Kaiserslautern / Pfalztheater: „TANNHÄUSER“
Besuchte Vorstellung am 15.10.2022
Die gekrönte Venus, daneben Tannhäuser, Elisabeth und Wolfram. Foto: Pfalztheater Kaiserslautern
Wegen gesundheitlicher Probleme konnte ich die Premiere „Tannhäuser“ von Richard Wagner am Pfalztheater vor einer Woche nicht besuchen, holte nun das Versäumnis heute nach. Nachdem der langjährige Intendant Urs Häberli das Haus nun verlassen hat übernahmen zur neuen Spielzeit 2022/23 der Bariton Daniel Böhm sowie GMD Daniele Squeo zunächst kommissarisch die Intendanz, einer begrüßungswerten Deliberation zweier qualifizierter kompetenter Mitarbeiter. Verfolgen wir weiter mit Interesse den Trend dieses Modells. Nach meiner kürzlich am Aalto-Theater besuchten musikalisch exzellenten Tannhäuser-Aufführung, sah ich nun der neuen Version mit großer Spannung entgegen zudem der heutige Titelheld auch in Essen alternierend fungiert.
Gabriele Rech führte Regie, mir aus diversen Inszenierungen wohl bekannt neigte bisher gerne zu befremdlichen Changements der Werkstreue, so blieb sie auch heute ihrem Konzept treu. Zur Ouvertüre erhoben sich auf dem eisernen Vorhang wunderschöne bunte Video-Adaptionen (Gregor Eisenmann), im Nachhinein gesehen boten sie die schönste Optik des Abends. Der Venusberg fand vor selbigem Vorhang statt, links am Bühnenrand befand sich die Harfe ein Sessel, rechts das zweckdienliche Chaiselongue der blondgelockten üppigen Venus in unvorteilhaft enger Robe. Tage, Monde der arme Strapazierte schaffte gerade noch ein sekundäres Nümmerchen, als letzter Versuch den Strebenden zu halten folgte eine Dreier-Parodie mit junger Gespielin (sie entpuppte sich später als Hirt). Elisabeth besang die teure Halle als Heimchen am Herd in einer winzigen Küchenzeile, die Liebe geht bekanntlich durch den Magen und schöpfte sie dem bereits wohlgenährten Tannhäuser Suppe aus der Terrine, zum Dessert gab es einen Quicky, per Drehbühne öffnete sich endlich die Halle, an Tischen und Bänken mit Brezeln ging`s zünftig zu. Ein furchtbares Verbrechen ward begangen, die ehrenwerte Herrengesellschaft tat dasselbe nahm sich Elisabeth vor, Tannhäuser wurde ausgepeitscht. Nach dem Gebet im dritten Aufzug verkrümelte sich die Ramponierte in den Sessel, Venus umgarnte während des „Abendsterns“ Wolfram vergeblich, wandte sich Elisabeth zu , richtete das Kleid, gab ihr Krone und Würde zurück, ein inniger Kuss folgte, Dornröschen wurde wachgeküsst, die Krone wechselte die Häupter, Rollentausch und Platzwechsel, Elisabeth räkelte sich nun lasziv auf der Couch, heilige Elisabeth bitte für mich-Tannhäuser schied dahin – na denn! Die neuzeitlichen Kostüme sowie das Bühnendekor besorgte Nicola Reichert. Soweit die obskure Szenerie dem Spiegelbild einer gedanklich im Kern ideologisch freien Gesellschaft. Eine zwar interessante Sichtweise jedoch zur Textur völlig indiskutabel.
Glücklicherweise bot die musikalische Komponente imponierende Höhepunkte. Als Titelheld brillerte Corby Welch in prägnant-intensiver Rollengestaltung. Sein Heldentenor faszinierte mit vortrefflicher Tonalität, bester Deklamation, schönem Timbre und während der ersten beiden Aufzüge mit strahlkräftigen Stentortönen. Doch Welch konnte auch anders, seine vokale Psycho-Studie im dritten Aufzug ging regelrecht unter die Haut. Eindringlich, fein nuanciert, wunderbar verhalten, verzweifelt in tenoral-farblicher Ausdrucksstärke präsentierte der Sänger die bewegende Romerzählung sowie das erschütternde Finale.
Ihm zur Seite geradezu eine sensationelle Sopranentdeckung Arminia Friebe. Anmutig, selbstbewusst nahm die junge Sängerin als ideale Elisabeth für sich ein. Be(ver)zauberte im jugendlichen Überschwang des Jubeltons ebenso wie in zartem Legato, wundervollen Piani ihrer herrlich timbrierten aufblühenden Sopranstimme. Lyrisch aufschwingend in glühender Liebe, verhalten innig im Gebet vereinte Friebe auf vorzügliche Weise alle Facetten zum bemerkenswerten Rollenportrait. Bravo!
Mit dramatischem Aplomb sang Heike Wessels die Venus, färbte ihren mächtigen Mezzosopran mit dunklen Couleurs und klangvollem Höhenpotenzial, ließ jedoch warme sinnliche Töne gänzlich vermissen.
Silberhell strahlend erbat Monika Hügel (oder war es Indira Hechavarria dem Programm leider nicht entnehmbar) das Seelenheil des Hirten.
Die Herren Landgraf und Wolfram wurden als erkältet angesagt, doch schlugen sich beide Sänger tapfer über die Runden. Konstantin Gorny verkörperte mit majestätischer Würde den Landesvater und schenkte ihm vokal noble sonore Basstiefen. Von kleinen Unebenheiten abgesehen ließ Karel Martin Ludvik seinen wohltimbrierten Bariton zur Ansprache und Abendstern aufblühen und verlieh dem Wolfram ein glaubwürdiges Profil.
Mit feinem hell-strahlendem Tenor warf sich Daniel Kim als Walther zielsicher in den Sänger-Wettstreit. Mit profundem Bass ließ Johannes Scharz (Biterolf) aufhorchen, schöne Stimmen Jaesung Kim (Heinrich), Radoslaw Wielgus (Reinmar) sowie Neung Mi Lee, Evgeniya Selina, Andrea Wehrle-Zabold, Dominique Engler (Vier Edelknaben) ergänzten das Ensemble.
In großartiger Formation sorgte der bestens disponierte Chor und Extrachor mit gewaltigem Fortissimo und schier gehauchten Piani, prächtig abgestuft für qualitativ hohe Klangkultur.
Nach der zupackend musizierten Ouvertüre steigerte sich GMD Daniele Squeo mit der differenziert aufspielenden und gut disponierten (von einigen Blechbläser-Tönen abgesehen) Pfalzphilharmonie Kaiserslautern in unangenehme Forte-Eruptionen. Ich hörte Harfenklang, er kam wohl nicht von ihr? Oh doch, so wunderschön sphärisch wie von Konstanze Licht angeschlagen vernahm man ihn so plastisch, transparent nie zuvor.
Das Publikum des zu Zweidrittel besetzten Hauses feierte alle Mitwirkenden lange und begeistert.
Gerhard Hoffmann