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KAISERSLAUTERN/ Pfalztheater: „BÜRCKEL! – FRAU GAULEITER STEHT IHREN MANN – Dernière

10.07.2022 | Theater

Kaiserslautern: „BÜRCKEL! – FRAU GAULEITER STEHT IHREN MANN – Dernière 8.7.2022

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Copyright: Pfalztheater Kaiserslautern

„Ich war selten in Wien. Aber wenn ich in Wien war, dann war ich in Wien!“ Hilde Bürckel geb. Spies hat gemischte Erinnerung an die Donaumetropole. Die Gastwirtstochter aus Landau in der Pfalz war die Ehefrau von Josef Bürckel (1895-1944). Bürckel, eigentlich Volksschullehrer, brachte es als überzeugter Nationalsozialist zuerst zum Gauleiter der Pfalz und dann zusätzlich zum „Reichskommissar für die Rückgliederung des Saargebiets“, nachdem letzteres gemäß dem Versailler Vertrag 1935 per Volksabstimmung wieder zu Deutschland kam. Bürckels Durchsetzungsvermögen und seine Rücksichtslosigkeit bei politischen und „rassischen“ Säuberungen bewogen Hitler 1938, ihn zum „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ und zum Gauleiter in Wien zu ernennen. Bürckel griff wunschgemäß brutal und effektiv durch, machte sich aber zu viele Feinde und wurde im August 1940 durch den wesentlich geschmeidigeren Baldur von Schirach ersetzt. Joseph Goebbels, einer von Bürckels Intimfeinden in der NS-Hierarchie, notierte: „Wien wächst Bürckel über den Kopf.“ In Peter Roos’ Ein-Personen-Stück „Bürckel! – Frau Gauleiter steht ihren Mann“, einem Auftragswerk des Pfalztheaters Kaiserslautern, kommt Hilde zu einem ähnlichen Schluss: „Wien war der Anfang vom Ende.“ Und es entfährt ihr der Stoßseufzer: „Ach wärst Du doch ein kleiner pfälzischer Schulmeister geblieben! Und aus uns wäre eine ganz normale kleine Nazi-Familie geworden, bescheiden, aber Beamte, abgesichert, aber deutsch, zwei Kinder, ein Auto, und in der Kirchengemeinde.“ Bei Wien denkt sie nicht nur an das Flair der Donaumetropole, an lange Abende beim Heurigen und den von Bürckel organisierten triumphalen Empfang Hitlers, sondern auch an die langen Abwesenheiten ihres Ehemannes von seiner pfälzischen Heimat und Familie und an dessen Affäre mit der Wiener Schauspielerin Friedl Czepa, die er sogar zur Direktorin des damaligen Wiener Stadttheaters im 8. Bezirk machte.

Es ist Hannelore Bähr, die fast zwei Stunden lang als Hilde Bürckel  und „Frau Gauleiter“ in Susanne Schmelchers Inszenierung auf der Werkstattbühne des Pfalztheaters steht – in einer fiktiven Selbstbefragungs – und Rechtfertigungsszene nach dem Krieg und der Niederlage des NS-Regimes. Beim Klang eines Wienerliedes aus dem Lautsprecher werden ihre Züge weich, doch im allgemeinen hat sie das Korsett zeittypischer Härte und Männlichkeit übergestreift: Streng, aufrecht, diszipliniert, allerdings – als Verliererin des Krieges – mit einem deutlichen Zug ins Verhärmte und Verbitterte. Eigenartig kontrastiert dazu, wie sie in einer Mischung aus Verachtung und Faszination mit piepsender Stimme Leonhard Märkers Schlager „Warum lügst du, Chérie, warum?“ aus dem Jahr 1937 nachsingt. Friedl Czepa war wohl nicht die einzige Affäre. In Saarbrücken soll Bürckel eine geheime Wohnung unterhalten haben, und nachdem ihm 1940 anstelle von Österreich das eroberte französische Lothringen unterstellt wurde, zeugte er dort auch ein Kind. Als „alter Kämpfer“ kletterte Bürckel 1941 noch einmal die Karriereleiter hinauf, als Hitler ihn zum Reichsstatthalter der nunmehr aus der Pfalz, dem Saarland und Lothringen bestehenden „Westmark“ ernannte.

In Wien hatte Bürckel schon 1938 die „Zentralstelle für  jüdische Auswanderung“ gegründet und mit Deportationen begonnen, dies setze er dann in der Westmark fort; saarpfälzische und lothringische Juden, aber auch französisch gesinnte Lothringer wurden in das berüchtigte Lager Gurs in Südfrankreich verbracht. Trotz dieser und anderer Verbrechen blieb er in der Pfalz eine relativ populäre Figur, wozu auch seine (für die Region nicht untypische) burschikos-joviale Attitüde und seine Herkunft aus dem linken, betont antikapitalistischen Flügel der NSDAP beigetragen haben dürften. Hoch angerechnet wurde ihm sein Einsatz zugunsten der notleidenden pfälzischen Winzer. Wikipedia vermerkt ebenso treffend wie nüchtern: „Mit der Einrichtung der Deutschen Weinstraße 1935 gelang es den nationalsozialistischen  Machthabern, innerhalb kurzer Zeit Fremdenverkehr und Weinabsatz zu steigern, ohne dass große Kosten entstanden; die Wirkung hält bis heute an.“ So wurde 1936 aus Neustadt an der Haardt, dem Sitz der Gauleitung, Neustadt an der Weinstraße, und diesen Namen trägt die Stadt noch heute. Und natürlich muss man konstatieren: Bürckels früher Tod im September 1944 bewahrte ihn vor Niederlage, Gefangenennahme und Kriegsverbrecherprozess. Der Legendenbildung war das dienlich, der späteren Aufarbeitung eher hinderlich. 

„Bürckel in Wien“ wäre eine begrenzte Episode, die sich als dokumentarisches Theater abhandeln ließe, „Bürckel in der Pfalz“ ist komplexer und hat mit dem nach 1945 weiterwirkenden Mythos zu tun. Autor Peter Roos, Jg. 1950, ist mit beiden Facetten vertraut. Er lebt und wohnt in Wien und auch im unterfränkischen Marktheidenfeld, ist aber im pfälzischen Göllheim aufgewachsen und dorthin für die Arbeit an diesem Auftragswerk des Pfalztheaters auch noch einmal für einige Wochen hin zurückgekehrt. Die Wiederbegegnung mit seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen schildert er in einen interessanten Interview mit dem kleinen regionalen Fernsehsender OK-TV Ludwigshafen. Sein Vater, Tierarzt in Göllheim, war selbst überzeugter Nationalsozialist; nach dem Krieg wurde vieles beschwiegen, manches angedeutet, manchem kam der Bub selbst auf die Spur, ohne es recht einordnen zu können. In der Gesellschaft „waberten“ die Erinnerungen. Roos beschreibt im Interview das Gefühl, Bürckel und Hitler hätte daheim unsichtbar mit am Tisch gesessen. Eben diese zwielichtige Nachkriegs-Atmosphäre spiegelt sich in dem langen, entlarvenden Monolog, den er Hilde Bürckel in den Mund legt. Teilweise redet sie im Pfälzer Dialekt wie unter vertrauten Menschen, teilweise hochdeutsch wie auf dem Amt oder vor Gericht, und des öfteren übersetzt sie sogar ihre eigenen Aussagen ins Hochdeutsche, um nur ja verstanden zu werden.

Ausstatterin Marion Hauer stellt Hannelore Bähr auf ein Holzpodium mit einer Fichtenwald-Tapete im Hintergrund; darüber lesen wir den Namen der luxuriösen Jagdhütte, die sich Bürckel im nördlichen Pfälzerwald zwischen Ramsen und Göllheim errichten ließ. Sie hieß „Lass mich in Ruh“ – passend zum etwas rauen Kommunikationsstil der Region – und sollte der Erholung dienen. Tatsächlich scheint sie aber weniger ein familiäres Refugium als ein Ort männerbündischer Trinkgelage gewesen und ein Tribut an die althergebrachte Verklärung des deutschen Waldes gewesen zu sein. Für letzteres jedenfalls spricht ein überliefertes und im Programmheft abgedrucktes Familienfoto, auf dem Hilde im Vordergrund ein Reh füttert; eine Plastikfigur dieses Rehs stellt die Darstellerin dann irgendwann auch demonstrativ auf die Bühne. Eine gewisse Rolle spielt ein am Haken hängender weißer Trenchcoat. Hilde verbindet damit die attraktive Erscheinung ihres Mannes, aber auch seine Neigung, sich in der uniformierten NS-Entourage bisweilen demonstrativ zivil zu geben. Unter der Bühne stapeln sich eine Menge Aktenordner; Hilde fischt davon immer wieder einen heraus und liest das eine oder andere Papier – manchmal in demonstrativer Rechtfertigungshaltung, manchmal in ehrlichem Erschrecken. Dass ihr die Erinnerungen zusetzen, merkt man an zwei widersprüchlichen körperlichen Übersprungshandlungen. Immer wieder bemalt sie zwischendurch die Waldtapete mit weißer Kreide, als ob sie den Wald in ein winterliches Idyll verwandeln wollte, dann wiederum reißt sie Teile der Tapete ab, so dass sie immer mehr vor einem nackten Holzgerüst dasteht.

Widersprüchlich ist auch, was sie sagt. Immer wieder rechtfertigt sie den brutalen Umgang ihres Mannes mit der jüdischen Bevölkerung, von deren endlichem Schicksal sie dann doch wieder nichts gewusst haben will. Sie erschrickt über die lange Liste mit Vorschriften und Verboten, in denen sich der allmähliche Prozess der Entrechtung dokumentiert; der ortsansässige Lehrer hat sie ihr beim Einkauf auf dem Neustädter Wochenmarkt in den Einkaufskorb gesteckt und sie hat sie dann doch gleich in der Marienkirche gelesen. „Kuchen verboten!“ – Details wie dieses wollen ihr dann auch nicht in den Kopf, und es ist ihr, als ob der Jesus am Kruzifix bei jeder einzelnen Schikane genickt habe. Sie mokiert sich über Josephs Sprachpurismus, der sich gegen die zahlreichen jiddischen und französischen Einsprengsel im Pfälzer Dialekt wendet; die zu verwendenden Ersatzbegriffe hingen auf einer Liste am Küchenschrank. Die Anfeindungen, denen sie als gewesene „Frau Gauleiter“ begegnet, registriert sie mit Empörung und versteigt sich im historischen Vergleich. „Wir“, so eine neuerdings wieder populäre Denkfigur, „sind die Juden von heute.“ Empört registriert sie auch die Weigerung eines Pfarrers, ihr die Beichte abzunehmen; dabei habe ihr Mann diesen wegen „Kanzelmissbrauch“ völlig zu Recht ins Konzentrationslager bringen lassen. Beim „lieben Gott“ entschuldigt sie sich, dass sie mit ihrem Mann aus der Kirche ausgetreten ist, und betont zu ihrer Entlastung, dass sie immerhin nie in die Partei eingetreten sei – trotz Hitlers Angebot einer niedrigen Mitgliedsnummer. Eine richtig stramme Nationalsozialistin war sie wohl wirklich nicht, und es war eine Schande für Joseph, als sie beim Nürnberger Parteitag auf der Ehrentribüne ohnmächtig wurde. An Hitler als Charmeur erinnert sie sich aber gerne. Dann wieder erzählt sie, wie die Schwiegermutter dem Sohn „den Kopf gewaschen habe“ wegen der Maßnahmen gegen die Juden; zurück im Auto sei er dann doch wieder der alte, stramme Nazi gewesen. Das typische Männer-Gehabe durchschaut sie, berichtet vom Strammstehen vor dem „Führer“ am Telefon, von Alkoholgelagen, Medikamenten-Missbrauch und Streit in der Ehe – und fragt sich dennoch: „Was macht man, wenn man so einen liebt?“

Fast zwei Stunden lang rollt Peter Roos immer wieder neue Facetten auf, und Hannelore Bähr zeigt Hilde Bürckel, wie sie schwankt zwischen bekannten Phrasen und ernsthaftem Nachdenken, zwischen billiger Entschuldigung und ernsthaftem Erschrecken, zwischen Selbstmitleid und Ansätzen zu einem schlechten Gewissen. Dass viele Angehörige der Kriegsgeneration sich ins Schweigen über das Erlebte zurückzogen, wird immer wieder berichtet. Hier auf der Bühne erleben wir, was sie so oder so ähnlich hätten sagen können und was man dann vielleicht hätte mit ihnen besprechen können. Und man fragt sich als Zuschauer auch: Gibt es nicht doch eine Chance, ideologisierte und fanatisierte Menschen zu erreichen? Jedenfalls solange sich ein Rest-Gespür für Mitmenschlichkeit bewahrt haben? Wie es Hilde Bürckel am Ende mit ihrer Vergangenheit ergangen ist, erfahren wir nicht. Das Stück endet, in dem die Bühnenarbeiter ganz nüchtern mit dem Abräumen anfangen. Eine szenische Verlegenheitslösung – oder ein hintergründiger Schluss mit Aussage? Hier hätte die Regie etwas deutlicher werden können.

Andreas Hauff

 

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