Kaiserslautern / Pfalztheater: „FIDELIO“ – LETZTE VORSTELLUNG DER LETZTEN OPERNPREMIERE DER SAISON – 17.7.2015
Als letzte Premiere der Saison (Pr. 20.6.2015) erlebte L. v. Beethovens einzige Oper „Fidelio“, in der die immer wieder aktuelle Sehnsucht der Menschheit nach Freiheit, auch im aussichtlos erscheinenden Kampf, und das „Hohelied“ der Liebe zum Ausdruck kommen, in der Inszenierung von Heinz Lukas-Kindermann nun knapp einen Monat später schon die letzte Vorstellung der Spielzeit.
Beethoven und seine Librettisten (J. F. v. Sonnleithner, S. v. Breuning und G. F. Treitschke) verlegten die Handlung in ein Staatsgefängnis bei Sevilla im 18. Jh., was in den vergangenen Jahrzehnten vielen Regisseuren Gelegenheit zu mehr oder weniger realistischer Aktualisierung und „Modernisierung“ gab.
Lukas-Kindermann brachte im Pfalztheater Kaiserslautern ein riesiges modernes Hochsicherheits-Gefängnis mit Angst und Schrecken verbreitenden „Extras“ auf die Bühne. Da flimmert ständig ein übergroßes Oszillogramm (was mag es anzeigen?), bedient die modisch gekleidete Marzelline (Kostüme Gera Graf) drei Computer, laden Uniformierte in (hier diesmal) hellen Uniformen zahlreiche gefüllte Leichensäcke auf Karren und schieben sie ins Abseits, kommen mit vielen sehr unterschiedlichen Koffern (der Gefangenen?) wieder und beschäftigen sich mit dem Inhalt, das alles durchkreuzt von zahlreichen langen roten Fäden („Gummistrippen“), um das nach allen Seiten Gefangensein und die Ausweglosigkeit zu unterstreichen (Bühne Heinz Hauser).
Das Orchester des Pfalztheaters spielte unter der Leitung von Uwe Sandner, abgesehen von vor allem anfangs etwas zu viel Lautstärke (was gegenwärtig allgemein üblich ist), sehr sängerfreundlich. Solisten und Chor hatten immer genügend Freiraum für ihre gesangliche Entfaltung. Es gab immer wieder auch wunderbare, berührende und beglückende Piano-Passagen im Orchester, die Beethovens humanistische Vorstellungswelt in Musik umsetzten und stark berührten. Schade nur, dass durch die harte Akustik des Hauses manche Forte-Stellen zu laut schienen.
Wieland Sattler hätte allerding als, wirklich Furcht und Schauder erregender und bis zum Äußersten gewaltbereiter, Don Pizarro mit seinem sonoren Bass-Bariton auch mit einem sehr lauten Orchester keine Probleme gehabt, hier aber konnte er sich auch auf die gesangliche Gestaltung und Darstellung konzentrieren, was ihn fast als Einzigen zu einer unbedingt glaubwürdigen Persönlichkeit mit aller Konsequenz machte. Einen so „durchschlagenden“ Pizarro als Gesamterscheinung findet man nicht oft.
Als sein Gegenspieler Florestan verkörperte Steffen Schanz die humanistische Seite, den für Gerechtigkeit kämpfenden und deshalb zu Unrecht eingekerkerten, schwer geprüften Mann. Bereits sein erster, exakt nach der Notierung lang ausgehaltener Ton ließ aufhorchen, eine Leistung, die von vielen Sängern „unterschlagen“ wird. In sehr guter Artikulation und Textverständlichkeit kamen die Worte als Ausdruck des Leidens zunächst bewusst langsam über seine Lippen. Später konnte er sich aber auch ins Dramatische steigern bis hin zur „namenlosen Freude“. Er verkörperte die Gestalt des Florestan sehr glaubhaft.
Mit ebenfalls glaubhaftem Spiel, aber weniger gutem Gesang wartete Adelheid Fink als Leonore auf. Durch ihr engagiertes Spiel und sympathische Darstellung hatte sie aber trotzdem die Opernbesucher auf ihrer Seite.
Nicht nur darstellerisch, sondern auch stimmlich präsent war Guido Jentjens als Kerkermeister Rocco. Er verkörperte den alten Kerkermeister als nicht unbedingt hinterfragenden, aber aufrichtigen Menschen zwischen Pflicht und Gewissensskrupel und einem realistischen Verhältnis zu Geld, das er nicht für sich, sondern zur Absicherung des Lebens seiner Tochter nicht verschmäht.
Seiner „Tochter“ Marzelline gab Monika Hügel Gestalt, entsprechend der Regiekonzeption ein in ihrer Jugend etwas leichtfertiges modisch gekleidetes, leicht egozentrisches Wesen mit beinahe soubrettenhafter Stimme, das aber dann auch die Gefangenen mit Wasser labt (mit Schöpfkellen und Wassereimer).
Ein wenig charakteristischer Jaquino war Daniel Kim, der weder gesanglich noch darstellerisch wirklich überzeugen konnte, ebenso die beiden Gefangenen Daniel Ewald und Ralph Jaarsma, deren viel zu verhaltene Stimmen kaum wirksam werden konnten.
Daniel Böhm fehlte als Don Fernando die Strahlkraft des plötzlich erscheinenden (wenn auch realitätsfremden) Ministers, der kraft seines Amtes als Vision der Menschlichkeit alles in Humanität zum guten Ende führt. Er erschien eher wie ein (durchschnittlicher) Mensch mit humanistischen Gedanken und Gefühlen, dessen Gesang wenig beeindruckte.
Gut und zuverlässig sang der Chor des Pfalztheaters und der Extrachor in der Einstudierung von Chordirektor Ulrich Nolte, der nach der Vorstellung auf der Bühne offiziell vom Operndirektor in den Ruhestand verabschiedet wurde – eine schöne Geste, die leider auch immer seltener wird.
Ingrid Gerk