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KARLSRUHE/ Badisches Staatstheater: GÖTTERDÄMMERUNG – APOKALYPSE IN EINER KAHLEN WELT. Premiere

16.10.2017 | Oper

Premiere „Götterdämmerung“ von Richard Wagner im Badischen Staatstheater Karlsruhe

APOKALYPSE IN EINER KAHLEN WELT

Richard Wagners „Götterdämmerung“ im Badischen Staatstheater am 15.10.2017/KARLSRUHE

Dilara Baştar (2. Norn / Wellgunde), Agnieszka Tomaszewska (Woglinde), Heidi Melton (Brünnhilde), Katharine Tier (1. Norn / Waltraute / Flosshilde)
Dilara Baştar (2. Norn / Wellgunde), Agnieszka Tomaszewska (Woglinde), Heidi Melton (Brünnhilde), Katharine Tier (1. Norn / Waltraute / Flosshilde). Copyright: Mathias Baus

„Weißt du, wie das wird?“ Und nun wurde der Zyklus „Der Ring des Nibelungen“ von Wagner durch vier verschiedene Regisseure mit Tobias Kratzers Regiearbeit beendet. Gewisse Anspielungen an die vorangegangenen Teile finden sich in den Video-Sequenzen (Bühne und Kostüme: Rainer Sellmaier). Ein roter Vorhang wird immer wieder heruntergelassen, auf dem in großen Lettern „The End“ steht. Tobias Kratzer legt bei seiner Inszenierung auf eine schlichte Ausstattung großen Wert. Die Apokalypse in einer kahlen und kalten Welt nimmt so ihren unaufhaltsamen Lauf. Die Nornen werden zu drei jungen Männern mit Frauenstimmen, die das Ende der Welt vorhersagen. Sie führen hier auch in subtiler Weise Regie. Die Handlung wird hier permanent vorwärtsgetrieben, wobei es bei der visuellen Umsetzung manche Schwachstelle gibt. Schmucklose und abstrakte Räume herrschen vor.

Zunächst sieht man Siegfrieds und Brünnhildes Schlafgemach, dessen fast schon monumentale Pracht hervorsticht. Das dialogische Prinzip soll laut Kratzers eigenen Worten zügig vorangetrieben werden. So legt man auf konzentrierte Räume ganz besonderen Wert. Die drei Regietypen der vorangegangenen Teile werden mit den Nornen verschmolzen. Es ist eine komplizierte Metapher für die Weltläufte, deren dunkles Ende man ahnt. Und die Geschichte dieser Nornen wird von Tobias Kratzer konsequent weitergespielt. Sie kennen den tragischen Ausgang der „Götterdämmerung“ und versuchen, das Schicksal aufzuhalten. Sie eignen sich sogar die Rollen Waltrautes und der Rheintöchter mit Schwimmflossen an. Das ist ein interessanter neuer Gedanke. Diese Nornen sind bei Kratzer also aktive Mitspieler, keine Karikaturen. Es sind drei Kollegen, die so verschieden sind, dass sie sich nie einigen können. Die drei Nornen nehmen bei dieser Inszenierung also eine zentrale Rolle ein, weil sie metaphorisch für drei Haltungen zur Welt stehen. Ein gewisser Humor fehlt insbesondere bei der Szene zwischen Brünnhilde und Siegfried gleich im ersten Akt nicht. Ein großer Spiegelsaal verdeutlicht die Gibichungenhalle in schwarzem Ambiente, die das ganze Geschehen zwischen Siegfried, Gunther und Hagen in ein noch schwärzeres Licht taucht.

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Armin Kolarczyk (Gunther), Daniel Frank (Siegfried), Heidi Melton (Brünnhilde. Copyright: Mathias Baus

Im zweiten Akt sieht man dann ein lebendes Pferd auf der Bühne stehen, Gunther fährt mit Jeep ein und Brünnhilde erscheint per Video in Großaufnahme. Dadurch wird der dramaturgische Spannungsbogen der Inszenierung aufgelockert. Der Tarnhelm wird hier oft eingesetzt. Zunächst ist er ein harmloses Spielzeug von Brünnhilde und Siegfried, dann wächst ihm plötzlich eine tragische Funktion zu. Diese Identitätsverweigerung zieht sich konsequent durch Tobias Kratzers gesamte Inszenierung. Er kommt dabei öfter als Wagner vorgesehen zum Einsatz. Ohne futuristische Technik geht hier nichts. Beim Vergessenheitstrank ist es ähnlich – er wird als Wirkungsmacht erzählt, als Traumata der Psychoanalyse. In der „Götterdämmerung“ wird mit dem Schwert aus „Walküre“ und „Siegfried“ nicht mehr gekämpft, aber es kommt im Bett bei Brünnhilde zum Einsatz. Nothung ist in der „Götterdämmerung“ ein klarer Ausweis Siegfrieds. Siegfried lebt eine offene Sexualität, während Gunther und Hagen sehr mit ihrer Männlichkeit hadern. Im zweiten Akt sieht man eine traumatisch fehlgeleitete Männlichkeit, die nicht aufzubrechen ist. Die beiden Politiker Gunther und Hagen sehen sich als defizitär. Das Pferd wird Ende des zweiten Aktes schließlich geschlachtet und liegt tot auf der Erde – als Andeutung von Siegfrieds Tod. Gunther, Hagen und Brünnhilde vereinigen sich rauschhaft im Racheschwur, tauchen praktisch ins Blut des Pferdes ein. Für Hagen stellt dieser Hengst eine permanente Provokation dar, die es zu besiegen gilt. Für Brünnhilde gab es nur drei Liebeserfahrungen im Leben – der Vater, das Pferd und Siegfried. Sie nimmt das Pferd Grane als Liebesbeweis für Siegfried mit. Als sie für den blutigen Racheschwur auch von Grane Abschied nimmt, bedeutet dies den Abschied von ihrer Unschuld. Und wenn Brünnhilde am Ende Grane ins Feuer führt, verbrennt sie die Seiten von Wagners Partitur in einer Stichflamme am Bühnenrand. Der Wechsel von Komödie und Tragödie zeigt sich auch darin, wie das Pferd zurückschreckt, wenn Hagen sich nähert – und wie es reagiert, wenn Siegfried es beruhigt.

Im ersten Akt sieht man noch Boulevardtheater, im zweiten Akt erinnert der Pferdekörper an eine Installation. Und im dritten Akt wird kurz vor Siegfrieds Ermordung durch Hagen der Wald zitiert. Die Mannen stellen Bäume auf, um Siegfried in eine Falle zu locken. Assoziationen zum Wald von Birnam aus Shakespeares „Macbeth“ tun sich auf. Alberich ist hier die Kehrseite des Rings. Er ist ein auf dem Boden herumkriechender Schatten seiner selbst. Die Wunde aus den vorangegangenen Teilen gibt Alberich an seinen Sohn als Traumata weiter. Hagen ist durch Alberich mit den anderen Teilen verbunden, aber Gunther und Gutrune sind neue Figuren. Gerade dieses komplizierte Netzwerk hätte man in der Inszenierung noch deutlicher entwirren können. So bleibt manches an der Oberfläche. Die Lebenswelt der Zuschauer spiegelt sich bei dieser Inszenierung im Bühnenbild. Sie werden praktisch in das Geschehen in suggestiver Weise hineingezogen. Man sieht gleich zu Beginn der Inszenierung eine Art Honeymoon-Suite, wo das Liebespaar ein großes Bett und gutes Essen besitzt. Brünnhilde ist hier eindeutig eine Kriegerin auf Urlaub. Sie ist ein Mensch in der Revolte. Das recht schmucklose Finale ist bei Kratzer ein Stück über das Stück – Brünnhilde erzählt ihre Geschichte selbst zu Ende. Sie weist den Nornen drohend den Platz zu, der ihnen gebührt. Bei Kratzer besitzt das Stück eigentlich kein Ende. Brünnhilde rebelliert gegen ihren Vater und den Schöpfer. Trotzdem bleiben in Tobias Kratzers Inszenierung viele Fragen unbeantwortet.

Eine deutlichere Antwort bekommt man aber aus dem Orchestergraben. Justin Brown dirigert die Badische Staatskapelle auch hier wieder mit glühender Emphase und viel Sinn für die Leitmotivtechnik Wagners. Hamonische Sinnzusammenhänge bekommen so ein ganz neues Gewicht. Vor allem die letzten Takte im Orchestergraben setzen zum eher schwachen Bühnenbild einen ganz starken Kontrast. Die verschiedenen Klangfarbenschattierungen gehen nicht unter. Dies kommt vor allem auch Heidi Melton als Brünnhilde zugute, die ihre gewaltigen gesanglichen Crescendo-Steigerungen hier überzeugend über die Rampe bringt. Wobei es natürlich auch ihr möglich ist, die Gesangsstimme noch differenzierter und leuchtkräftiger zum Ausdruck zu bringen. Hier kann es sogar noch zu Steigerungen kommen. Daniel Frank agiert als Siegfried mit schlanker tenoraler Geste, aber auch sehr strahlkräftigen Spitzentönen. Armin Kolarczyk liefert als verzweifelter Gunther eine eindrucksvolle stimmliche und schauspielerische Charakterstudie, die sich vor allem bei Siegfrieds „Trauermarsch“ noch erheblich steigert, als er sich weinend über Siegfrieds leblosen Körper wirft. Jaco Venter ist ein durchaus dämonischer Alberich, der dem rabenschwarzen Hagen von Konstantin Gorny insbesondere in der alptraumhaften Szene im zweiten Akt gewaltig einheizt. Auch Christina Niessen vermag als Gutrune ihre Verzweiflungsausbrüche gut zu steuern. Eine ausgezeichnete Leistung liefert ferner Katharine Tier als Waltraute, deren leidenschaftliche Ausbrüche im Dialog mit Brünnhilde unter die Haut gehen. Justin Brown gelingt es hier mit der Badischen Staatskapelle facettenreich, die Sänger geschickt zu steuern. Katharine Tier, Dilara Bastar und An de Ridder zeigen als Nornen harmonischen und dynamischen Gleichklang sowie strahlkräftige Höhe. Agnieszka Tomaszewska, Dilara Bastar und Katharine Tier überzeugen ferner als ausgewogen deklamierende Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Floßhilde.

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Katharine Tier (Waltraute, 1. Norn, Flosshilde), Dilara Baştar (2. Norn, Wellgunde), An de Ridder (3. Norn). Copyright: Mathias Baus

Ganz hervorragend hat Ulrich Wagner den Chor einstudiert. Die Polyphonie triumphiert dabei in eindringlicher Weise. Dies kommt insbesondere in der monumentalen Mannenszene im zweiten Akt zum Ausdruck. Ein Wunder, dass das gebannt lauschende Pferd hier nicht ausgerastet ist. Auch die viertaktige Liebesmelodie, die nach dem Höhepunkt mit dem Götterdämmerungs-Motiv aufstrahlend erklingt, erhält dank Justin Browns ausdrucksvollem Dirigat ein enormes Gewicht. Gerne verzeiht man auch gelegentliche Intonationstrübungen der Bläser, wenn mit soviel Glut und Herzblut musiziert wird. Und der Quartsprung lässt hier zuletzt wirklich das gesamte Orchesterfundament erzittern. Ein akustischer Höhepunkt ist außerdem das Ende des zweiten Aktes, wenn der C-Dur-Jubel beim Racheterzett von Gunther, Hagen und Brünnhilde plötzlich ungehemmt losbricht. Der Wechsel von D-Dur nach Des-Dur am Schluss gelingt geradezu traumwandlerisch-sphärenhaft. Es ist ein überirdischer Zauber, der auch dann nicht nachlässt, wenn Brünnhilde vom Regiestuhl aus die toten Akteure wieder aufleben lässt. Da sieht man plötzlich Siegfried, Gunther und Gutrune wieder. Und es erscheint zuletzt die Honeymoon-Suite, die in geheimnisvoller Weise nach vorne geschoben wird. Eine neue Deutungsweise offenbart plötzlich, dass Siegfried und Brünnhilde wieder vereint sind. Oder ist es nur ein Traum? Das ist eine interessante Deutung von Tobias Kratzer, die sich mit der Musik verbindet. Es gab Ovationen für Sänger und Musiker sowie viel Beifall und „Buh“-Rufe für das Regieteam.

Alexander Walther          

 

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