O Fortuna: Bruna Andrade und das (Mönchs-)Ensemble. Copyright: Jochen Klenk
Badisches Staatsballett Karlsruhe: „CARMINA BURANA“ 9.6.2018 nm (WA 13.4.2018) – Das Gesamtkunstwerk zählt
Der im März 2016 verstorbene Germinal Casado hat das Verständnis für Ballett und Tanz in Karlsruhe während seiner 21 Jahre währenden Direktion maßgeblich geprägt. Jetzt hat sein Nachlaßverwalter Giulio Ragnoli dem Badischen Staatsballett, das damals noch unter dem Namen Danza viva geführt wurde, die Aufführungsrechte für eine Wiederaufnahme der 1983 erstmals gezeigten Lateinischen Gesänge von Carl Orff überlassen und dem Haus einen regelrechten Ansturm auf die Karten beschert. Pierre Tavernier, langjähriger Tänzer in Casados Truppe, hat sich der Neueinstudierung angenommen und dem heutigen Publikum damit einen Sinnenrausch aus Bewegung, Musik, Kostümen und Licht beschert, wie er der Theaterwelt heute so gut wie ganz abhanden gekommen ist. Dem in Casablanca geborenen Tänzer und Choreographen Casado ging es immer um die Feier einer umfassenden unbeschränkten Kunst, im Falle des berühmten Chorwerkes von Orff um die Bejahung eines üppigen Tanzfestes voller Leben und Kraft. In seiner seltenen Personalunion als Choreograph und Ausstatter mit Unterstützung des Lichtdesigners Gerd Meier konnte ein geschlossenes und vor allem harmonisches Gesamtkunstwerk entstehen, in dem bei aller einheitlich synchronen Bildwirkung auch so manche Kante im Detail wie die geschlitzten Kutten der Mönche als Anspielung auf deren Trachten nach einem keineswegs nur frommen Lebenswandel zur Geltung kommt.
Zentraler Blickfang der bis an die Zuschauer heran gerückten Bühne ist ein zur Hälfte im Erdboden stecken gebliebenes Zeit- oder Schicksalsrad, dessen Beleuchtung mit dem tänzerischen Geschehen davor korreliert. In einem mittig am Boden projizierten Kreis sendet Fortuna im roten Kleid und mit verbundenen Augen, deren Huldigung durch das Volk Auftakt und Abschluss des Werkes bilden, ihre göttliche Kraft in die Runde. Bruna Andrade entfaltet dabei ein durchaus präsentes Charisma, ihre Bewegungen erinnern wie so viele Sequenzen in Casados Werk an den großen Maurice Béjart, der das Stück aufgrund der Musik abgelehnt, in dessen Comapgnie er jahrelang getanzt und auch einige Ausstattungen für ihn geschaffen hatte. Vor allem die nach oben über den Kopf gestreckten und verschränkten Arme, auch in den Gruppen-Aufgaben lassen sofort an den berühmten „Bolero“ denken. Technisch gesehen ist das Schrittmaterial nicht sonderlich anspruchsvoll, seine Zusammensetzung aus teils revuehaften Formationen und einigen herausragenden solistischen bzw. Zweierkombinationen klassisch gefälligen Gepräges runden sich indes im Verein mit den Kostümen, dem Licht und der rhythmisch wie harmonisch animierenden Musik zu einer Gesamtheit, deren Wirkung – Geschmack hin oder her – unwiderstehlich ist. Verschiedene Farbstimmungen geben den einzelnen Szenen ihre jeweils damit verbundene Symbolik und leiten den Zuschauer so auch ohne deutsche Übertitelung des lateinischen Textes durch den Ablauf, dessen bereits genanntes göttliches Entrée und Finale drei Teile rahmen. Der erste ist dem Frühling, der mit der wärmenden Sonne erwachenden Natur geweiht. Dabei kommt es zu neuen Liebespaarungen in Rundtänzen, bei deren Hebungen es mitunter wackelt, was dem Reiz des Ganzen aber ebenso wenig anhaben kann wie die im Verlauf der Aufführung immer mal wieder geringfügig stockende Synchronität. Moeka Katsuki und Pablo Octavio bringen als zentrales Paar ihre Verknüpfung mit einfühlsamer und kultivierter Linie zum Tragen.
Bezauberndes Frühlingspaar: Moeka Katsuki und Pablo Octavio. Copyright: Jochen Klenk
In der Taverne, wo die Mönche ihre Frömmigkeit in recht wilder Körperlichkeit über Bord werfen, übersetzt Zhi Le Xu in verzweifelt klagender Manier und mit hoher Körperspannung das Schiksal des gebratenen Schwanes ins Tänzerische, Andrey Shatalin gibt der Preisung weltlicher Genüsse im Solo eines Zechers wilde Kontur.
Der gequälte gebratene Schwan: Zhi Le Xu. Copyright: Jochen Klenk
Die Macht der Liebe macht sich schließlich wechselnd zwischen Melancholie und Heiterkeit breit – mit entsprechend gegensätzlichen Paaren: dem mehr lyrisch sanften und spielerischen mit Rafaelle Queiroz und Olgert Collaku sowie dem in großer Linie und fordernden Balancen nobler heraus gestellten mit Blythe Newman und Admill Kuyler.
Nicht vergessen werden dürfen die auf der Bühne zwischen Tänzern und Orchester positionierten Gesangssolisten, von denen Ks Armin Kolarczyk mit gleichmäßig gerundetem und klar intonierendem Bariton die Hauptaufgabe zukam. Xiang Xu mühte sich trotz respektabel vorhandener Extremhöhe etwas mit der Führungsstabilität seines Tenors und entsprach so durchaus den Schmerzenslauten des gebratenen Schwanes. Agnieszka Tomaszewska hatte mit dem sich in himmlische Höhen führenden Einstieg des Sopran-Solos keine Probleme, die Tonsprünge über mehrere Takte gelangen dank eines beherrschten Vibratos klar und fast ohne Schärfen. Der Cantus Juvenum Karlsruhe e.V. unterstützte den weitgehend sicheren und ohne Stimmgruppen-Schwächen agierenden Badischen Staatsopern- und Extrachor mit frischer und lockerer Tongebung im Hymnus an die Venus.
Die Badische Staatskapelle wurde von Daniele Squeo mit klar durchgezogener Taktierung sowohl durch die ruhigeren wie vorangetriebenen, durch reichlich Percussion-Ergänzung bewegten Abschnitte geleitet. Wenn auch die Koordination aller Ensembles nicht immer ganz reibungslos klappte – die gesamtheitliche Betrachtung und der prägnante akustische Impetus der Orff-Komposition lassen bei Casados Freudenfest des Tanzes auch über weitaus mehr Detailfehler hinweg sehen. Der anhaltende Schlussjubel liegt ähnlich wie bei Béjarts „Bolero“ bereits in der Luft.
Udo Klebes