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KARLSRUHE/ Badisches Staatstheater: DIE LUSTIGEN NIBELUNGEN von Oscar Straus

Wandel durch die Zeiten

30.05.2018 | Operette/Musical

Bildergebnis für karlsruhe die lustigen Nibelungen
Daniel Pastewski (Hagen), Edward Gauntt (Dankwart), Volker Hanisch (Volker), Michael Dahmen (Gunther), Rebecca Raffell (Ute), Tiny Peters (Giselher), Ina Schlingensiepen (Kriemhild). Copyright: Falk von Traubenberg

 

Burleske Operette „Die lustigen Nibelungen“ von Oscar Straus am 29.5.2018 im Staatstheater/KARLSRUHE  „Die lustigen Nibelungen“

WANDEL DURCH DIE ZEITEN

 Der aus Wien stammende Regisseur Johannes Pölzgutter inszeniert diese burleske Operette „Die lustigen Nibelungen“ von Oscar Straus als stimmungsvollen Wandel durch die Zeiten, graue Vorzeit und Gegenwart gehen so nahtlos ineinander über. Es ist eine ironische Version des berühmten Nibelungenstoffes. König Gunther ist hier von Furcht gezeichnet. Brunhild hat als Königin von Isenland seine tollkühne Herausforderung tatsächlich angenommen und befindet sich auf dem Weg nach Worms. Sie ist fest entschlossen, den Mann zu heiraten, der sie im Zweikampf besiegen kann. Gunther besiegt Brunhild aber nur mit Hilfe von Siegfried, der in dieser ungewöhnlichen Inszenierung zwischen all diesen mittelalterlichen Figuren im modernen Smoking auftritt. Durch Betrug gelingt Gunther also der vermeintliche Sieg über Brunhild. Und Siegfried heiratet Gunthers Schwester Kriemhild als „minnige Maid“. Pompös und nicht ohne Ironie wird dann die Doppelhochzeit gefeiert. Die gotische Gibichungen-Halle wird zunächst von den eigentlichen Nibelungen, den Zwergen, in Beschlag genommen. Dann tritt im weiträumigen Bühnenbild von Nikolaus Webern (Kostüme: Janina Ammon) plötzlich die gesamte Hofgesellschaft zusammen. Ein Tuch fällt herab und enttarnt das seltsame Wohnzimmer mit Wagner-Büste und Totenschädel, aus dessen mittlerer Tür immer wieder neue Gestalten hervortreten. Es ist „die neue Hoffnung“, die dabei zu sehen ist. „Rheingold“-Szenen werden in das großräumige Ambiente des Badezimmers verlegt.

Schließlich kommen alle zu dem Entschluss, Siegfried zu ermorden. Aber wie das in der Operette so ist, kommt es natürlich nicht zu Siegfrieds Tod, denn er wird mit dem Speer von Hagen nur ein bisschen gestupft. Siegfried möchte im Rahmen eines Potpourris Brunhilds Ärger vergessen lassen, mit dem sie ihn verfolgt. Alle haben letztendlich Angst vor einem totalen Kursverfall der Nibelungen-Aktien. Mit Hilfe des Vogels entlarvt Siegfried den heranschleichenden Hagen, entwindet ihm das Schwert und verzeiht ihm, weil er aus Geldgier (also aus edlen Motiven!) gehandelt habe.

Es gibt in dieser Inszenierung aufgrund der gut herausgearbeiteten Situationskomik viel zu lachen. Hagen erfährt vom Sturz der Aktien, dadurch entfällt das Mordmotiv. Als Siegfried der Familie 50 Prozent von den Nibelungenaktien anbietet, ist die Harmonie perfekt. „Endlich! Die Reform der Operette!“ jubelte die Kritik bei der Uraufführung der „Lustigen Nibelungen“ im Jahre 1904 im Wiener Carltheater. Andere rechte Gruppierungen empörten sich aufgrund der Verhöhnung des Germanentums „durch einen Saujuden“. Die Operette karikiert deutlich das Nibelungenlied. „Die lustigen Nibelungen“ treten bei Johannes Pölzgutter als reduzierte Karikaturen auf, die auf ihre wesentlichen Charakteristika beschränkt werden. Wilhelm II. wird scharf persifliert: „Schlagt alles kurz und klein, was sich noch irgendwie zertrümmern lässt!“ Siegfried ist als Drachentöter der wilhelminische Prototyp, ein biederer Spießbürger, der dem System hörig und deshalb nützlich ist. Pölzgutter sieht Parallelen von Siegfried zu Diederich Heßling aus Heinrich Manns Roman „Der Untertan“. Er ist ein skrupelloser Opportunist mit vermeintlich weißer Weste. Die Regie ist hier variabel, springt virtuos zwischen Mittelalter, wilhelminischer Kaiserzeit und Gegenwart hin und her. So sieht man Fahnen aus der Kaiserzeit Wilhelms II. Pölzgutter geht ganz bewusst durch die Zeiten. Weltuntergangsfantasien und Nibelungentreue werden bei dieser Inszenierung zwischen Blitzlichtgewittern bloßgestellt. Das Lösen von Konflikten mit roher Gewalt bringt allen Unglück. Der „Furor teutonicus“ als der deutsche Schrecken des Nibelungenliedes tritt immer wieder grell hervor. Inspiriert vom allwissenden Waldvogel aus Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ kommentiert der kluge Vogel in Pölzgutters Inszenierung die Vorfälle und versucht, das Geschehen positiv zu beeinflussen.

Dominic Limburg leitet die Badische Staatskapelle Karlsruhe aus einem Guss, was die Leitmotive klar hervortreten lässt. Daraus ergibt sich ein beglückender melodischer Fluss, der die Zuhörer gefangen nimmt. Man hört neben dem berühmten Hornsignal Kaiser Wilhelms II. viel Wagner aus dem durchsichtig klingenden Orchestergraben. In Siegfrieds Walzer erinnern die Achtel-Sequenzen der Streicher zu Beginn an „Das Rheingold“. Andere Anklänge gemahnen an „Tristan und Isolde“, „Lohengrin“ und „Die Meistersinger von Nürnberg“. Limburg verwendet bei seiner konzentrierten Interpretation die Originalinstrumentation der handschriftlichen Partitur von Oscar Straus. Alles klingt reduziert, schlank, durchsichtig. Den Sängern wird so viel Raum für klangschöne und weiträumige Kantilenen gegeben. Davon profitieren nicht nur Michael Dahmen als Gunther und Ariana Lucas als seine Mama Ute, sondern auch der wandlungsfähige Edward Gauntt als sein Papa Dankwart. Ferner gewinnen Nando Zickgraf als robuster Volker, Clara Sophie Bertram als forscher Recke Giselher und Joo-Anne Bitter als minnige Maid Kriemhild starkes gesangliches Profil. Daniel Pastewski ist ein voluminöser und imponierender Hagen, der vom Timbre her gut zum strahlkräftigen und lyrischen Tenor von Cameron Becker als Siegfried passt. Christina Niessen ist eine Brunhild mit imponierendem Klangvolumen, das sich ständig steigert. Sophie Bareis entbehrt als Vogel der leisen und nachdenklichen Töne nicht.
Als eigentliche Nibelungen gefallen Sandra Maria Germann und die Kinderstatisterie des Staatstheaters Karlsruhe. Prachtvoll hat Ulrich Wagner den Badischen Staatsopernchor einstudiert, der zuletzt zur allgemeinen Belustigung sogar in Unterhosen auftritt. Lebhaft und marschmäßig gestaltet Cameron Becker Siegfried, der von sich selbst sagt: „Ich bracht’s auf dem Gymnasium mit Not bis Obertertia„. Siegfrieds Coupletstrophen werden von Cameron Becker in leuchtendem E-Dur gesungen, wo er seine beispielhafte Laufbahn den begeisterten Burgundern erläutert. Der Polkarhythmus „Von vorne, von vorne, da ist er ganz von Horne“ wirbelt in Dominic Limburgs mitreissender Interpretation wahrhaft atemlos vorüber, reisst die Zuhörer wie in einem rasenden Strudel mit. Wilhelminische Deutsche in germanischem Outfit erinnern stark an eine Offenbachiade. Feinen Parlando-Charakter besitzt das stimmungsvolle Duett von Siegfried und Kriemhild beim Ensemble Nr. 5. Ein markanter Zwölfachteltakt rebelliert hier deutlich gegen den störrischen Neunachteltakt. Man nimmt die satirischen Momente also auch in der Musik wahr. Starker Schlussapplaus belohnte diese fantasievolle Inszenierung. 

Alexander Walther            

 

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