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Jukka RASILAINEN – Heldenbariton: „Ich habe nur einen Arbeitgeber. Er heißt Richard Wagner“

20.09.2019 | Sänger


Jukka Rasilainen beim Interview. Copyright: Birgit Rasilainen

Interview mit Jukka Rasilainen, Heldenbariton, in Helsinki am 15. September 2019

Nach langer Zeit war ich wieder einmal in Helsinki, da dort nach dem beeindruckenden „Ring“ von Götz Friedrich nun ein neuer begann, und zwar mit dem „Rheingold“ (Finnisch „Reininkulta“) in der Regie von Anna Kelo. Der weltweit bekannte und auch Bayreuth-erfahrene finnische Heldenbariton Jukka Rasilainen sang dabei den Alberich. Ich traf ihn aber schon im Juli in meinem Hotel in Sofia, wo er den Kurwenal in der „Tristan und Isolde“-Produktion von Plamen Kartaloff interpretierte (Merker 08+09/2019). Damals vereinbarten wir ein Interview in Helsinki zu machen und seine deutsche Frau Birgit, die gleichzeitig seine Agentin ist, kümmerte sich im Vorfeld um die entsprechenden Vorkehrungen und Hintergrundinformationen zu seiner langen Sänger-Karriere. Sie nahm auch am Interview teil.

  1. Wie er zum Operngesang kam

Zunächst war da mal die Familie, die positiv in diese Richtung wirkte. Der Vater war selbst-studierter Pianist und Cellist und „machte damit Geld, was ja gut für mich war, sodass er mein Studium bezahlen konnte.“ Er war Ökonom und ging recht früh in Pension, sodass er sich von da an ganz dem Klavierspielen widmen konnte. Die Mutter war auch Ökonomin, hatte aber eine gute Stimme und begann mit einer Freundin zusammen Gesang zu studieren. Sie war die Begabtere, „aber wie das so ist, die Begabten machen oft keine Karriere.“ Auf meine Frage, ob er noch Geschwister habe, sagt er, dass er zwei Schwestern habe, beide Ärztinnen und dann: „Ich bin das schwarze Schaf!“ Aber die ganze Familie hat gemeinsam Musik gemacht, Auszüge aus Opern gesungen. „Der familiäre Zusammenhalt funktionierte über die Musik und den Gesang – das war sehr gut.“

Für die erste formelle Ausbildung gab es zwei Möglichkeiten. Die eine war ein Jungenchor in Helsinki, in dessen Nähe sie damals wohnten, aber die Eltern hätten ihn immer dorthin fahren müssen. Das war ihnen zu weit. „So wurde ich Tänzer, das war näher. Die Familie hat das zwar nicht gemocht, aber sie konnte nicht anders.“ Das war im Alter von etwa sieben bis acht Jahren. Dazu gibt es eine lustige Anekdote. „Als ich etwa fünf Jahre alt war, hatte mein Großvater mir karelisch beigebracht und ein paar Lieder. Ich verstand nicht, was ich sang. Dann sollte ich ein Konzert für die Kriegsveteranen singen. Die haben sich totgelacht, weil das ganz freche erotische Lieder über das Leben im Schützengraben waren. Der Knirps wusste natürlich nicht, was diese alten Knacker hatten – es sollte ein Witz von meinem Vater sein. Dann habe ich bei vielen Geschäftspartnern gesungen, eigentlich das ganze Leben lang.“ Dann kam ich zu einem Lehrer. „Erst da habe ich bemerkt, wie schwer es ist zu singen. Denn alles muss ja schwer sein in Finnland!“ Irgendwann hörte er dann, das es eine Maestra in Italien gab, und er ging mit seiner Ex-Frau auf einen Monat Urlaub nach Rom. Da erschien ihm das Singen auf einmal „pippileicht“. Es wurden zweieinhalb Jahre daraus, bei Tina Scapini.

Dann kam er zurück nach Finnland, denn aus einem Land mit damals EFTA-Status konnte er in Italien keine Arbeitserlaubnis bekommen. Und dabei hätte ihn sogar Santa Cecilia gern gehabt. „Es wäre leichter gewesen für einen von außen kommenden Russen, dort Asyl zu bekommen…“. Das war Anfang der 1980er Jahre. Finnland wurde ja erst 1995 Mitglied der EU. So sang er an der Sibelius-Akademie in Helsinki vor und studierte dort vor allem bei den exzellenten und besten finnischen Schauspiellehrern Schauspiel. „Sie haben mich reingelassen um nicht wieder hören zu müssen, dass wieder ein Finne im Ausland Karriere macht, der vorher nicht in die Sibelius-Akademie aufgenommen wurde.“

  1. Wer förderte ihn als Opernsänger?

Mein wesentlicher Förderer zu jener Zeit war Pekka Saloma. Der hat mich ins Opernstudio nach Zürich gebracht, von wo ich fest nach Dortmund ging, 1986. Dort war Klaus Weise GMD. Er hat mir nach dem ersten großen Erfolg als Messner in „Tosca“ gesagt „Sei nicht so lustig! Du bist nicht ein Buffo, sondern ein Heldenbariton. Ich fragte: Was ist das?!“ Jukka kam ja vom Studium aus Italien zurück. Seine Agentur meinte: “Wenn Du Heldenbariton bist, dann ist das erste der Holländer. Als Holländer nehmen wir Dich. „Das war gleich 1986, aber man forderte mich auf, erst mal gut Deutsch zu lernen.“ In den fünf Jahren in Dortmund hat Jukka aber immerhin alle Buffo-Rollen gesungen, auch Zacharias, in „La Scala di seta“, bis hin zum Wozzeck.

  1. „Der fliegende Holländer“

Am 7. September 1991 war dann sein Holländer-Debut. In einer Rezension der „Opernwelt“ stand: „Das wird der nächste Wotan, wenn man ihn gut pflegt.“ Das Telefon klingelte die ganze Nacht und 10 Tage lang. „Die Karriere war gemacht!“ Jukka sang dann „unglaublich viele „Holländer“-Produktionen“ und hatte kaum Zeit, etwas anderes zu lernen.“ Am Ende waren es 102 Aufführungen. Im ersten Jahr hatte er etwa 100 Gastspiele, obwohl er an seinem Haus Krefeld/Mönchengladbach auch noch 70 Abende sang, u.a. auch den Jochanaan. Die Agentur hatte ihm empfohlen, den Fachwechsel in einem festen Engagement zu vollziehen. Also in Krefeld/Mönchengladbach, für zwei Jahre. „Das war sowas von unnötig! Für meine Karriere hat das nichts gebracht“ sagt er. 1992 kam er dann auch nach Wien und machte im selben Jahr in Dresden die Premiere des „Freischütz“ in der Inszenierung von Willy Decker. Seit 1993 ist Jukka Rasilainen freischaffend.


Klaus Billand mit Jukka Rasilainen. Copyright: Klaus Billand

  1. Wie kam er nach Bayreuth, und welche Rollen sang er dort?

Er war als Falstaff in Taipeh, Taiwan, als man ihn 2005 aus Bayreuth um zwei Uhr nachts anrief und mitteilte, dass John Tomlinson sich ein Bein gebrochen hatte und Jukka sofort zur Orchesterprobe einfliegen sollte. Er hatte nicht einmal die Partitur bei sich. Und obendrein wurde auch noch die Fassung ohne Striche gespielt, die er noch nie gesungen hatte. Auf dem Weg vom Berliner Flughafen mit seiner Frau nach Bayreuth studierte es das dann ein. Es war die Claus Guth-Produktion. Er sollte direkt mit Orchester singen, da es keine Zeit zum Einsingen gab – also ein Sprung ins kalte Wasser! „Das Orchester war so laut, dass mir auf der Bühne der Brustkorb vibrierte, obwohl ich natürlich wusste, dass es im Publikum gar nicht so laut ist.“ Er hat dann alle Holländer in jenem Jahr gesungen. Bei einem Schlussapplaus buhte ein Brite, der wohl John Tomlinson vermisste. Wolfgang Wagner sagte zu Jukka: „Wir nehmen hier nur die Besten.“ Jukka: „Das war das einzige Lob, was ich je von ihm bekam.“

 

2006 coverte er den Holländer. „Ich war eigentlich immer nur der Retter, so.“ Amfortas sollte er da schon lernen für die Schlingensief-Produktion des „Parsifal“ 2007, dem letzten Jahr, in dem sie auf dem Bayreuther Spielplan stand. Er musste einen ganz kranken Charakter spielen…

In den Jahren 2008/9/11/12 sprang Jukka als Kurwenal in der Marthaler-Produktion und 2011 auch als Telramund ein, während die weiteren Verträge schon geplant waren. Als Wotan ist er jedoch nie eingesprungen. „Ich saß in meinem Zimmer und sagte mir: Wenn der jetzt abschmiert, dann bin ich Gott!“ Seit 2012 ist er immer bei der Kinderoper dabei, immer mit jungen Regisseuren. Ich erlebte ihn letztes Jahr dort als starken Wotan, sängerisch und darstellerisch großartig (Merker 08+09/2018). Seine letzte Aufführung auf der Bayreuther Hauptbühne war der Telramund 2015.

Wie fand er die Neuenfels-Inszenierung? „Wenn man auf der Bühne steht, muss man genau wissen, was man erzählen muss, was im Stück relevant ist. Was hinter mir ist, ist mir egal. Es ist egal, wer eine Maus ist oder nicht. Hauptsache, ich darf erzählen.“ Sowohl Neuenfels wie Marthaler haben den Sängern völlig klar gemacht, was ihre jeweiligen Rollen waren. „Es war alles glasklar“. Jukka Rasilainen versucht, dem Komponisten zu folgen. Keine Töne länger als geschrieben!

Er wurde auch als Holländer für die Inszenierung von Christoph Schlingensief 2007 in Manaus, Brasilien, angefragt, konnte er aber terminlich nicht wegen einer Verpflichtung in Los Angeles.

  1. Und was bedeutet Richard Wagner für ihn, den klassischen Wagner-Sänger?

Das hat er schon einmal in einem Interview in den USA zum Besten gegeben: „Ich habe nur einen Arbeitgeber. Er heißt Richard Wagner. Mit ihm habe ich noch nie gestritten, er hat alles bezahlt, mein Haus, zwei Autos, meinen Hund, usw., einfach alles!“ So kann man es natürlich auch sehen… Als ich nach dem „Rheingold“  eine Rede über diese Neuinszenierung und den „Ring“ allgemein vor dem Richard Wagner Verband Turku/Helsinki beim Empfang im Hotel Crowne Plaza nahe der Nationaloper hielt und u.a. über die Absurdität sprach, dass Alberich hier aus einem dunklen Ei hervorbricht, kam Jukka hinzu und sagte nach einigen Erklärungsversuchen entschuldigend zur allgemeinen Erheiterung: „Ich arbeite hier nur…“ So ist er, ein typischer Finne mit dem ihnen angeborenen Humor, mit dem sie auch immer über sich selbst lachen können – und das können wahrlich nicht alle in Europa…

  1. Noch etwas Statistik

Den Wotan hat er gesungen in Helsinki; Zürich; Dresden; Paris (Robert Wilson); in Tokyo (National Theatre), sogar 2 Produktionen, K. Warner und G. Friedrich; in Wien in der „Walküre“ und im „Siegfried“; in Taiwan (Tai Chung) mit La Fura dels baus; in Mannheim (Schüler) den Wanderer; und nun in Wiesbaden, wo er für den so früh verstorbenen Gerd Grochowski eingesprungen ist.

  1. Zu einigen Wagner-Rollen

„Der Kurwenal ist sehr schwer zu singen. Er ist kurz, und wenn er nicht dramatisch singt, ist er unsichtbar. Ich kenne Kollegen, die man nicht gehört hat. Meistens hat man mich wahrgenommen.“ Jukka hat den Kurwenal schon 127 Mal gesungen hat, enorm!

Als Sachs war er noch nie auf der Bühne, hat ihn aber an der Met und in Bayreuth gecovert. Er hat ihn auch heute noch voll drauf. Er möchte aber nicht einspringen, ohne szenische Proben mit GP. „Der 3. Aufzug ist praktisch eine Oper für sich.“

Jukka Rasilainen hat noch Interessantes zum Wotan zu sagen: „Im ‚Rheingold‘ ist er ein Bass, in der „Walküre“ ein Bassbariton, er muss lange singen. Im „Siegfried“ muss er ein Heldenbariton sein.“ Das ist insbesondere im Dialog mit Erda und später auch mit Siegfried zu hören. „Wenn ich einen Wotan besetzen müsste, würde ich den nehmen, der den Wanderer gut singt, als Heldenbariton. Für die anderen beiden kann man auch andere Sänger nehmen.“

Sein spastisches Nicken als Alberich in der neuen „Rheingold“-Produktion von Helsinki entstand durch eine zufällige Begegnung mit einem Spastiker auf der Straße, das war keine Anweisung der Regisseurin. Er hat in diesen Alberich viel von seiner eigenen Erfahrung eingebracht. Besonders hässlich und ungeschickt im 1. Bild, aber beängstigend mächtig in seiner eigenen Welt im 3. Bild, in das dann die Störfaktoren von außen kommen, durch Wotan und Loge.

  1. Weitere Pläne

Er ist weiterhin Alberich im Chemnitzer „Ring“. Er wird auch alle Alberich-Partien im neuen „Ring“ von Helsinki singen. Jukka Rasilainen besitzt eine große innere Ruhe, eben typisch finnisch, und auch einen guten Humor. So wichtig auch in diesem wundervollen Beruf.                                                 Nach diesem vergnüglichen Interview, das mehr ein Gespräch wurde, stelle ich fest, dass der nun 63jährige Heldenbariton weit jünger als sein Alter ist. Er wird uns sicher noch lange mit seinem Wirken bei Wagner erfreuen. Wir wünschen ihm dabei alles Gute und uns künstlerischen Hochgenuss.

Dr. Klaus Billand                                                              

 

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