Am Micro Lauren Snouffer, (c) Falk von Traubenberg
Karlsruhe: SERSE 21.2. 2020 Wiederaufnahme
Die stark bejubelte ‚Serse‘ (Xerxes)-Aufführung des letzten Jahres wurde jetzt bei den G.F Händel-Festspielen wieder aufgenommen und kam im ausverkauften Haus beim Publikum bestens an. In der Regie des Countertenors Max Emanuel Cencic‚, der wieder die Hauptrolle des Arsamene übernahm, wird quasi ein Händel Musical Feuerwerk abgebrannt, das bei Cencic nicht mehr im antiken Persien stattfindet, sondern in der US-Spielerstradt Las Vegas situiert ist. Und Perserkönig Serse mutiert zum vergötterten Musicalstar, sein Heerführer Ariodate zu seinem Plattenproduzenten, dessen Tochter Romilda er in seiner Show als Jungtalent präsentiert und mit ihr eine Affäre anbahnen möchte. Romildas Schwester Atalanta unterstützt ihn dabei, da sie selber auf Romildas Freund Arsamene, den Bruder Serses, scharf ist und ihr ihn ausspannen möchte. Also ein Jagen nach reziproker Liebe im engsten Familienbverband. In seiner Villa mit Pool bedrängt Serse Romilda, aber diese will nicht, obwohl sie bei Serse die Aussicht auf eine Karriere lockt. Serses alte Freundin und Haushälterin Amastre spioniert Serse als Praktikantin der Plattenfirma hinterher, als er mit Ariodate eine neue Marketingkampagne bespricht. Auf dem Weg zum Fotoshooting wird sie Zeugin eines Telefonats, in dem Serse seinem Anwalt seine Heirat mit Romilde mitteilt. In einem Fastfoodladen von Las Vegas trinken Amastre, Arsamene und sein Freund Elvino ihren Frust weg, die Schwestern shoppen. Atalanta inszeniert mit einem Elvino abgeluchsten Brief und kompromittierenden Fotos eine Intrige gegen Arsamene, Romilde rächt sich, indem sie mit Serse schläft. Serse ruft Atalanta an und erzählt ihr brühwarm, Arsamene würde sie nie lieben, worauf diese verzweifelt. Auf einer Celebrity Party in einer angesagten Bar ist Serse high. Wieder will er Romilda vergewaltigen. Amastre befreit sie, und die beiden freunden sich an. Nach der Party gesteht Atalanta ihre Lügen ein. Trotzdem bespricht Serse mit Ariodate seine Hochzeit mit Romilda. Dieser mißversteht ihn aber und verheiratet Romilda und Arsamene. Serse inszeniert eine große Medienhochzeit, bei der nur die Braut ausbleibt. Dagegen erscheint Amastre und erzählt den Reportern, Serse hätte sie jahrelang mißbraucht. Er muß Amastre heiraten, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Atalanta macht sich erneut auf die Suche nach Männern.
Cencic‘ Inszenierung funktioniert auch als Neudeutung, da sich Liebeshändel und Haß-Explosionen im Prinzip seit der Antike ja nicht geändert haben. Händel selber hat für diese seine späte Oper (Uraufführung 1738 King’s Theatre Haymarket, London) mit der überkommenen Opera seria mit dreiteiligen Arien gebrochen und dafür über 40 Arietten komponiert, die, nur von kurzen Rezitativen unterbrochen, ineinander übergehen. Nur Serse selber hat in den drei Akten große da-capo-Arien vorzutragen, die aber auch durch textliche und auch musikalische Späße und Ironien kontaminiert werden. Zwar war ‚Serse‘ in der niedergehenden englischen Oper kein großer Erfolg beschieden, erlebte aber im 20.Jahrhundert eine breite Renaissance.
Alle gesungenen Larghetti, am Anfang natürlich das berühmteste „Ombra mai fu“, wurden in der Wiedergabe der Deutschen Händel-Solisten unter dem griechischstämmigen George Petrou mit hoher Sonorität und Plastizität wiedergegeben. Auch wirkt die Orchesterbehandlung hier noch mehr als bei dem vorausgegangenen Tolomeo pointierter und sehr stimmig gespielt und dargeboten. Musikalisch also ein wirkliches Händel-Highlight.
In der Inszenierung sind alle Locations (zuletzt eine schreiende Hochzeitskapelle) dieses L.V. auf die große Drehbühne gestellt, gehen teils ineinander über (Bühne: Rifail Ajdarpasic). Die Kostüme ganz im Stil der Hippie- und Rock-Generation sind bunt verspielt & creiert von Sarah Rolke (Mitarbeit: Wicke Naujocks). Choreographische Elemente werden von David Laera hereingetragen.
Den Elviro gestaltet mit Baßbariton Yang Xu und unterstützt damit tiefen Regionen der Sängerseite, die sonst gegenüber den vielen Sopranen/Countertenören im Nachteil wäre. Ihm zur Seite der Russe Pavel Kudinov als Ariodate, ein Schwarzbaß erster Güte, der auch seine wichtige Position in der Intrige genießt. Amastre, die ungeliebt an der Seite ihres Helden verbleibt, ist Ariana Lucas mit schönstimmig cremigem Koloraturalt. Katharine Manley singt mit glasklarem dabei angenehm leichfüßigem Sopran die Atalanta, in der Regie als etwas ältlich mit Brille, aber nicht unattraktiv gezeichnet. Mit Ausnahmesopran und -erscheinung kann Lauren Snouffer als Romilda punkten. Ihre Koloraturen erscheinen wie gemeißelt. Den wunderschönen Countertenor des Arsamene verströmt Max Emanuel Cencic, in der Rolle, in der er als Sieger hervorgeht. Den Serse gibt der australische Countertenor David Hansen mit dem ganzen Esprit eines Rockmusicalstars und mit seinem wie Kaskaden sprühenden unvergleichlich strahlendem Countersopran.
Friedeon Rosèn