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KAISERSLAUTERN: ATTILA – Spätantikes Quiproquo mit Primadonna

05.11.2016 | Oper

Kaiserslautern: „ATTILA“ 4.11. 2016 (Pr. 17.9.)

Spätantikes Quiproquo mit Primadonna

Wenn ein Haus von der Größenordnung des Pfalztheaters einen frühen Verdi ins Programm nimmt, muss das gute Gründe haben. Diesmal hörten sie einmal mehr auf den Namen Yamina Maamar, jene Allzweckwaffe, die vor Jahresfrist hier sogar einen respektablen „Tristan“ ermöglicht hatte. Sie erwies sich nach ihrer eindrucksvollen Isolde auch hier als große  Künstlerin: diesmal als veritabler italienischer Spinto-Sopran und starke Gegenspielerin des wilden Titelhelden in Gestalt des stimmpotenten Hausbasses Wieland Satter. Beide, nach Kräften unterstützt von Generalmusikdirektor Uwe Sandner, der das Orchester des Pfalztheaters nach einer zaghaften Anlaufzeit über sich selbst hinaus führte und Verdis elektrisierende melodische Leuchtraketen immer öfter zum Zünden brachte, sorgten für einen musikalisch erfreulichen Opernabend.

Nicht geringen Anteil daran hatten auch Chor und Extrachor des Pfalztheaters, sorgfältig einstudiert von Johannes Köhler. Dabei hatten die Choristen keinen leichten Stand; denn die Regie zwang ihnen bei ihren nicht wenigen Auftritten eine sich ständig wiederholende Bodengymnastik auf, die sich, nach immer gleichem gemeinsamem Anschleichen aus dem Bühnenhintergrund, in einem Hin und Her, Auf und Ab erschöpfte, dessen dramaturgischer Sinn das Geheimnis von Bruno Klimek bleiben wird. Der zeichnete nicht nur für die Regie verantwortlich, sondern auch für das Bühnenbild, das den Chor wie die Solisten in einem leeren blauen Guckkasten sich selbst überließ. Etwaige Fragen nach dem Warum der beliebig wirkenden Gänge bleiben besser ungefragt. Leere Bühne heißt ja nicht zwangsläufig kahle Bühne, und Atmosphäre ist nicht notwendig an Plüsch und Plunder gebunden. Aber zu dieser Erkenntnis gehört Sensibilität für die Farben der Partitur.

So breitete sich zunehmend Ratlosigkeit aus, die sich auch in spärlichem Szenen- und kurzem, höflichem Schlussapplaus nach dieser (trotz Abo nicht ausverkauften) Repertoire-Aufführung widerspiegelte – zumal auch die Mausgrau-in-Stahlgrau getönten Kostüme von Manfred Wilking wenig zur Belebung und Verdeutlichung des düsteren Geschehens beitrugen.

 Die Lichtblicke, die der Handlungsverlauf (auch vom Libretto her) schuldig blieb, kamen zum Glück öfters aus dem Orchestergraben und, in abgestufter Helligkeit, von den Protagonisten. Die Partie des Foresto, des eifersüchtigen Verlobten der starken Frau Odabella, war mit Paolo Ferreira zuverlässig besetzt. Sein nicht eben attraktiver Tenor blieb keine der effektvollen Höhen schuldig und bewältigte seine undankbare Aufgabe mit Anstand. Auch den römischen Feldherrn Ezio brachte Michael Bachtadze mit kernigem, wenn auch nicht sehr italienisch klingendem Bariton routiniert über die Rampe.

In diesem Umfeld rückten die beiden Antipoden (und vom Komponisten hörbar bevorzugten Gesangspartien) der Handlung deutlich in den Mittelpumkt des Geschehens: Der vitale Attila als kraftstrotzender – und dabei schön singender – Hunnenkönig, dem man nur noch etwas mehr Charisma gewünscht hätte, und, erst recht, Odabella als ideale Verkörperung einer Kämpferin für Freiheit und Unabhängigkeit, in allen Facetten von Belcanto und Dramatik überzeugend gesungen und großartig gestaltet von einer wahrhaften Primadonna. Es drängt sich fast die Frage auf, welche Überraschung der GMD mit ihr als nächstes bereit hält. Lady Macbeth? Turandot?

Zwei Fragen bleiben offen, die Intendanz nicht nur dieses Hauses betreffend:

 Was veranlasst Intendanten, sich für jede Spielzeit ein neues Motto aus den Fingern zu saugen? Zumindest bei der Gattung Oper ist dies ein Verfahren, das nicht immer das Beste zutage fördert. Oder haben etwa die Komponisten ihre Werke vornehmlich nach Stoffen ausgewählt? Dann gäbe es doch dutzendweise Opern namens Carmen, Nabucco und Fidelio!

Meisterwerke entstehen eher aus Libretti, die den Komponisten zu großer Musik inspirieren. Und um die unters Volk zu bringen, braucht es vor allem geeignete Interpreten. Nur wenn die an einem Haus engagiert sind, können überzeugende Vorstellungen entstehen. Der vorjährige Tristan hat es mustergültig vorgeführt, der diesjährige Attila immerhin musikalisch. Szenisch fand er eher nicht statt.

Und das führt zur zweiten Frage:

Was rechtfertigt das Engagement eines Schauspiel-Regisseurs für eine Operninszenierung? Bei diesem Attila liefen zwei getrennte Aufführungen nebeneinander her: eine gelungene von Verdi (dank Uwe Sandner, Wieland Satter und – vor allem – Yamina Maamar), und eine überflüssige von einem Schauspielregisseur, der auch im Opernfach reüssieren will. Merkt so etwas niemand im Pfalztheater (und anderswo) ?                        

Johannes Schenke                                            

 

 

 

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