Kantabrien kann sich sehen lassen (2. Mai 2013)
von Ursula Wiegand
Schon beim Anflug – klare Sicht vorausgesetzt – fällt auf, wie hübsch sich Santander in eine Meeresbucht schmiegt, und selbst in der Stadt gibt es breite, saubere Strände wie den beliebten Sardinero-Strand.
Santander mit Sardinero-Strand. Foto: Ursula Wiegand
Dort stapfen ständig Spaziergänger durch den weichen Sand. Auf den kilometerlangen Promenaden am Ufer wird flaniert, gejoggt und geradelt. Ein Bild, das ein bisschen an Rio und seine Copacabana erinnert, mit dem kleinen Unterschied, dass man sich hier auch nächtens angstfrei bewegen kann.
Von der Spanischen Finanzkrise ist im properen Santander, das nach dem Großbrand von 1941 mit gutem Geschmack wieder aufgebaut wurde, kaum etwas zu spüren. Das Sterne-Restaurant El Serbal ist gut besucht, und wenn gespart wird, profitieren andere davon.
Santander, Pinchos (Tapas) im Casa Líta. Foto: Ursula Wiegand
So das Restaurant Casa Lita an der Promenade Paseo de Pereda. Anstatt teuer essen zu gehen, kommen jetzt viele, um sich an den leckeren Pinchos (= Tapas) gütlich zu tun. Der Laden brummt. Täglich 800 Portionen gehen über die Theke, an Spitzentagen bis zu 2.000. Schon 3 Stück machen richtig satt und ausflugslustig, zumal am Horizont die schneebedeckte Kette der Picos de Europa verlockend leuchtet.
Nur 30 km ist dieses Gebirge luftlinienmäßig von der Kantabrischen Küste entfernt. Die Straßen machen jedoch Umwege von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf. Dennoch kann man in rd. zweistündiger Fahrt von Santander in die Berge gelangen.
Picos de Europa, Skiläufer. Foto: Ursula Wiegand
Noch im Mai nutzen dort, auf mehr als 2.000 m Höhe, Wintersportler den letzten Schnee. Im Sommer sind in diesem Gebiet – gleichzeitig ein fast 650 qkm großer Nationalpark – Wandern, Klettern, Montainbiking und Gleitschirmfliegen angesagt. Als höchster der Picos bringt es der Torre de Cerredo auf 2.648 Meter.
Picos de Europa, Seilbahn-Bergstation. Foto: Ursula Wiegand
Wem solche Berg- und Klettertouren zu anstrengend sind, fährt mit der Seilbahn von Fuente Dé hinauf zur 1.850 Meter hoch gelegenen Bergstation und blickt von der Aussichtsterrasse über grüne Täler und bewaldete Hügel auf das großartige Gipfelpanorama. Etwa 240.000 Besucher pro Jahr – darunter viele Franzosen, Holländer und Deutsche – nehmen den „Teleferico“, um diesen Anblick zu genießen.
Auf dem Hin- oder Rückweg empfiehlt es sich, Zeit für Entdeckungen einzuplanen. Ein Abstecher nach Santo Toribio, dem ältesten und bedeutendsten Kloster Kantabriens, ist ebenso ein Muss wie ein Halt im mittelalterlichen Städtchen Potes im Liébana-Tal.
Potes, Altstadtidyll am Fluss Quiviesa. Foto: Ursula Wiegand
Solide Feldsteinbrücken führen hier über den munteren Quiviesa. Enge Kopfsteingassen schlängeln sich durch die unter Denkmalschutz stehende Altstadt. Der wuchtige Infantado-Turm, 600 Jahre Sitz einer Adelsfamilie, setzt sich am Fluss-Ufer in Szene. Neuerdings beherbergt er eine Ausstellung über den Mönch Beatus von Liébana, der dort im 8. Jahrhundert einen Kommentar zur Apokalypse und eine der ersten christlichen Weltkarten zu Papier brachte.
Bei solchen Touren zeigt sich Kantabrien als ein grünes Land mit gemütlichen, noch weitgehend ursprünglichen Dörfern. In einigen, wie in Cicera, sind sogar die öffentlichen Waschhäuser erhalten. Gerade säubert dort eine Bewohnerin einen Teppich.
Cicera, Teppichreinigung am Dorfwaschhaus. Foto: Ursula Wiegand
Auf saftigen Wiesen grasen hier Kühe und Ziegen. In gepflegten Gärten wachsen Blumen und Gemüse. Frische regionale Produkte prägen die traditionelle, mitunter deftige Küche. Auf dem Land kostet ein Dreigangmenü oft nicht mehr als 9 Euro.
Wegen dieser guten Ernährung galten die kantabrischen Frauen schon immer als besonders gesund und waren als Ammen in ganz Spanien begehrt. Noch der Vater des jetzigen Königs hatte eine Amme aus Kantabrien,“ weiß Begleiter Daniel Escudero. In Selaya, südlich von Santander, hat man in 2007 ein Ammenmuseum geschaffen. (Öffnungszeiten Fr., Sa. So 11-14 und 16.30-19.30 Uhr, im August und September von Di-So geöffnet).
Cicera, ein ursprüngliches Dorf. Foto: Ursula Wiegand
Das strotzende Grün gibt’s aber nicht gratis, was heißt, dass es in Kantabrien öfter mal regnet. Wetterwechsel sind häufig, und selbst im Sommer klettern die Temperaturen selten über 25 Grad Celsius. Im Schatten wohlgemerkt. Das aber lockt die eigenen Landsleute herbei. Im Juli und August flüchten sie aus der Hitze Madrids und Südspaniens ins frische Kantabrien, während ausländische Gäste ebenso gerne das angenehme Septemberwetter genießen.
Santillana del Mar, Stiftskirche der Hl. Juliana, Portal. Foto: Ursula Wiegand
Interessante Eindrücke lassen sich jedoch jederzeit sammeln. Viel Vergnügen macht ein Besuch von Santillana del Mar, westlich von Santander. Mittelpunkte dieses Juwels sind das vor 1.200 Jahren gegründete Benediktinerkloster mit dem weitgehend erhaltenen Kreuzgang und die Stiftskirche, das beste Beispiel romanischer Baukunst in Kantabrien. Sie hütet die Reliquien der Hl. Juliana, der Stadtpatronin. Im Parador Gil Blas , einem ehemaligen Herrenhaus, können die Gäste stilgerecht übernachten und sehr gut speisen.
Comillas, El Capricho von Antoni Gaudí. Foto: Ursula Wiegand
Noch ein paar Kilometer weiter westlich liegt Comillas, und das wird wortwörtlich zum Gaudi. Denn dort lieferte der spanische Architekt Antoni Gaudí (1852-1926) mit dem „El Capricho“ eines der ersten Beispiele seiner überbordenden Fantasie und genialischen Begabung. Für den reichen, exzentrischen Geschäftsmann Máximo Diaz de Quijano schuf er von 1883-85 ein mit kunterbunten Kacheln verkleidetes Haus im Modernisme-Stil (die orientalisch beeinflusste katalanische Variante des Jugendstils.)
Comillas, El Capricho von Antoni Gaudí, Dachszenerie. Foto: Ursula Wiegand
Neben sonstigem Zierrat sind überall die Majolika-Sonnenblumen und weitere naturnahe Schmuckelemente zu sehen. Wer nun angesichts des farbstark-verspielten, unregelmäßigen Baus mit seinen Türmchen und Dächern an Friedensreich Hundertwasser (1928-2000) denkt, liegt genau richtig. Der hat sich sehr wohl von Gaudí inspirieren lassen.
Auf dem Hügel gegenüber fällt ein roter, sehr viel größerer Bau ins Auge: die frühere Päpstliche Universität, die der Marquez Antonio Lopez y Lopez zur gleichen Zeit von eigenem Geld errichten ließ.
Comillas, Päpstliche Universität, Blick vom El Capricho. Foto: Ursula Wiegand
Schon mit 14 Jahren war er als armer Junge nach Amerika ausgewandert und hatte dort ein Vermögen gemacht. Nun investierte er es in diesen neogotischen Großbau. Heutzutage dient das aufwändig ausgestattete und gekonnt restaurierte Gebäude als Sprachschule für ausländische Studenten.
Doch zurück zum weitaus ärmeren Antoni Gaudí, der auf der Architekturschule zunächst nur durch sein außergewöhnliches Zeichentalent auffiel. Damit war er jedoch ein würdiger Nachkomme der begabten Steinzeitmenschen, die vor rund 14.000 Jahren (!) die Höhle Altamira mit polychromen Tierzeichnungen ausschmückten.
Altamira, polychrome Deckenmalereien, Foto: Museum von Altamira
Entdeckt wurde die Höhle 1868 durch einen Jäger, aber erst Jahre später fielen die Malereien einem kleinen Mädchen auf, das mit seinem Vater Don Marcelino durch die zu seinem Grundbesitz gehörige Höhle ging.
Französische Experten nannten die Zeichnungen zunächst eine plumpe Fälschung, doch als man im eigenen Land rd. 20 Jahre später eine ähnlich dekorierte Höhle entdeckte, wurden die Malereien von Altamira als echt anerkannt und zur Sensation.
Da aber der Atem der Besucher die prähistorischen Kunstwerke in Gefahr brachte, wurde die Höhle 2001 fürs Publikum geschlossen, vorher jedoch genau vermessen und in einem nahen modernen Museum originalgetreu nachgebaut. Auch die Zeichnungen wirken echt. Sie zeigen Bisons, Pferde, Hirsche und Wildschweine, Ritzungen und Handabdrücke.
Höhle El Soplao. Foto: Ursula Wiegand
Altamira ist nur eine, wenn auch die wichtigste, von den etwa 6.500 Kalksteinhöhlen Kantabriens. Woanders haben sich Wassertropfen auf natürliche Weise ein spektakuläres unterirdisches Universum erschaffen, wie in der Höhle El Soplao. Auch die wird von vielen besichtigt, aber von Altamira mit jährlich rd. 300.000 Schaulustigen deutlich übertroffen.
Zum größten Besuchermagnet hat sich jedoch der Naturpark Cabárcena nahe Santander entwickelt, geschaffen in einem Gebiet, wo schon in Römerzeiten und bis 1989 Eisenerz abgebaut wurde.
Naturpark Cabárceno, Elefant. Foto: Ursula Wiegand
Nach der Werksschließung wollte die Stadt das Gelände als Müllkippe nutzen, doch die Bevölkerung hatte Besseres im Sinn. Zehn Monate lang haben tausend Menschen rund um die Uhr gearbeitet, Abraumhalden abgetragen, das felsige Gelände modelliert und 6.000 Bäume gepflanzt. 1990 wurde der 300 qm große Naturpark eröffnet und sieht inzwischen aus, als hätte es ihn schon immer gegeben.
Seine Attraktion sind – nicht nur für Kinder! – einheimische und exotische Tiere, die dort fast wie in freier Wildbahn leben und sich gut beobachten lassen. Viele deutsche Zoos haben über die Jahre immer wieder Jungtiere an den Tierpark abgetreten, und die haben sich beachtlich vermehrt.
Nun stolzieren hier Giraffen umher, schleichen Tiger durchs Gras. Die Löwen machen gerade Siesta, und auch die Bären lümmeln sich herum. Selbst die Sträuße haben es nicht eilig, und nur einer der 15 Elefanten ist auf Futtersuche unterwegs.
Naturpark Cabárceno, kleiner Gorilla liegend. Foto: Ursula Wiegand
Dass die Tiere etwas gelblich wirken, liegt an der eisenerzhaltigen Umgebung, doch die schadet ihnen nicht. Die wertvollen Gorillas sind allerdings in einem Haus untergebracht und durch eine Glasscheibe von den Menschen getrennt. Auch sie scheinen sich sichtlich wohl zu fühlen.
Jährlich rd. 500.000 Besucher kommen in diesen stadtnahen Naturpark, können hier wandern, radeln, einige Straßen mit dem Auto befahren und im Parkrestaurant gut essen. Offensichtlich fühlen sich dort viele fast wie im wieder gefundenen Paradies.
Infos auf Deutsch unter www.spain.info, www.turismodecantabria.com und www.cantur.com (beide u.a. auch auf Deutsch). Das Spanische Fremdenverkehrsamt für Österreich in Wien hat die Tel.Nr. 431-512 95 80.
Am Ende des Sardinero-Strands von Santander liegt das Hotel Chiqui. Alle Zimmer mit Meeresblick. Tel. 0034-942 282 700, Internet: www.hotelchiqui.com.