der Akuti fällt da ebenso unangenehm auf wie durch Überbetonungen zerrissene Gesangslinien. Stimmlich ebenso enttäuschend die Amastris der Altistin Ariana Lucas. Vielleicht hatte der Wagner-geeichte Publikumsliebling nur einen schlechten Tag, auf jeden Fall hat die Stimme der Künstlerin an diesem Abend nicht getragen und wollte für mich daher auch die Figur nicht richtig über die Rampe kommen.

 

Natürlich garnierte Händel seine drittletzte Oper mit jeder Menge an herrlichster Musik. Das Karlsruher Händel Festival hat das Glück, mit dem Händel-Festspielchor und den Deutschen Händel Solisten über erstklassige Alte Musik Institutionen zu verfügen. Der für mich derzeit beste Händel Dirigent der Welt, George Petrou, holt aus der reichen Partitur alle kokette Rasanz, das gesamte Arsenal an moussierend aufgepeitschten Emotionen. Dabei ist „Serse“ melodienverliebter, das Rokoko mit ihrer Sentimentalität und gegenüber dem Hochbarock gefühlten Einfachheit vorwegnehmend. Große kontrapunktische Schau-Her Artistik wird man bei Serse vergebens suchen. 

 

Insgesamt ist von einem prallen Theaterabend zu berichten, an dem kein gelacktes Klischee der amerikanischen Unterhaltungsindustrie ausgelassen wird. Dem Publikum hat es gefallen, das gesamte Ensemble, Orchester und Dirigent wurde mit einheitslauten Standing Ovations bedacht. 

 

Schade, dass gerade diese optisch so attraktive Produktion, in der Humor und Tiefgang, Klamauk und bittere gesellschaftliches Satire auf so einzigartige Weise Hand in Hand gehen, nicht auf Video gebannt wird. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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