Karlsruhe: „ADRIANA LECOUVREUR“ 1.4. 2017 (Premiere) – Gift- oder Selbstmord?
Die aktive Künstlerin: Barbara Dobrzanska als Adriana. Copyright: Falk von Traubenberg
Es gibt sie noch: die Theater, die hin und wieder Künstlern Rollenwünsche erfüllen anstatt wie heute oft üblich Stücke und Inszenierungs-Interessen als Ausgangspunkt der Planungen nehmen. So folgte das Badische Staatstheater nun seiner langjährigen Ensemble-Stütze und im positivsten Sinne Hausprimadonna Barbara Dobrzanska und ihrem Verlangen, Adriana Lecouvreur in Francesco Cilèas gleichnamiger Oper verkörpern zu dürfen. Wer die all die großen Rollenauftritte der polnischen Sopranistin in den nun 15 Karlsruher Jahren verfolgt hat, wusste, ja konnte sich sicher sein, dass auch diese Partie ein Triumph für die bescheidene Künstlerin werden würde, die mit ihren vokalen Mitteln und ihrer leisen Darstellungskraft längst eine internationale Karriere hätte machen können anstatt die fixe Ensemblezugehörigkeit vorzuziehen.
Als historisch verbürgter Star der Comédie francaise von ca. 1715 bis zu ihrem frühen Tod 1730 war sie nun vor die besondere Herausforderung gestellt, einer Schauspielerin in der Verschränkung von Bühne und privater Sphäre zusätzlich zum Gesang mit rein sprachlicher Deklamation tragende Gestalt zu verleihen. So wie die berühmte Actrice damals den Vortragsstil vom singenden Alexandriner zum natürlicheren Sprechton revolutionierend wandelte, gibt Dobrzanska den deklamierenden Passagen, vor allem dem als Rachewerkzeug zur Bloßstellung ihrer Liebes-Rivalin Fürstin von Bouillon dienenden Phädra-Monolog von Racine einen wohltuend pathosfreien, wie aus einer trockenen Singstimme geborenen Tonfall von überzeugender Größe. Bruchlos gleitet sie wieder in ihren klangreichen, dynamisch perfekt ausbalancierten, in allen Lagen ideal sitzenden, frei geführten und in den Forte-Höhen üppig und tonschön strömenden Sopran, der sogleich bei ihrem Auftrittsbekenntnis mit dem erhebend durch den Raum flutenden langen An- und Abschwellen der Schlussphrase von erhebender Wirkung ist. Aber auch in den Duett-Konstellationen mit dem Geliebten, der Rivalin oder den schnellen Konversationsteilen kommt Dobrzanska bestens zur Geltung. Dabei bleibt sie egal ob in langer blau-goldener Robe, elegantem schwarzem Hosenanzug oder schlichtem langem weißem Nachtkleid (Kostüme: Irina Bartels) eine präsente, aber soweit dezente Diva, die sich trotz ihrer Vorrangsstellung nie mit falschen Affekten in den Vordergrund schummelt. Der die ganze Oper prägende raffinierte Anstrich eines Verismo mit den feinen Mitteln des Impressionismus steht dabei genau für die Kunst der Adriana, sich natürlich zu verausgaben und darob nie die Kontrolle zu verlieren. Durchaus glaubhaft und erschütternd gelingt es ihr auch die Abwandlung ihres Gifttodes zu einem aus künstlerischer Einsamkeit geborenen Entschluss von eigener Hand zu sterben glaubhaft über die Rampe zu bringen.
Die Regisseurin Katharina Thoma hält laut Interview den ursprünglichen Tod infolge eines vergifteten Veilchenstraußes, den ihr die Rivalin geschickt hatte, für eine Schmonzette, die bereits bei der Entstehung der Oper um die vorletzte Jahrhundertwende veraltet gewesen sei. Bewusst bürstet sie deshalb das Ende gegen das Libretto zum Drama einer Künstlerin, die aus früher Melancholie und unerträglichen Erinnerungen beschließt ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen. Optisch ist dies im schwarzen und bis auf ein Lotterbett zuletzt leeren Bühnenraum, in dessen Dunkel sie sich am Ende wankend verliert, durchaus nachvollziehbar gelungen. Die nur aus dem Off dringenden und ihr Ende beklagenden Stimmen des doch wieder zurück gekehrten Geliebten wie auch des langjährigen Verehrers wollen dazu allerdings gar nicht passen.
Zuvor hatte Dirk Becker die Drehbühne geschickt genutzt, um schnelle Szenenwechsel-Einsichten wie im ersten Akt zwischen Bühne und Garderobenbereich zu gewährleisten. Während die Realität die Gegenwart zeigt, werden die im Libretto erwähnten Bühnenstücke als Theater im Theater in historischen Papp-Kulissen gezeigt. Statisten deuten tänzerische Grundhaltungen an, zeigen später auch auf dem als Opernball organisierten Fest des Fürsten Bouillon die vom Frauenchor besungene Schäferserenade als Schattenspiel auf einer Leinwand. Eine durchaus geschickte Lösung für diese historisch verankerte Genre-Szene. Die in die Gegenwart versetzte Handlung stört im Übrigen vor allem deshalb nicht, weil die Personenregie wohltuend ungestelzt, in den komödiantischen Momenten mit den Schauspieler-Kollegen spritzig und in der Konfrontation der Rivalinnen durchweg spannend angelegt ist. Dabei ist die Fürstin Bouillon mal nicht als Giftschleuder mit brustig orgelndem Tonfall gezeichnet, sondern als empfindsame, von Ehrgeiz getriebene Frau, die um ihre Liebe kämpft, auch mit optischen Reizen, wie sie die Amerikanerin Fredrika Brillembourg in aparten Kleidern sowie mit feinfühligem Mezzosopran mit organisch ausgeformter Tiefe, feiner Mittellage und einem nur in den Spitzen etwas angestrengt wirkenden Höhenregister zu bieten hat.
Barbara Dobrzanska (Adriana) und Rodrigo Porras Garulo (Maurizio). Copyright: Falk von Traubenberg
In etwas gleich großer Publikumsgunst standen die beiden Männer um Adriana. Der ab nächster Saison zum Ensemble gehörende Mexikaner Rodrigo Porras Garulo stellte sich als stürmischer junger Graf Maurizio vor, dessen technisches Rüstzeug mit dem gegebenen dunkel tenoralen Material und dem impulsiven emotionalen Einsatz noch nicht ganz Schritt zu halten vermag. In den Höhen verengt sich die Stimme immer wieder, weil sie vorerst noch mit mehr Kraft als hinreichender Stütze angesetzt werden, doch bemüht sich der viele Sympathien gewinnende Nachwuchskünstler hörbar um viel Differenzierung. Im Laufe der Vorstellung sang er sich zudem immer mehr frei und hinterließ zuletzt einen überaus positiven Gesamteindruck. Von Anfang an kam dagegen Seung-Gi Jung mit prachtvoll warmem Bariton und manchmal etwas ausufernder Höhe als Michonnet in Fahrt, doch leider ist der Koreaner trotz einer Perücke grauen Zottelhaares und aller nuancenfeinen, zuletzt rührenden Gestaltung des Adriana verehrenden Theaterdirektors zu jung, um die Tragik des bis zuletzt mit seiner Liebe scheiternden alt gedienten Mannes glaubhaft zu machen.
Im weiteren Ensemble wirkten Konstantin Gorny als lebemännischer Fürst mit schon etwas spröde gewordenem Bass, Klaus Schneider als etwas verdruckster Abbé mit zu geradem Tonfall für die schnellen Parlando-Wendungen sowie Tiny Peters, Kristina Stanek, Cameron Becker und Yang Xu als rollendeckendes Schauspieler-Quartett, dessen letzter Auftritt vor dem Tod Adrianas als alt gewordene Mimen als köstlicher Kontrapunkt in dieser (lange nicht beachteten Bezeichnung Cilèas als) Tragikomödie zur Geltung kommt.
Der Badische Staatsopernchor wurde von Ulrich Wagner auf seinen kurzen, aber kompakten Auftritt im dritten Akt gut ergänzend vorbereitet.
Die entsagende Künstlerin: Barbara Dobrzanska als Adriana. Copyright: Falk von Traubenberg
So wie die Titelrollensängerin hat sich auch Dirigent Johannes Willig in die Auslotung der überaus tonmalerischen Anlage des Komponisten hinein gekniet, so präzise und klar aufgeschlüsselt wie auch mit Hingabe seitens der Badischen Staatskapelle ausgekostet entfaltete sich die mit Leitmotiven immer wieder kammermusikalisch aufgeschlüsselte Musik. Nur anfangs gerieten die vollen Orchesterausbrüche etwas massiv und dumpf, später zeigten sich die Musiker auch darin kompakt transparent. Diese spürbare Liebe zur Musik fand ihren Höhepunkt in den wehmütig ausgespannten Streicherpanoramen des Schlussaktes, wo selbst dem letzten sanft verklingenden Harfenton noch eine besonders delikate Note gegeben wurde.
Ein Jubelsturm empfing Barbara Dobrzanska vor dem prachtvoll rotgoldenen Bühnenvorhang, ehe auch die weiteren Hauptrollenträger und Dirigent und Orchester in die Ovationen einbezogen wurden. Sogar die Regie kam trotz empfindlichen Eingriffs im Finale ohne Unmutsäußerungen davon.
Udo Klebes