Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

KARLSRUHE/ Badisches Staatstheater: DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN

Schauen, träumen und staunen

17.12.2018 | Oper


Foto: Falk von Traubenberg

 Leos Janaceks „Das schlaue Füchslein“ am 16. Dezember 2018 im Badischen Staatstheater/KARLSRUHE

SCHAUEN, TRÄUMEN UND STAUNEN

 Szenisch hochmodern und technisch raffiniert inszeniert Yuval Sharon mit seinem kalifornischen Team-Kollegen Jason H. Thompson und den Walter Robot Studios (Bill Barminski, Christopher Louie) Janaceks vielschichtige Tierfabel in vielen glutvollen Bildern. Wichtig ist dabei auch, dass sich die Geschichte in eine Menschen- und eine Tierhandlung aufteilt.

Die Frage, ob man Tiere vermenschlichen sollte, steht dabei deutlich im Mittelpunkt. Elemente des Sehens und Hörens werden hier sehr sensibel beleuchtet. Dazu gehören bewusst einmontierte Alterungsspuren des Films. Sie erinnern ältere Zuschauer an die Trickfilme ihrer Kindheit. Die Inszenierung von Yuval Sharon möchte deswegen auch ein subtiles Spiel mit verschiedenen Ebenen sein. Zwischen Holzwänden und Gerüsten werden Klappen geöffnet, aus denen die Tierköpfe hervorragen. Das ist reizvoll und witzig anzusehen. Man kann beobachten, wie die Tiere und Personen aus der Leinwand heraustreten und auch wieder hineingehen. Film-Sequenzen und Life-Performance sollen so sinnvoll miteinander verbunden werden. Auch Elemente der Digitaltechnik werden hier stilvoll eingesetzt. Man spürt als Zuschauer aber auch, welch großer Aufwand hierfür hinter der Bühne nötig war, denn hinter der hölzernen Projektionswand herrscht während der Vorstellung reger Betrieb. Zwei Techniker öffnen hinter der Wand die 10 durchnummerierten Luken und Türen, tragen Podeste hin und her, um die Höhen an die verschiedenen Körpergrößen der Darsteller anzupassen. Für den Dirigenten ist die Wahl der Tempi frei, daher ist der Film in über 170 Sequenzen unterteilt, die länger als benötigt sind und live auf „Musikstichwort“ gestartet werden. Bill Barminski hat für Dismaland, das Anti-Disneyland des Shredder-Künstlers Banksy, den Security Check entworfen.

Yuval Sharons „Schlaues Füchslein“ hatte 2014 unter Franz Welser-Möst in Cleveland mit großem Erfolg Premiere. Auch in Karlsruhe möchte er Handlung und Protagonisten eine große Freiheit lassen. Ein empfindliches Gleichgewicht soll auf allen Ebenen hergestellt werden. Die Aufführung soll spielerisch und poetisch zugleich sein. Und das wird in Karlsruhe konsequent umgesetzt: Alles ist klar, direkt und voller Überraschungen. So herrscht Objektivität und die Spiegelung der eigenen Subjektivität. Die Natur soll hier auch interessante Antworten auf unsere Fragen geben.


Foto: Falk von Traubenberg

Nachdem der alte Förster im Wald eingenickt ist, wird die Füchsin in der Försterei zum Dackel gesperrt. Beide beklagen ihre Gefangenschaft. Das wird in Yuval Sharons ungewöhnlicher Inszenierung mit den Kostümen von Ann Cross-Farley sehr gut deutlich. Des Försters Enkel und sein Freund quälen die Füchsin, die sich wehrt. Die Füchsin erscheint als Mädchen, was die Inszenierung visuell sehr reizvoll zeigt. Am nächsten Morgen preist der Hahn die Gerechtigkeit des Menschen. Der sphärenhafte Zauber des Waldes beherrscht auch den zweiten Akt, wo Füchsin Schlaukopf eine Wohnung sucht. Der Dachs verjagt die Füchsin, die ihn aber mit Hilfe der Tiere schließlich vertreibt. Förster, Schulmeister und Pfarrer vertreiben sich unterdessen die Zeit beim Kartenspiel in der Kneipe. Wegen unglücklicher Frauengeschichten suchen sie im Alkohol Vergessen. Der Förster schießt um sich, um die Füchsin wieder zu fangen. Im dritten Akt leuchten in dieser unglaublich farbenfrohen und abwechslungsreichen Inszenierung dann die Sterne. Der Förster erfährt dabei, dass sein alter Widersacher die Zigeunerin Terynka heiratet. Das birgt Konfliktstoff, den der Regisseur facettenreich herausarbeitet. Der Wilderer und Geflügelhändler Haraschta erschießt schließlich die Füchsin Schlaukopf, wobei sich die Handlung nochmals entscheidend wendet. Man sieht auch viele Blätter wild herumfliegen – es ist die Vergänglichkeit des Lebens, die hier beschrieben wird. Zuletzt erinnert sich der Förster an seine Frau, als sie noch jung, schön und verliebt waren. Er nickt ein. Im Traum glaubt er, die junge Füchsin zu greifen – doch es ist nur der Frosch, der ihn wiedererweckt hat.

In der Inszenierung gehen diese Szenen in Computeranimationen und mit großer Perfektion über die Bühne. Dies zeigt sich vor allem dann, als die Füchsin die Legehennen gegen den Hahn in Stellung zu bringen versucht und diesen schließlich tot beisst. Das ist ein visueller Höhepunkt ausgefeilter Tricktechnik. Die Badische Staatskapelle musiziert unter der überaus kompetenten Leitung von Justin Brown wie aus einem Guss. Thematische und motivische Zusammenhänge werden minuziös und sensibel herausgearbeitet. Vor allem die Waldstimmungen mit ihrer unbeschreiblichen harmonischen Poesie gehen unter die Haut. Da merkt man, wie weit Janacek schon 1924 in die moderne und neue Musik hineinragt. Das große Finale des zweiten Aktes mit dem zarten Liebesidyll der Füchse steigert sich in vielen dynamischen Nuancen zu einem ganz besonderen Klangkosmos. Da wird vom umsichtigen Dirigenten Justin Brown auch die erstaunliche Nähe zu Richard Strauss deutlich gemacht. Auch die Hochzeitsfeier der Tiere gelingt Justin Brown mit der Badischen Staatskapelle Karlsruhe ausgesprochen elementar und orgiastisch. Das Gewittermotiv oder das Jaulmotiv des Füchsleins treten hier präzis hervor.

Von der genauen Betonung der Sprachmelodien Janaceks profitieren in erster Linie außerdem die Sängerinnen und Sänger dieser überaus gelungenen Produktion, die in Amerika Triumphe feierte. Der Sehnsuchtsruf des Menschen in Des-Dur erstrahlt vor allem am Schluss in unvergleichlicher klanglicher Pracht. Es ist der große Moment, wenn der Förster in glanzvolles Licht eintaucht. Die reinigenden Kräfte der Natur beherrschen die Gestaltung von Uliana Alexyuk als Füchsin Schlaukopf mit leuchtkräftigem Sopran ebenso wie Alexandra Kadurina als Fuchs, Armin Kolarzcyk als Förster und Christina Niessen als Försterin und Eule. Da fließt das gesangliche Melos mit weichem und geschmeidigem Timbre zusammen. Klaus Schneider bietet als Schulmeister und Mücke köstliche Charakterstudien, die von Konstantin Gorny als Pfarrer und Dachs in ironischen Einlagen ergänzt werden. Weitere markante Charakterrollen präsentieren Seung-Gi Jung als Landstreicher Haraschta, Baris Yavuz als Gastwirt Pasek, Tiny Peters als Frau Pasek, Hahn, Eichelhäher, Luise von Garnier als Dackel, Ilkin Alpay als Schopfhenne und Specht, Taavi Baumgart als Försterenkel Pepik und Grille, Teresa Tampe als dessen Freund Frantik und Heuschrecke, Alma Unseld als Frosch und Lydia Spellenberg als kleine Füchsin.

Der Badische Staatsopernchor und der Jugendchor Cantus Juvenum Karlsruhe bieten in der Einstudierung von Ulrich Wagner und Katrin Müller ebenfalls herausragende vokale Leistungen. Es ist vor allem geschickt, dass der Chor zudem rechts und links postiert wird – das eröffnet dem Zuhörer ganz neue akustische Möglichkeiten des konzentrierten Hörens. Das Orchester ist eigentlich Teil des Bühnenbildes, es ergänzt den szenischen Hintergrund mit seinen vielen Film-Sequenzen ganz entscheidend. Auch dies ist eine sehr ungewöhnliche Regie-Idee. So kann man sich mit Recht fragen: „Ist es ein Märchen oder Wahrheit?“ Das variationenbildende Material oder die zentrale Ballettmusik der Insekten werden von Justin Brown und der Badischen Staatskapelle ausgezeichnet herausgearbeitet. Die Varianten der thematischen Grundlage ergeben hier einen enormen Klangfarbenreichtum, der bei dieser Wiedergabe deutlich hervorsticht. Der Landstreicher Haraschta überzeugt dann in der Darstellung von Seung-Gi Jung mit voluminösem Bass bei seinem als Kontrapunkt zum Fuchs-Liebesduett angelegten Gesang. Themen werden in dieser Oper immer wieder leitmotivartig wiederholt und erhalten gerade bei dieser Aufführung stets ein besonders opulentes, ja überwältigendes klangliches Prachtgewand. Dies zeigt sich vor allem beim gewaltigen Schluss der Oper, wo sich zu den Pauken- und Bläser-Sequenzen deutliche Assoziationen zur „Sinfonietta“ einstellen. Die Verwendung der Ganztonleiter hat Leos Janacek in diesem Werk auf die Spitze getrieben, die charakteristische Musiksprache wird deutlich von den Tierfiguren bestimmt. Insbesondere im dritten Akt gefällt die Interpretation Justin Browns durch die hervorragende Betonung von rhythmisch markanten Polkas und Walzern bis hin zu metrisch sehr freien Arabesken für die blaue Libelle. Das Ballett für die Grille, die Heuschrecke und die Mücke überwältigt die Zuhörer hier ebenfalls mit rhythmischer Rasanz, Schwungkraft und polyphonem Zauber.

Alles in allem war es also eine überaus glanzvolle Premiere, die als Produktion des Cleveland Orchestra in Kooperation mit dem Staatstheater Karlsruhe großen Jubel beim Publikum auslöste. Auf der Tournee des Cleveland Orchestras wurde sie übrigens auch schon im Wiener Konzertverein gezeigt (Masken: Cristina Waltz; Make up: Amy Jean Wright).

Alexander Walther

 

Diese Seite drucken