Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

KARLSRUHE/ Badisches Staatstheater: DIE WALKÜRE – Die Gespenster lassen grüßen. Premiere

12.12.2016 | Oper

Wagners „Walküre“ im Badischen Staatstheater Karlsruhe : DIE GESPENSTER LASSEN GRÜSSEN

Premiere von Richard Wagners „Walküre“ am 11.12.2016 im Badischen Staatstheater/KARLSRUHE

Katherine Broderick (Sieglinde), Avtandil Kaspeli (Hunding), Peter Wedd (Siegmund), Renatus Meszar (Wotan)
Katherine Broderick (Sieglinde), Peter Wedd (Siegmund), Atvandil Kaspeli (Hunding). Copyright: Falk von Traubenberg

Der kalifornische Regisseur Yuval Sharon bietet für seine Inszenierung von Richard Wagners grandiosem ersten Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“, nämlich „Die Walküre“, ein überzeugendes multimediales Konzept. Man erinnert sich sofort an Hollywood, wo Wagner sicher Karriere gemacht hätte. In zahlreichen spannenden Video-Sequenzen von Jason H. Thompson wird im ersten Akt die seltsame Welt von Henrik Ibsens „Gespenstern“ heraufbeschworen. Es sind nicht nur die Gespenster von Siegmund und Sieglinde, die hier die Szene beherrschen. Mythische Größe paart sich dabei mit innovativen Technologien. Es öffnen sich immer wieder Türen, hinter denen spielende Musiker zu sehen sind, die sich mühelos ins Orchester integrieren. So wird die Geschichte von Menschen und Göttern in besonderer Weise erzählt. Jeder lebt in seinem ganz eigenen Raum. Dieser Raum führt auf einem Zeitstrahl von der Vergangenheit in die Zukunft. Die Welt der Götter ist golden und zieht sich als Zeitschlaufe in kreisförmiger Simultaneität. Aber die Katastrophe führt dann auch zum Stillstand. Am Ende des ersten Aktes sieht man Siegmund und Sieglinde im Liebesrausch in den Wäldern davonspringen. Ein szenischer Einfall, der in wunderbarer Weise zur Musik passt.

Im zweiten Aufzug ist es eine riesige Rolltreppe vor goldenem Hintergrund, die das Auge sofort gefangen nimmt. Hier streiten sich Wotan und Fricka, der Ehestreit führt schließlich zu einem lebhaften Dialog von Brünnhilde und Wotan, der in die Rolle des Ödipus gedrängt wird. In riesigen Video-Aufnahmen sieht man die Gesichter der Protagonisten bis hin zu Erda –  es ist eine sehr gelungene Beschwörung des Unterbewusstseins. Man begreift auch, dass sich die Götter in jede Figur hineinversetzen können. Ein endloser Flur bildet ebenso den Mittelpunkt. Er ist ein Gefängnis hinter geschlossenen Türen. Der Wahrnehmungsradius des Menschen ist hier begrenzt. Im Haus bleibt man dann auch, wenn Siegmund und Sieglinde im zweiten Akt in den Wald fliehen. Dann geht die Szene wieder zurück zum engen Bühnenausschnitt des ersten Aktes, der erst durch die auftretende Götterwelt hell wird. Die Tötung Siegmunds durch seinen Rivalen Hunding gerät zum Startschuss für Wotans wilde Suche nach Brünnhilde, die wie in einem rasenden Film abläuft.

Renatus Meszar (Wotan), Heidi Melton (Brünnhilde)
Renatusz Meszar (Wotan), Heidi Melton (Brünnhilde. Copyright: Falk von Traubenberg

Im dritten Akt befinden wir uns schließlich in der faszinierenden Höhe von Berggipfeln, die gleichsam von den Walküren überflogen werden. Blitze zucken und lösen einen elektrisierenden Strom aus. Das sind großartige Bilder, die sich tief einprägen. Ganz entfernt kommen Erinnerungen an Caspar David Friedrichs Gemälde „Die verlorene Hoffnung“ auf. Die Eislandschaft motiviert die Walküren zu lautem Singen. Dichter Schnee fällt herab. In diesem Schneesturm landen die Walküren dann in einem Trümmerfeld von Bergkristallen. Die Zeit steht still und es folgt die große Krise. Die ungehorsame Tochter Brünnhilde wird von Göttervater Wotan in tiefen Schlaf versetzt und versinkt im Untergrund. Schließlich tritt sie in einem gläsernen Kasten wieder hervor, die eisige Landschaft vergeht zuletzt in einem ungeheuren Feuersturm, der den Hintergrund grell beleuchtet und ganz ausfüllt. Wotan sinkt vor diesem Kasten in Verzweiflung nieder. Ein kluger Regieeinfall. Die eng begrenzte Perspektive der Menschen im ersten Akt weitet sich im dritten Akt schließlich ins Unermessliche. Die Fähigkeit, zu hoffen und den freien Willen zu verteidigen, wird hier heftig postuliert. Die Götter verstehen die Zeit aber nur kreisförmig. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschmelzen ineinander. Wotan hat nichts mehr zu hoffen, er tritt nur noch auf der Stelle – deswegen hat Yuval Sharon im insgesamt großformatigen Bühnenbild von Sebastian Hannak die Idee mit der Rolltreppe. In dieser Inszenierung der „Walküre“ spielt die Vergangenheit eine zentrale Rolle. Sie nimmt überhand, überlagert auch die Zukunft. In Siegmund und Sieglinde sieht man ebenfalls den sehr beschränkten Zugang zur Zukunft. Sie fliehen im zweiten Akt in atemloser Weise in den freien Wald.

Die Menschlichkeit der Sieglinde wird auch durch die hervorragende Sopranistin Katherine Broderick betont. Sie ist der Katalysator für viele Ereignisse in diesem bedeutenden Werk. Richard Wagner sah sich übrigens selbst als Siegmund und sah in Sieglinde seine große Liebe Mathilde Wesendonck. Neueste Technologie stellt unmittelbar das Zentrum dieser Inszenierung dar. Wotans Monolog im zweiten Akt steht dabei im Mittelpunkt. Seine verborgene innere Seelenlandschaft spiegelt sich in der Musik. Das alles kann der Regisseur Yuval Sharon glänzend auf die Bühne bringen.

Die Badische Staatskapelle musiziert unter der anfeuernden Leitung von Justin Brown in aufwühlend-erregender Weise. Dies zeigt sich schon bei den wilden Ostinato-Passagen des anfänglichen Gewittersturms. Dieses Sturmmotiv nimmt Brown sehr rasch, atemlos, fast hektisch. Unwirsch ist der polternde Rhythmus von Siegmunds Rivalen Hunding, das dreimalige Ertönen des Wälsungen-Motivs arbeitet Justin Brown mit der Badischen Staatskapelle facettenreich heraus. Das Sieglinden-Motiv erscheint umso geheimnisvoller. Diesen grandios-ekstatischen Liebesgesang gestalten sowohl Katherine Broderick wie auch Peter Wedd als Sieglinde und Siegmund mit leidenschaftlicher Emphase, die die endlosen Kantilenen berücksichtigen. Renatus Meszar ist ein imposanter Wotan, dessen stimmliche Fülle aber noch an Volumen gewinnen kann. Heidi Meltons Brünnhilde beeindruckt mit großer vokaler Wucht, aber auch berührenden Zwischentönen. Dies zeigt sich vor allem in ihrem großen Dialog mit Wotan im dritten Akt. Avtandil Kaspeli bietet einen robust-furchterregenden Hunding. Ewa Wollak ist eine hervorragende Fricka, die sich mit ihrem Ehemann Wotan einen heftigen Schlagabtausch liefert. Ausgezeichnet sind die Walküren Helmwige, Gerhilde, Ortlinde, Waltraute, Siegrune, Rossweiße, Grimgerde und Schwertleite mit Barbara Dobrzanska, Christina Niessen, Ina Schlingensiepen, Katherine Tier, Dilara Bastar, Tiny Peters, Kristina Stanek und Ariana Lucas besetzt. Als kleiner Siegmund und kleine Sieglinde sind Niels Cordes und Ella Schwartz zu sehen.

Peter Wedd (Siegmund), Statisterie
Niels Cordes (junger Siegmund), Peter Wedd (Siegmund): Copyright: Falk von Traubenberg

Die zeitliche Betrachtung des Regisseurs Yuval Sharon beleuchtet die umfangreichen Zeitepochen der Protagonisten hier sehr intensiv. Dem tragen auch die farbigen Kostüme von Sarah Rolke Rechnung. Justin Brown gelingt es als Dirigent, gleich zu Beginn die vielen Beziehungsfäden des komplizierten thematischen Materials miteinander zu verknüpfen. Die vorwärtsschwingende Bewegung des Siegschwertmotivs steigert sich zu einem regelrechten Taumel, der Trillerfolge G-Fis kann Heidi Melton große Steigerungen abgewinnen. Die melodische Schönheit von Frickas Partie bringt Ewa Wollak sehr überzeugend zur Geltung. Renatus Meszar als Wotan kann die grellen Dissonanzen des Fluch-Motivs D zu Des bei „O heilige Schmach!“ mit unverminderter Heftigkeit artikulieren. Auch die Todverkündigungsszene zwischen Siegmund und Brünnhilde besitzt bei dieser Inszenierung eine beklemmend-erschütternde Größe, deren Schauer nicht nachlassen. Peter Wedd und Heidi Melton erreichen hier einen darstellerischen Gipfelpunkt. Die starre Haltung und das langsame Hervorschreiten Brünnhildes fesseln die Zuschauer dabei ungemein. Und aus Siegmunds Wehklage ist leicht das Flucht-Motiv herauszuhören. Walküren-Ruf und Walküren-Motiv im dritten Akt geraten unter der Leitung von Justin Brown zusammen mit der exzellent musizierenden Badischen Staatskapelle Karlsruhe zu einem außer Rand und Band geratenen Feuerritt, dessen hexenhafte Momente nicht verleugnet werden. Katherine Broderick begeistert nochmals als ekstatische Sieglinde bei der Nachricht Brünnhildes, dass sie einen „Wälsung im Schoße“ berge. Das Motiv der Mühsal und die überaus weich gestaltete Kantilene in As-Dur prägen bei dieser überragenden Aufführung den Dialog Brünnhildes mit Wotan. Der Gott beschwört schließlich mit seines Speeres Spitze mit dem Speer-Motiv den Feuergott Loge, den Fels zu umbrennen. Fast magisch gestaltet der Dirigent Justin Brown mit dem Loge-Motiv das wilde Flammensprühen. Auch das Beschirmungs-Motiv erreicht starke Intensität: „Wer meines Speeres Spitze fürchtet, durchschreite das Feuer nie!“ Einhellige Ovationen gab es bei dieser Premiere für das gesamte Team. Auf die weiteren Folgen dieses „Ring“-Zyklus‘ mit vier verschiedenen Regisseuren darf man sehr gespannt sein. Die Produktion entstand in Zusammenarbeit mit dem Richard-Wagner-Verband Karlsruhe.

Alexander Walther

 

Diese Seite drucken