Badisches Staatsballett Karlsruhe
„ROMEO UND JULIA“ von Jean Christophe Maillot 26.4. 2025 (Premiere) – reduziert-konzentriert mit Stärken und Schwächen
Sophie Burke (Julia) und Lasse Caballero (Romeo): Copyright: Admill Kuyler
Jean Christophe Maillots 1996 durch seine Compagnie in Monte Carlo uraufgeführte Version des Shakespeare-Klassikers gehört zu den Handvoll inzwischen etablierter Choreographien des berühmten Stoffes, war allerdings im Südwesten Deutschlands noch nie zu sehen. Raimondo Rebeck, der seit Beginn der Spielzeit als Ballettdirektor in Karlsruhe wirkende ehemalige Erste Solotänzer der damals noch nicht vereinten Ensembles der Staatsoper und der Deutschen Oper Berlin hatte bei der deutschen Erstaufführung 1998 in Essen den Romeo verkörpert. Umso glücklicher ist er nun im Zuge seines Plans, in Karlsruhe noch nie gesehene Arbeiten zu präsentieren, die Rechte für die dortige Premiere erlangt zu haben. Maillot ist außer mit einigen Gastspielen seines Les Ballets de Monte Carlo in dieser Region noch wenig im Bewusstsein. Vor etlichen Jahren war bei den Festspielen Baden-Baden seine alles in allem faszinierend überzeugende, schlicht „Lac“ genannte Variante von „Schwanensee“ zu bestaunen. Gleichermaßen Überzeugendes ist ihm dem ersten Eindruck nach mit Shakespeares Liebestragödie nicht gelungen.
Das liegt zum einen – so unfair Vergleiche manchmal sind – an meisterhaften Konkurrenz-Produktionen von John Cranko und auch der hier in Birgit Keils Amtszeit zu sehen gewesenen von Kenneth MacMillan, andererseits auch an der Steil-Vorlage von Prokofieffs genial perfekter Musik und nicht zuletzt an der Nichteinlösung wesentlicher Voraussetzungen eines Handlungsballetts.
Maillot erzählt die Geschichte als Rückblende aus der Sicht von Pater Lorenzo, der sich durch seine gut gemeinte Hilfe am tragischen Verlauf der Zusammenführung des Liebespaares mitschuldig betrachtet. In der Umsetzung durch eingefrorene Posen und Zeitlupen-Abläufe in farblich hervor gehobener Beleuchtung, flankiert von zwei Begleitern ( Baris Comak und Ledian Soto ) setzt das zwar kurze Akzente, aber aus sich heraus bleibt es nicht verständlich, zumal Lorenzo in nichtssagendem schwarz-weißem Habit (von Leonid Leontev mit einigen raumgreifenden Körperausrichtungen solide, aber nicht profiliert genug veranschaulicht) nicht als solcher erkennbar ist. In Anlehnung an seine erste, „Julia und Romeo“ betitelte Fassung, verweist der Choreograph auf eine besondere Stärke der Frauen, im Besonderen Julia, die für die Liebe bis zum Tod kämpft, während die Männer nur Impulsen aus Freundschaft und Ehre folgen. Die Zeitlosigkeit seines filmischen Konzepts mit einem Kino-ähnlichen Vorspann mit der Nennung aller Beteiligten und ihrer Rollen wird durch schnell verschiebbare nackte Wände und den weitestgehenden Verzicht auf Requisiten (Bühnenraum: Ernest Pignon-Ernest) sowie ästhetisch schlichte, fließende Kostüme von Jerome Kaplan und teils malerische Lichtstimmungen von Dominique Drillot unterstrichen.
Die Auseinandersetzungen der beiden gegnerischen Lager (die Montagues in hellen Farbtönen, die Capulets in schwarzer Montur) sind weniger die zweier grundsätzlich verfeindeter Familienclans, sondern die durch einen Unfall ins Tragische kippenden Spiele sorgloser Jugendlicher. Zur Musik des ausschweifenden Faschingstanzes wird etwas irritiert kontrastierend von Marionetten ein teils amüsantes Schauspiel über die Vereinigung von Romeo und Julia durch Lorenzo gezeigt.
Lucia Solari als Lady Capulet getragen vom Ensemble. Copyright: Admill Kuyler
Degen und Schwerter, Messer und Gift haben in Maillots reduziert konzentrierter Bearbeitung keinen Platz, alles Unglück wird mit symbolischen Aktionen zum Ausdruck gebracht: Mercutio stirbt durch einen angedeuteten Schlag, Romeo erwürgt Tybalt auf der zuvor noch als Balkon gedient habenden schmalen Steg-Rampe, angesichts der toten Geliebten rammt er sich die Spitze des so verlaufenden Schlaflagers durch einen rasanten Bäuchlings-Rutscher in die Brust, worauf Julia sein Blut in Form eines roten Schals unter seinem Körper hervor zieht und sich damit stranguliert. Das ist soweit gut nachvollziehbar, doch die Choreographie in einem klassische Grundlagen und moderne Elemente fließend ineinander verwobenen Stil bleibt zumindest im ersten Akt noch in zu vielen Alltagsgesten stecken, hebt an entscheidenden Momenten zu wenig ab, um Prokofieffs starker Musik entsprechend zu folgen. Hinsichtlich Tempo und Rhythmus kommt es überwiegend zur Deckung, doch erst im zweiten Teil finden Tanz und Komposition richtig zu einander. Im Wissen, wie Cranko aus jedem Moment ein Höchstmaß an Effizienz, Lebendigkeit und Mitteilsamkeit hervor holte, bleiben doch etliche Wünsche offen, auch wenn die Spannung gegen
Ende zunimmt und in einen durchaus berührenden Liebestod mündet. Ab ihrer bevorstehenden Trennung durch Romeos Verbannung macht Sophie Burke eine durchaus starke Frau sichtbar, spannkräftig in Bewegung, Gestik und Mimik. Technisch lässt sich mangels verlangter auffallender Spitzenpositionen, die oft schnell in Zeichenhaftes am Boden übergehen, nur wenig über ihr Können sagen. Das gilt auch für den naiv und unbekümmert gezeichneten Romeo, den der athletische Lasse Caballero mit Charme und Hingabe im Laufe der Aufführung immer gewinnender über die Rampe bringt.
Die dominierende Persönlichkeit von Lucia Solari macht aus Lady Capulet wirklich die von Maillot intendierte starke Frau. Durchaus Gewicht bekommt auch die im zweiten Teil sehr aufgewertete, Julia nicht nur verteidigende, sondern auch an ihren vorgesehenen Gemahl erinnernde Amme, in der engagierten Umsetzung von Natsuka Abe.
Filippo Valmorbida (Mercutio) und Geivison Moreira (Tybalt). Copyright: Admill Kuyler
Bei Mercutio flackern in einigen Drehungen Ähnlichkeiten zu Cranko und MacMillan auf, der Herausforderung der Todesszene hat sich Maillot indes gar nicht gestellt, so dass sich die Anforderungen für den kleinen, recht drahtigen und wuseligen Filippo Valmorbida in Grenzen halten, die er tadellos bewältigt. Sein Kumpan Benvolio ist mit dem ihn um Kopfeslänge überragenden, feinen und schnittigen Khanya Mandongana ungewöhnlich auffallend besetzt. Als Tybalt kann Geivison Moreira Provokation und Mannesehre noch steigerungsfähig ausspielen. Graf Paris bleibt hier die in blassem Braun wenig akzentuierte Nebenrolle des Wunsch-Schwiegersohnes, dem Jasper Metcalfe solide Kontur gibt. Romeos vorhergehende Flamme Rosalinde, von Maria Mazzotti präsent interpretiert, ist zwar auffallend stärker eingebunden, aber in ihrer Funktion wenig konkret gezeichnet.
Die zum großen Teil neue Zusammensetzung des Corps de ballet, ergänzt durch Mitglieder und Studierender der Akademie des Tanzes Mannheim, zeigt bereits ein halbes Jahr nach Saisonbeginn ein harmonisches Gemeínschaftsgefüge, ihr Einsatz als Montagues und Capulets zeugt von tadellosem einheitlichem Zusammenwirken.
Die von Motonori Kobayashi mit viel Gespür für Stimmungen, Farben und rhythmisches Gefüge geleitete, und äußerst präzise agierende Badische Staatskapelle ließ dadurch die erwähnten Mängel der Choreographie, ihren der Musik nur teilweise gewachsenen Zuschnitt noch deutlicher hervortreten. Dennoch blieb nach dem intensivierten zweiten Teil ein durchaus achtbarer Eindruck, der eventuell durch Alternativ-Besetzungen in die eine oder andere Richtung verändert werden könnte.
Den anhaltenden Jubel hatte die Compagnie für ihre Gesamtleistung wohl verdient.
Udo Klebes